RTL-Mutter Bertelsmann Diese dunkle Vergangenheit steckt hinter dem Erfolg
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bertelsmann ist einer der größten Medienkonzerne Europas. Doch auf dem Weg nach oben profilierte sich das Unternehmen jahrelang mit einer falschen Firmengeschichte.
Lange Zeit verkaufte Bertelsmann seine Firmengeschichte während der Nazi-Zeit als Kampf gegen das Regime. Doch eine Studie brachte das Unternehmen mehr als 50 Jahre nach Kriegsende in Erklärungsnot. Historiker zeigten auf: Der Medienkonzern war alles andere als ein "Widerstandsverlag".
Rund 15.000 Reichsmark – das entspräche heute ungefähr 70.000 Euro – spendete Heinrich Mohn der Hitler-Partei NSDAP bis 1944. Die ersten Spenden flossen bereits 1921, als Mohn die Geschäftsführung von Bertelsmann übernahm. Zu diesem Zeitpunkt gab es die NSDAP gerade seit einem Jahr. Erst zwölf Jahre später sollten die Nationalsozialisten die Macht übernehmen. Heinrich Mohn war also durchaus ein früher Unterstützer der Nazi-Partei – und das sollte sich zunächst auch für seine Firma auszahlen.
Teil des Propagandaapparats
Der C. Bertelsmann Verlag wurde während des Zweiten Weltkriegs zum kriegswichtigen Betrieb und zum größten Buchlieferanten der Wehrmacht. Mit etwa 20 Millionen Propagandaheften lieferte das Unternehmen mehr als der NSDAP-eigene Franz-Eher-Verlag. Vor allem die "Bertelsmann-Feldausgaben" wurden zum Verkaufsschlager. Um der Nachfrage gerecht zu werden, arbeitete man mit Druckereien in Litauen zusammen, in denen auch Zwangsarbeiter zum Einsatz kamen.
Doch mit zunehmender Kriegsdauer stellte sich Kriegsmüdigkeit ein. Die Verkaufszahlen von Bertelsmann gingen zurück. Fortan setzte der Verlag vor allem auf Inhalte, die vom Kriegsgeschehen ablenken sollten. Werke, die auf eine Annäherung von Kirche und Nationalsozialisten abzielten, stießen den Machthabern dabei übel auf. Darüber hinaus kamen illegale Papiergeschäfte des Unternehmens ans Tageslicht. 1944 folgte im Zuge einer Mobilisierung letzter Kräfte die Schließung des Verlags.
Die Legende vom "Widerstandsverlag"
Eben jene Schließung nutzte man, um sich nach Kriegsende bei britischen Kontrollbehörden als christlicher Verlag, der Teil des Widerstands gewesen war, darzustellen. Heinrich Mohn verschwieg dabei seine Verbindungen zu NS-Organisationen und seine SS-Mitgliedschaft. Als dieses Versäumnis bekannt wurde, trat Heinrich Mohn zurück und sein Sohn Reinhard Mohn, der gerade erst aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, übernahm an seiner Stelle.
Reinhard Mohn hatte sich nach seinem Reichsarbeitsdienst freiwillig zum Wehrdienst in der Luftwaffe gemeldet. Bei der Flugabwehr stieg Mohn bis zum Leutnant auf, ehe er in US-Kriegsgefangenschaft geriet. Das Kriegsende erlebte Reinhard Mohn als Gefangener im Camp Concordia im US-Bundesstaat Kansas. 1947 erhielt er die Verlagslizenz seines Vaters und führte fortan die Geschäfte.
Zu dieser Zeit beschäftigte der Verlag weiterhin Will Vesper. Der Schriftsteller war bekennender Nationalsozialist und Antisemit. 1933 war er Hauptredner bei der Dresdener Bücherverbrennung und unterschrieb das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" für Adolf Hitler. Auch nach dem Krieg, während seiner Zeit als Herausgeber bei Bertelsmann, engagierte sich Vesper weiter in rechten Kreisen.
Dennoch verbreitete Bertelsmann fortan – vor allem firmenintern – die Legende des "Widerstandsverlags". Diese Firmenlegende präsentierte der designierte Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff im Sommer 1998 auch bei einer Veranstaltung einer jüdischen Organisation in New York. Er erzählte, wie Bertelsmann-Bücher im "Dritten Reich" verboten wurden und die Existenz des Unternehmens eine Gefahr für das Nazi-Regime darstellte. Er habe "das große Glück, für ein Unternehmen zu arbeiten, welches immer für Rassen- und Religionsfreiheit einstand", zitierte ihn damals die "New York Times".
Zweifel an der Geschichte
Doch am Wahrheitsgehalt der Geschichte kamen Zweifel auf. Der öffentliche Druck wurde so groß, dass Firmenerbe Reinhard Mohn im Dezember 1998 eine Historikerkommission einberief, um die Vergangenheit des Unternehmens restlos aufzuklären. 2002 legte die Kommission ihren Bericht vor – dieser erregte weltweit Aufsehen.
Denn neben den bisher geschilderten Tätigkeiten des Unternehmens während der NS-Zeit geht der Bericht auch auf die Pläne der Familie Mohn ein. Demnach habe Heinrich Mohn die Legende vom "Widerstandsverlag" bewusst mit einem Wirtschaftsprüfer entworfen, als er befürchtete, nach dem Krieg die Verlagslizenz nicht zu erhalten.
"Eine neue Legende"
Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge wusste auch Reinhard Mohn von diesen Vorgängen. Um die Lizenz zu erhalten, zeichnete er den beschönigten Antrag trotzdem ab. Seine Schwester Ursula kam als Firmenerbin nicht infrage, da diese NSDAP-Parteimitglied war. Sobald die Lizenz gesichert war, kehrten Ursula und Heinrich Mohn dennoch in das Unternehmen zurück.
Nicht nur der Inhalt des Berichts, auch das Zustandekommen der Kommission erregte im Nachgang Aufsehen. Viele fragten sich, weshalb Reinhard Mohn eine Kommission ins Leben rief, wusste er doch von seinen eigenen Verstrickungen. Eine mögliche Antwort bot Thomas Middelhoff im Jahr 2021. Er sagte dem Portal "Übermedien", dass die Historikerkommission, die infolge seiner Äußerungen ins Leben gerufen worden war, seine Idee gewesen sei. Dass Reinhard Mohn daran beteiligt gewesen sei, bezeichnete er als "eine neue Legende."
- uebermedien.de: "Bertelsmann klittert schon wieder die eigene Geschichte"
- nytimes.com: "Bertelsmann Plans Inquiry On Its Role During Nazi Era", (englisch)
- taz.de: "Dünner Schlussstrich"
- wsj.com: "History of Bertelsmann Omits Mohn's Role in Creating Myth", (englisch, kostenpflichtig)
- spiegel.de: "Bertelsmann profitierte vom Nazi-Regime"
- polunbi.de: "C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh"
- hagalil.com: "Die braune Vergangenheit von Bertelsmann"
- berliner-zeitung.de: "Bericht der Historiker-Kommission über Bertelsmann im Dritten Reich: "In dieser Dimension überraschend""
- history.bertelsmann.com: "Feldpostausgaben"
- Eigene Recherche