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AfD gegen Verfassungsschutz: Verfahren in Münster – Höchste Zeit, zu handeln


Tagesanbruch
Höchste Zeit, endlich zu handeln

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 13.05.2024Lesedauer: 7 Min.
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Björn Höcke, Chef der AfD in Thüringen: Er darf laut einem Gerichtsurteil als "Faschist" bezeichnet werden.Vergrößern des Bildes
Björn Höcke, Chef der AfD in Thüringen: Er darf laut einem Gerichtsurteil als "Faschist" bezeichnet werden. (Quelle: dts Nachrichtenagentur/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Tagen muss ich häufig an Gottlieb Biedermann denken. Erinnern Sie sich? Vor seiner Tür steht plötzlich ein Fremder. Er bittet um Obdach und ein Abendessen – und das in diesen unsicheren Zeiten. Regelmäßig brennen Häuser, Brandstifter gehen um im Ort. Der Fremde lässt sich nicht abwimmeln, appelliert an die Menschlichkeit. Biedermann, eigentlich misstrauisch, wird weich, nimmt ihn auf. Der Fremde blendet mit Schmeicheleien, lügt offenkundig. Selbst als er einen weiteren Mann einquartiert, sie Fässer mit Benzin auf dem Dachboden lagern und sogar offen von Zündkapseln sprechen, verschließt Biedermann die Augen vor der Gefahr. Am Ende brennt sein Haus lichterloh.

Ein bisschen Gottlieb Biedermann steckt gerade in vielen von uns. So wie in Max Frischs Drama "Biedermann und die Brandstifter" haben sich auch in unserem Haus Zündler einquartiert. Die AfD sitzt in Parlamenten und besetzt in den Kommunen Ämter. Ihre Vertreter sagen das, was viele ihrer Wähler hören wollen, bieten scheinbar einfache Lösungen, lügen. Dabei leugnen manche von ihnen nicht einmal mehr, dass sie das Haus in Brand setzen wollen.

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Und was tun wir? Verschließen die Augen und hoffen, dass die, die sie hereingelassen haben, schon erkennen werden, wie gefährlich sie sind und sie wieder verjagen. Nur, das Hoffen ist offenbar vergebens. Die Partei wird stärker.

In Münster hat das Oberverwaltungsgericht heute ein Urteil gesprochen, das hoffentlich die Augen öffnet und endlich zum Handeln bewegt. Die AfD hatte gegen den Verfassungsschutz geklagt, weil dieser sie als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" einstuft. Sieben Tage lang war ausführlich verhandelt worden. Jetzt hat das Gericht die Klage der AfD zurückgewiesen, die Einstufung des Verfassungsschutzes ist rechtens.

Nun könnte es nicht mehr lange dauern, bis der Verfassungsschutz die gesamte Partei sogar in die höchste Kategorie als "gesichert rechtsextrem" einstuft, wie die "Süddeutsche Zeitung" unlängst schrieb. Demnach soll der Verfassungsschutz genügend Belege dafür haben, dass die Brandstifter von der AfD immer extremer und damit gefährlicher werden. Drei Landesverbände, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, sowie ihre Jugendorganisation sind ohnehin schon als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.

Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, um nun endlich zu klären, ob juristische Mittel gegen die Brandstifter notwendig sind und ein Prüfverfahren zum Verbot der AfD einzuleiten. Viel zu lange schon ist die Politik vor diesem Schritt zurückgeschreckt – aus nachvollziehbaren, aber falschen Gründen.

Groß ist die Angst, damit die Partei nur noch mächtiger zu machen, weil sie sich – ähnlich wie Donald Trump in den USA – als Opfer darstellen könnte, das aus politischen Gründen vor Gericht gezerrt wird. Nur, die Mütter und Väter des Grundgesetzes schrieben das Parteiverbotsverfahren nicht ohne Grund in die Verfassung: Sie waren überzeugt, dass es auch einen juristischen Weg braucht, um sie vor ihren Feinden zu schützen. Das war die Lehre aus der Weimarer Republik, schließlich war Hitler demokratisch gewählt an die Macht gekommen.

Dort heißt es also:

Was das genau bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen konkretisiert. So muss eine solche Partei sich "in aktiv-kämpferischer Weise" dafür einsetzen, die Demokratie abzuschaffen, also "die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind": Das sind die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.

Die – zu Recht – hohe Hürde liegt nun darin, einer Partei nachzuweisen, dass sie mindestens eines dieser Grundprinzipien beseitigen oder beeinträchtigen will. Dafür braucht es klare Belege. Die AfD aber geht ebenso geschickt vor wie jener Fremde, der sich bei Gottlieb Biedermann einnistet. Der gibt sich rechtstreu und pflichtet Biedermann sogar bei, dass man hart gegen Brandstifter durchgreifen müsse, dafür brauche es Zivilcourage und ein Gewissen.

Auch die AfD geriert sich offiziell rechtstreu. In ihrem Parteiprogramm finden sich keine Belege dafür, dass sie die Demokratie demontieren will. In vielen, vielen Aussagen ihrer Mitglieder, auch hoher Funktions- und Mandatsträger, dagegen sehr wohl. Das hat der Prozess in Münster überdeutlich gezeigt.

Dabei sind in diesen Prozess noch nicht einmal die jüngsten Ermittlungen wegen Spionageverdachts gegen einen Mitarbeiter des EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, eingeflossen. Ebenso wenig wie die Vorermittlungen gegen Krah, weil er Geld aus russischen und chinesischen Quellen erhalten haben soll – die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen des Anfangsverdachts der Abgeordnetenbestechung. Oder jene Aussagen, die bei dem Vernetzungstreffen von Rechtsextremen im November in Potsdam fielen, an dem auch AfD-Vertreter teilnahmen. Ein Masterplan zur "Remigration" von Migranten wurde dort diskutiert, wie das Recherchenetzwerk "Correctiv" aufdeckte.

Immer mehr ist in den vergangenen Wochen und Monaten ans Licht gekommen, was die Partei als Brandstifter diskreditiert. Doch was tut die AfD? Streitet ab, behauptet wahlweise, Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen oder es handele sich um Einzelmeinungen. Sie unterstellt, der Rechtsstaat werde gegen sie politisch instrumentalisiert, sie werde unschuldig verfolgt. All das ließ sich bereits in Münster beobachten. In einem Verbotsverfahren würde sie genauso handeln.

Doch warum sollte das Opfergehabe der AfD davon abschrecken, juristische Schritte gegen sie zu prüfen? Die Partei stellt sich ohnehin stets als Opfer dar – wahlweise der Medien, der anderen Parteien oder des Verfassungsschutzes. Gut zu beobachten war das auch an diesem Wochenende im bayerischen Holzkirchen, wie meine Kollegin Annika Leister schreibt. Dort feierte Krah sein Wahlkampf-Comeback als Spitzenkandidat – mit Jaguar und Models.

Das eigentliche Argument aber, warum nun endlich ein Prüfverfahren eingeleitet werden sollte, liefert das letzte Verbotsverfahren gegen die NPD (heute: "Die Heimat"): Damals im Jahr 2017 stellte das Bundesverfassungsgericht zwar fest, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Es lehnte ein Verbot trotzdem ab, und zwar – vereinfacht gesagt – weil die NPD zu klein und unbedeutend war, um diese Ziele auch in die Tat umsetzen zu können.

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Unbedeutend und klein ist die AfD längst nicht mehr. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte sie bei den kommenden Landtagswahlen stärkste Kraft werden. AfD-Politiker könnten Positionen besetzen, mit denen sie die Demokratie Stück für Stück demontieren. Genau deshalb muss aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgen: Nicht für die NPD von 2017 wurde Artikel 21 Absatz 2 ins Grundgesetz geschrieben. Aber vielleicht für die Brandstifter der AfD von 2024. Das muss nun endlich geprüft werden – bevor der Dachstuhl brennt.


Was steht an?

Die Gefahr kommt per Mail, SMS oder Messengerdienst: In Links und PDFs lauern Schadprogramme, die ganze IT-Systeme lahmlegen können und mit denen Firmen, Behörden und Organisationen erpresst werden. Wie häufig es solche Angriffe im vergangenen Jahr gab, wird heute das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und dem Bundesinnenministerium bekannt geben. Sie stellen das aktuelle Lagebild Cyberkriminalität vor.

Dass es keine guten Nachrichten sein werden, davon kann man ausgehen. Schon vor einer Woche hatte BSI-Präsidentin Claudia Plattner die Bedrohungslage als "besorgniserregend" bezeichnet. Die Grenzen zwischen Geheimdienstoperationen und Angriffen krimineller Hacker verschwämmen immer mehr. Ob es bei den Aktionen vorrangig darum gehe, politisch Einfluss zu nehmen und zu einer Destabilisierung beizutragen oder darum, Lösegeld zu erpressen, lasse sich immer schwerer beantworten, sagte Plattner.


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Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren, skandalfreien Start in die Woche. Morgen schreibt Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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