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Grünen-Politikerin Lisa Paus und die Kindergrundsicherung: Noch zu retten?


Zentrales Ampelprojekt
Der Limbo der Lisa Paus


Aktualisiert am 09.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Lisa Paus: Die Familienministerin kämpft um ihr wichtigstes Projekt, die Kindergrundsicherung. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)

Mit der Kindergrundsicherung droht ein zentrales Projekt der Ampel zu scheitern. Die Koalitionspartner schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Es geht inzwischen ums Ganze.

Lisa Paus hat Erfahrungen damit, sich ihre Messlatten hoch aufzulegen und sie dann zu unterlaufen. Schmerzhafte Erfahrungen. Zwölf Milliarden Euro im Jahr wollte Paus mal für die Kindergrundsicherung haben. Bei 2,4 Milliarden Euro landete sie. Kürzlich hielt Paus 5.000 Stellen zusätzlich für notwendig. Jetzt sollen doch weniger reichen. Jedenfalls vielleicht. Irgendwie.

Selbst Parteifreunde, die es gut mit der grünen Familienministerin meinen, halten ihren Messlatten-Limbo inzwischen für einen ihrer größten Fehler.

Ein Fehler, der nun dazu führen könnte, dass Lisa Paus auch ihre wichtigste Messlatte unterläuft. Die hatte sie sich im Mai 2022 aufgelegt, da war sie gerade Ministerin geworden. Der "Spiegel" fragte sie damals, was ihr gelingen müsse, damit sie ihre Amtszeit als Erfolg werte. Paus antwortete: "Auf jeden Fall eine Kindergrundsicherung, die diesen Namen auch verdient."

Heute, zwei Jahre später, halten es selbst einige führende Grüne nicht mehr für realistisch, dass die Ampel noch eine vollständige Kindergrundsicherung hinbekommt. SPD und FDP sowieso nicht. Die Frage, die sich inzwischen stellt, lautet: Bekommen sie überhaupt noch etwas hin, das irgendwann mal zu einer Kindergrundsicherung heranwachsen könnte? Eine Baby-Kindergrundsicherung? Irgendeinen Anfang?

Projekt mit machtstrategischer Bedeutung

Lisa Paus hat früh betont, wie wichtig ihr und den Grünen die Kindergrundsicherung ist, und sie hat es oft getan. Sie sei das "wichtigste sozialpolitische Projekt" der Bundesregierung, sagte Paus immer wieder. Ein echter "Paradigmenwechsel". Was eben auch bedeutet: Wichtiger als das Bürgergeld, also der Abschied von Hartz IV.

Es ist eine ziemlich selbstbewusste Ansage, die noch etwas anderes andeutet: Die Grünen wollen mit der Kindergrundsicherung nicht nur viele Millionen Kindern aus der Armut holen, sondern ein bisschen auch sich selbst helfen. Das Projekt soll ihr Image als Partei der besserverdienenden Klimaschützer ergänzen durch den Nachweis: Wir Grüne können auch Sozialpolitik. Die Kindergrundsicherung hat für sie machtstrategische Bedeutung.

Es ist eine Erklärung dafür, warum die Reaktionen bei den Grünen inzwischen so emotional ausfallen, wenn es um die Kindergrundsicherung geht. Wie man das eigentlich so vermasseln kann, fragt mancher hinter vorgehaltener Hand. Nur wird statt "vermasseln" ein Wort benutzt, das eigentlich der Einsamkeit des Badezimmers vorbehalten ist.

Einen wirklich guten Weg, wie sich der Schlamassel auflösen lässt, können sich manche kaum noch vorstellen. Es gehe inzwischen um Gesichtswahrung, heißt es aus dem pragmatischen Realo-Lager. Darum, überhaupt noch irgendetwas hinzukriegen, das irgendwem hilft.

Dass es zuletzt nicht gut gelaufen ist mit Paus' Forderung nach 5.000 Stellen, man also auch selbst Verantwortung trägt, bestreitet eigentlich niemand mehr. Doch den Grund für die Misere sehen die meisten Grünen in ihren Koalitionspartnern: Einer FDP, die eine Kindergrundsicherung ohnehin nie gewollt habe. Und einer SPD, die nicht wirklich entschlossen kämpfe, auch deshalb, weil sie keine zweite soziale Partei neben sich dulde.

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FDP: Evolution statt Revolution

Bei SPD und FDP sehen sie das naturgemäß etwas anders. Dort werden Lisa Paus und ihr Familienministerium seit Wochen recht offen dafür kritisiert, einfach ein schlechtes Gesetz vorgelegt zu haben. "Unser gemeinsames Ziel war es, weniger Bürokratie für die Familien zu erreichen", sagt Martin Gassner-Herz von der FDP. "Die Ministerin konnte dem Parlament dazu mit ihrem Gesetzentwurf noch keinen vernünftigen Weg aufzeigen."

Martin Gassner-Herz kennt sich aus. Sowohl mit dem Gesetz, das er für die FDP im Bundestag als Berichterstatter in allen Details mitverhandelt. Als auch mit der Bürokratie des deutschen Sozialstaats, den er früher beruflich als Mitarbeiter in einem Jobcenter erlebt hat. Er sagt heute: "Wenn die Revolution nicht gelingt, muss Evolution passieren."

Es ist nicht so, dass die klügeren Fachleute aus SPD und FDP so tun, als sei die Kindergrundsicherung eine einfache Übung. Es ist eher so, dass einige von ihnen zum Schluss gekommen sind: So, wie es im Entwurf von Lisa Paus steht, funktioniert es nur mit deutlich mehr Personal. Wenn es denn überhaupt auf eine Weise funktioniert, die irgendjemandem irgendetwas bringt. Und die nicht alles noch komplizierter macht.

Viele Fragen ungeklärt

Der Vorwurf an Paus und ihr Ministerium von Verhandlern im Bundestag lautet: Viele wichtige Fragen seien noch immer nicht beantwortet. Und das, obwohl man sie stelle, seit der Gesetzentwurf Ende September vorlag. Wie genau der zentrale "Kindergrundsicherungs-Check" funktionieren soll, ist einigen etwa immer noch nicht klar.

Mit dem Kindergrundsicherungs-Check will der Staat aktiv auf potenzielle Berechtigte zugehen und ihren Anspruch auf den Zusatzbetrag überprüfen. Nur: Schafft man es, dass die Daten, die jemand während des Checks angibt, anschließend auch für den eigentlichen Antrag verwendet werden dürfen? Oder muss alles zweimal eingegeben werden, weil das Steuergeheimnis das verbietet und Ämter ihre Daten nicht austauschen dürfen? Das wäre nicht nur nervig für die Menschen, sondern auch doppelte Arbeit für die Verwaltung.

Manche in der Ampelkoalition haben den Eindruck, Paus und ihre Leute hätten sich viel zu wenige Gedanken über solche Fragen des Zusammenspiels unterschiedlicher Behörden und Rechtskreise gemacht. Das vergleichsweise kleine Familienministerium halten einige für überfordert mit der großen Aufgabe. Und die Ministerin wahlweise für stur, schlecht beraten oder zumindest sehr ungeschickt mit ihren Vorstößen, die immer wieder die Verhandlungen torpedierten.

Jetzt müssen die Vizes ran

Im Bundestag geht es mit den Beratungen über den Gesetzentwurf seit Wochen nicht richtig voran. Und immer, wenn es hakt im Parlament, werden die Probleme nach oben weitergereicht. In der Hierarchie des Betriebs bedeutet das: von den Fachleuten der Fraktionen für das Thema, den sogenannten Berichterstattern, zu den zuständigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.

Das soll nun auch bei der Kindergrundsicherung helfen, denn es geht um grundsätzliche Entscheidungen. Einige Verhandler haben den Eindruck, noch nicht allen Grünen sei klar, dass es mit dem Gesetzentwurf und dem Zeitplan in dieser Form nichts mehr wird. Eine der Entscheidungen lautet deshalb: Lassen sie sich auf einen Plan B ein?

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Dagmar Schmidt ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und eine erfahrene Sozialpolitikerin. Sie sagt: "Es ist jetzt wichtig, dass wir die offenen Fragen klären." Für die SPD sei die Kindergrundsicherung keine ideologische Sache, man messe den Erfolg an den konkreten Verbesserungen für Kinder, Jugendliche und Familien.

Der Haken mit den Stufen

An Ideen, was für einen Erfolg nötig wäre, mangelt es nicht. "Für die SPD ist wichtig, dass wir das Kindergeld möglichst vollautomatisch auszahlen, einen bürokratiearmen Kindergrundsicherungs-Check hinbekommen", sagt Schmidt. Zudem will sie Verbesserungen für Alleinerziehende, auch für jene, bei denen es trotz Arbeit nicht reicht.

Die FDP hat etwas andere Prioritäten. "Kluge Digitalisierung kann echte Verbesserungen bringen, etwa mit dem Kinderchancenportal, das uns besonders wichtig ist, weil es das Versprechen von Bildung und Teilhabe tatsächlich einlösen wird", sagt Martin Gassner-Herz. Es gehe darum, "das Mögliche umzusetzen, was den Kindern direkt hilft".

Für das Mögliche plädiert auch Dagmar Schmidt: "Wir sollten die Kindergrundsicherung stufenweise einführen und schauen, was realistisch in welchen Zeiträumen umsetzbar ist."

Kleiner Haken an den Stufen: Schon im Herbst 2025 wird eine neue Regierung gewählt. Ob die das Projekt weiterführen würde? Offen bis unwahrscheinlich, wenn die Union dabei ist. Es wäre also ein stufenweiser Anfang mit ungewissem Ausgang. Lisa Paus und die Grünen könnten sagen: Nur ein Anfang. Oder sie sagen: Immerhin ein Anfang.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
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