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Hirnhautentzündung bei Kindern: Jede Minute zählt


Meningitis
Elias' Schicksal zeigt: Bei Hirnhautentzündung zählt jede Minute

t-online, Anja Speitel

Aktualisiert am 28.03.2013Lesedauer: 6 Min.
Hirnhautentzündung kann schwerwiegende Folgen haben. Dem kleinen Elias mussten beide Unterschenkel amputiert werden.Vergrößern des BildesHirnhautentzündung kann schwerwiegende Folgen haben. Dem kleinen Elias mussten beide Unterschenkel amputiert werden. (Quelle: Privat)

Elias war gerade fünf Jahre alt geworden, als sein Leben innerhalb von wenigen Stunden eine dramatische Wendung nahm. Er hatte sich mit Meningokokken infiziert. Diagnose: Hirnhautentzündung (Meningitis). Bei Elias nahm die Krankheit den schwersten Verlauf. Babys und Kleinkinder sind besonders häufig betroffen, die Sterblichkeitsrate ist hoch. Alle Eltern sollten die Symptome von Hirnhautentzündung kennen, denn schnelles Handeln rettet Leben!

Am Morgen war noch alles in bester Ordnung. Elias war quietschfidel. Mittags bekam er Fieber. Seine Mutter Ina J. gab ihm ein fiebersenkendes Medikament und legte ihn ins Bett, aber das Fieber ging nicht runter. "Rund zwei Stunden nachdem ich ihm das Medikament gegeben hatte, wurde Elias plötzlich ganz komisch", erinnert sich Ina. "Er war nicht mehr ansprechbar und sackte in sich zusammen." Sofort rief sie den Notarzt, der das Kind ins nächste Krankenhaus brachte. Elias hatte sich mit Meningokokken infiziert, genauer gesagt mit dem Neisseria meningitidis-Bakterium Typ-B.

Meningokokken sind für kleine Kinder besonders gefährlich

Nach Expertenschätzungen tragen etwa acht Millionen Deutsche Meningokokken im Nasen-Rachen-Raum, ohne daran zu erkranken. Doch werden die Bakterien per Tröpfcheninfektion, also etwa durch Niesen, Husten, Schmusen oder Küssen, an Menschen mit einem geschwächten Immunsystem oder kleine Kinder weitergegeben, kann das dramatische Folgen haben.

"Nicht einmal 24 Stunden nachdem Elias angefangen hatte zu fiebern, sagten uns die Ärzte, er werde wohl sterben. Weil es so schlecht um ihn stand, musste er in eine hundert Kilometer entfernte Klinik verlegt werden. Für den Transport wurde Elias in ein künstliches Koma versetzt. Er wurde beatmet und sein Herz brauchte Unterstützung. Ich durfte nicht mit im Rettungswagen fahren, da die Ärzte befürchteten Elias werde auf dem Weg sterben", erzählt Ina. "Das war ganz furchtbar. Ich wusste ja nicht, ob ich mein Kind lebend wiedersehen würde. Mein Mann und ich versuchten dem Rettungswagen hinterher zu kommen, doch der raste mit 180 Sachen über die Autobahn." Nachdem auch die Eltern die Klinik erreicht hatten, sprachen die Ärzte mit ihnen über die Folgen, die Elias wegen der Meningokokken-Infektion drohen könnten.

Gefürchtete Komplikation: Waterhouse-Friderichsen-Syndrom

"Die Ärzte gaben Elias fünf Prozent Überlebenschance - und wenn, dann nur mit schweren Hirnschädigungen", erinnert sich Ina. Denn die Hirnhautentzündung hatte sich bei Elias bereits zum Waterhouse-Friderichsen-Syndrom weiterentwickelt. Rund zehn bis 20 Prozent der 500 bis 1000 Meningokokken-Erkrankungen, die jährlich in Deutschland auftreten, münden in diese rasant verlaufende Form, die häufig innerhalb weniger Stunden zum Tod führt. "Wenn sich die Meningokokken über die Hirnhäute in die Blutbahn ausbreiten, entsteht praktisch eine Blutvergiftung. Deshalb wird beim Waterhouse-Friderichsen-Syndrom auch von Meningokokken-Sepsis gesprochen", erklärt Bettina Lange, Leitende Oberärztin der Klinik für Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Mannheim.

Über den Blutkreislauf gelangen die Bakterien in den ganzen Körper: In Folge kommt es zu Durchblutungsstörungen, zunächst der Haut. Die Nebenniere kann zerstört werden, die viele lebenswichtige Stoffe für den Organismus produziert. Multiorganversagen ist eine häufige Komplikation. Überleben die Patienten, sind Entwicklungs- und Hörstörungen, Krampfanfälle, Lähmungen sowie große Gewebe- und Organschäden mögliche Folgen.

Elias überlebte - doch die Folgen prägen ihn für immer

Aller Prognosen der Ärzte zum Trotz überlebte Elias die schwere Hirnhautentzündung - jedoch mit gravierenden Folgen: Nachdem er elf Wochen auf der Intensivstation um sein Leben gekämpft hatte, mussten dem heute Siebenjährigen in einem Dutzend Operationen rund 40 Prozent der geschädigten Haut entfernt und mit eigener Haut wieder gedeckt werden. Zudem wurden Elias beide Unterschenkel amputiert.

"Kindern, die das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom überlebt haben und schwere Weichteilveränderungen aufweisen, müssen leider häufig Gliedmaßen amputiert werden. Das abgestorbene Gewebe führt sonst wieder zu Infektionen", erläutert Lange. "Elias Füße waren schon nach drei Tagen schwarz-blau", erinnert sich seine Mutter. Doch bei dem lebensbedrohlichen Zustand durch das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom stehen solche Dinge zunächst nicht im Vordergrund, denn erstmal geht es darum, die Organfunktionen zu erhalten. Wenn das Kind stabil ist, werden die Folgeschäden behandelt. "Der Gewebezerfall war bei Elias so weit fortgeschritten, dass die Ärzte erst dachten, Elias müssten die Beine bis zur Hüfte amputiert werden. Wir hatten Glück im Unglück: Seine Oberschenkel konnten gerettet werden und die prophezeiten Hirnschädigungen blieben aus. Elias fehlen seine Beine, doch er ist noch bei uns - dafür sind wir sehr dankbar", sagt Ina.

Symptome einer Hirnhautentzündung

Eine Hirnhautentzündung, beziehungsweise das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, beginnt sehr plötzlich mit hohem Fieber, großer Abgeschlagenheit und eventuell einer Wesensveränderung des Kindes. Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen können, müssen aber nicht auftreten. "Leider sind das sehr unspezifische Symptome" sagt Lange. "Eltern denken dann oft erstmal an Virusinfektionen wie eine Grippe oder einen Magen-Darm-Infekt. Gerade kleine Kinder können auch noch nicht äußern, dass sie Kopfschmerzen haben. Sie fassen sich vielleicht nur öfter an den Kopf. Viele Mütter berichten zudem von einem komischen Ausdruck des Kindes oder dass es verhaltensauffällig wird - das reicht von Aggressivität und Unruhe über Licht- und Berührungsempfindlichkeit bis hin zu Schläfrigkeit oder besonderer Anschmiegsamkeit. Die meisten Mütter wissen intuitiv, dass da kein normaler Infekt im Anmarsch ist. Dann sollten sie nie zögern, sondern sofort in ein Krankenhaus fahren oder den Notarzt rufen", appelliert die Ärztin eindringlich.

Bei Fieber immer Nackensteifigkeit testen

Ein typisches Zeichen einer Hirnhautentzündung ist auch die Nackensteifigkeit. Dafür gibt es einen einfachen Test, den sich Eltern vorsorglich vom Kinderarzt zeigen lassen können: Das Kind flach auf den Rücken legen und das Kinn in Richtung Brust drücken (Brudzinski-Zeichen). Geht das nicht oder schmerzt es, ist schnelles Handeln gefragt. Auch der so genannte Knie-Kuss ist ein guter Test: Dazu bittet man das im Bett sitzende Kind, mit angewinkelten Beinen seine Knie zu küssen. Wenn dies wegen wegen Schmerzen und Nacken-Rücken-Steifigkeit nicht gelingt, muss das Kind sofort ins Krankenhaus.

Eine Abbildung zum Brudzinski-Zeichen finden Eltern bei Kinderärzte im Netz auf der Seite http://www.kinderaerzteimnetz.de/aerzte/arzt_802_2.html.

Der Knie-Kuss-Test funktioniert natürlich nur bei älteren Kindern. Da die Meningokokken-Meningitis zu 40 Prozent Kinder bis zu vier Jahren - und gehäuft Babys zwischen sechs und zwölf Monaten - betrifft, müssen Eltern ebenfalls sofort handeln, wenn ihnen bei einem krank anmutenden Säugling ein überstrecktes Hohlkreuz im Liegen oder eine aufgewölbte Fontanelle auffällt.

Höchste Alarmstufe bei roten Pünktchen auf der Haut

Weil die Symptome unspezifisch sind, denken selbst Mediziner nicht immer sofort an eine Meningokokken-Infektion. "Auch Ärzte sind nur Menschen, darum erinnern Sie die Ärzte ruhig an Meningokokken", ermutigt Fachärztin Lange alle Eltern. "Innerhalb von wenigen Stunden kann das System kippen! Meist vergehen sechs bis acht Stunden, manchmal sogar nur zwei, bis sich erste Einblutungen in der Haut zeigen, weil die Bakterien die Blutgerinnung beeinträchtigen. Erst sind es kleine rote Pünktchen, so genannte Petechien. Später werden die Durchblutungsstörungen flächig. Diese Flecken zeigen an, dass Haut und Gewebe absterben. Spätestens bei den ersten Petechien müssen Eltern mit dem Kind sofort ins Krankenhaus, denn dann ist der Knackpunkt der Sepsis eigentlich schon überschritten und die Meningitis hat sich zum Waterhouse-Friderichsen-Syndrom weiterentwickelt“, warnt die Ärztin.

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Hochdosierte Antibiotika können bei Meningitis Leben retten

Das lebensbedrohliche Krankheitsbild des Waterhouse-Friderichsen-Syndroms mit Organversagen und Gewebezerfall kann durch die zügige Gabe hochdosierter Antibiotika und Flüssigkeit verhindert werden. "Um die Diagnose auf Hirnhautentzündung eindeutig zu stellen, muss eine Liquor-Punktion vorgenommen werden. Dabei wird Hirnwasser über das Rückenmark entnommen", berichtet Lange. Da auch die intensivmedizinische Behandlung in den vergangenen Jahren immer besser geworden ist, hat sich die Überlebenschance bei Waterhouse-Friderichsen-Syndrom zwar deutlich erhöht, doch sterben immer noch 50 Prozent der Patienten.

Impfen schützt vor Krankheiten – doch ein Restrisiko bleibt

Vielen gefährlichen Krankheiten kann man durch eine Impfung vorbeugen. Deshalb sollten alle Eltern die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Schutzimpfungen bei ihren Kindern durchführen lassen.

Auch Elias war komplett durchgeimpft – und dennoch wurde er so krank, denn für seine Meningokokken-Infektion war der Serotyp B verantwortlich. Nach Angaben des Nationalen Referenzzentrums für Meningokokken in Würzburg werden etwa 70 Prozent aller Meningokokken-Erkrankungen in Deutschland durch diesen Bakterientyp verursacht - im Säuglingsalter sogar über 80 Prozent. Die Tatsache, dass es dagegen damals noch keine Impfung gab, wurde Elias zum Verhängnis. Erst im Sommer 2012 wurde ein Meningokokken-B-Impfstoff von der europäischen Zulassungsbehörde (EMA) für Kinder ab zwei Monaten zugelassen. In Deutschland ist er jetzt verfügbar. "Es ist ein Segen, dass die Medizin jetzt endlich soweit ist", sagt Ina. "Nach dem, was uns widerfahren ist, werden wir Elias kleinen Bruder Liam dagegen impfen lassen, auch wenn diese Impfempfehlung jetzt noch nicht in den STIKO-Katalog aufgenommen ist." Derzeit wird der Impfstoff gegen Typ-B-Meningokokken noch von der STIKO geprüft.

Verschiedene Typen von Meningokokken

Seit Sommer 2006 wird empfohlen, Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat und auch nachträglich bis zum 18. Geburtstag gegen Meningokokken-Typ-C impfen zu lassen. Daneben gibt es eine Impfung gegen die Meningokokken-Typen A, Y und W135, die für Kinder ab einem Jahr zugelassen ist. Zu dieser Impfung wird jedoch nur in bestimmten Fällen geraten, etwa bei längeren Auslandsaufenthalten in Risikogebieten. Eine Hirnhautentzündung kann auch durch Pneumokokken oder Haemophilus influenzae Typ b (Hib) sowie Masern-, Mumps- oder FSME-Viren verursacht werden. Eltern sollten sich vom Kinderarzt über Impfungen beraten lassen und auch Ihren eigenen Impfschutz überprüfen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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