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OB Dieter Reiter: "E-Scooter in München notfalls komplett verbieten"


Verkehr in München
OB Reiter: "E-Scooter notfalls komplett verbieten"

  • Olaf Kern
InterviewVon Olaf Kern

Aktualisiert am 10.05.2024Lesedauer: 7 Min.
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Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Die Umsetzung von Tempo 30 auf der Landshuter Straße könnte sehr schnell gehen.Vergrößern des Bildes
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Die Umsetzung von Tempo 30 auf der Landshuter Straße könnte sehr schnell gehen. (Quelle: Claus Schunk )

Münchens OB Reiter im Exklusiv-Interview über Tempo 30, Cannabis-Verbot und Angriffe auf Politiker.

Seit zehn Jahren regiert Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter die bayerische Landeshauptstadt mit ruhiger Hand. Im Interview mit t-online erklärt er, warum er auch bei Androhungen der Umwelthilfe zum Thema Schadstoffe nicht aus der Fassung gerät, wieso es eines Cannabis-Verbots für den Englischen Garten nicht bedurft hätte und warum der Münchner an sich wieder ein bisschen mehr Optimismus und Lebensfreunde gebrauchen könnte. Nicht kalt hingegen lässt ihn der Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke.

Herr Reiter, Sie haben sich mit Ihrem Vorschlag durchgesetzt, Tempo 30 in der viel befahrenen Landshuter Straße einzuführen. Wann wird das Tempolimit kommen?

Dieter Reiter: Das kann sehr schnell gehen. Wir müssen einige Schilder aufstellen. Dazu werden wir noch den ein oder anderen mobilen Blitzer installieren. Ich hoffe, dass wir das in wenigen Monaten umgesetzt haben.

Wird Tempo 30 als Maßnahme aber letztlich ausreichen, um die Grenzwerte für giftige Abgase dort einzuhalten?

Davon gehen wir aus. Die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat gezeigt, dass sich die Luftwerte deutlich verbessert haben. Und wir sind auch an dieser einen Stelle nicht mehr so weit weg vom Grenzwert, sondern nur leicht drüber. Deshalb müssen die Maßnahmen immer auch verhältnismäßig sein. Ende des Jahres werden wir sehen, wo wir stehen. Ich habe immer schon gesagt: Sollte Tempo 30 nicht erfolgreich sein, werden wir ein zonales oder ein streckenbezogenes Diesel-Fahrverbot aussprechen – Letzteres wäre mir lieber.

Im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs heißt es aber, dass die Stadt "weitere, restriktive Maßnahmen" ergreifen muss, um die Grenzwerte einzuhalten. Die Umwelthilfe wirft Ihnen nach der Entscheidung für Tempo 30 sogar Rechtsbruch vor. Steht da nicht der nächste Ärger ins Haus?

Das Gericht hat das Ziel formuliert, dass wir als Stadt alles tun müssen, um die Luft sauber zu halten. Diesem Ziel stimme ich voll und ganz zu, deswegen sehe ich den Drohgebärden der Umwelthilfe sehr gelassen entgegen.

Muss man eine Verkehrswende aber nicht größer fassen: als ein Vorhaben, dass die Gesundheit vieler Tausender Bürger betrifft? Der Verkehr soll in München bis 2035 klimaneutral sein. So steht es im Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Grünen. Wie soll das gelingen, wenn es in diesem Tempo weitergeht?

Die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger in München hat für uns und für mich als OB oberste Priorität, das ist doch absolut klar. Wir sind immer noch auf einem sehr guten Weg, unser Ziel für 2035 einzuhalten. Dazu haben wir im Stadtrat sehr viele ehrgeizige Beschlüsse gefasst. Beispielsweise unsere Kohleverbrennung aufzugeben. Die Stadtwerke investieren dafür viele hundert Millionen Euro. Glücklicherweise können wir uns das in München noch erlauben, andere Städte können das nicht. Bund und Land sollten diese Kommunen lieber finanziell mehr unterstützen, statt immer in Sonntagsreden von Klimaneutralität zu sprechen.

Noch mal: Sie selbst haben mal von der "autoarmen City" gesprochen. Wie wichtig ist Ihnen das Auto in der Innenstadt?

Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft lebenswerte Städte sehen werden, in denen man mit dem Auto etwa bis zum Marienplatz fahren kann. Es muss niemand mit seinem Auto bis ans Rathaus fahren, um hier einzukaufen. Innerhalb des Altstadtrings werden wir alles tun müssen, um nur noch die Autos hereinzulassen, die wirklich reinmüssen. Den Großteil des Kfz-Verkehrs werden wir so aus der Altstadt heraushalten können.

Bis wann wollen Sie das schaffen?

Wir haben uns dafür das Jahr 2030 vorgenommen. Dazu kommt aber: Selbst wenn alle Autos einmal mit E-Antrieb unterwegs sein sollten, haben wir immer noch ein Platzproblem. Denn Fahrzeuge brauchen viel Fläche im öffentlichen Raum und da ist es egal, ob sie fahren oder parken.

Paris verdreifachte die Parkgebühren für SUVs, um sie aus der Innenstadt zu vertreiben. Wäre so etwas für München auch denkbar?

Das wäre ziemlich schwer umzusetzen, denn man müsste etliche Ausnahmen, etwa für Handwerker, schaffen. Außerdem halte ich es für eine absolut ideologisch getriebene Vorgehensweise, SUV-Fahrer mehr zahlen zu lassen. Wir müssen vielmehr bessere Alternativen anbieten. Dazu gehört auch ein vernünftiger ÖPNV, der zuverlässig ist und in einem engen Takt fährt. Ich denke hier vor allem an die sehr anfällige S-Bahn. Nur wenn man Alternativen bieten kann, gelingt es auch, Verständnis für Maßnahmen zu bekommen, die Autos aus der Innenstadt weitgehend heraushalten.

Ein Ärgernis sind oft auch die E-Scooter. Die Stadt Gelsenkirchen hat diese wegen gestiegener Unfallzahlen verboten. Wie denken Sie darüber?

Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt, mit den E-Scootern geht das so nicht weiter. Deshalb haben wir Abstellflächen nur für E-Scooter geschaffen und weiten diese sukzessive auf über 600 Flächen im gesamten Stadtgebiet aus. Das funktioniert teilweise ganz gut. Dazu muss es aber auch weitere Anreize geben, damit die Benutzer die geliehenen E-Scooter dort abstellen. Ein Mittel ist, die Uhr weiterlaufen zu lassen, wenn der E-Scooter nicht richtig abgestellt ist. Erfahrungsgemäß ist damit zu rechnen, dass Menschen sich zuverlässiger an die Regeln halten, wenn es ihnen an den Geldbeutel geht. Das ist mir lieber, als die E-Scooter komplett zu verbieten. Sollte es nicht klappen, werden wir die Anzahl der E-Scooter in der Stadt deutlich reduzieren oder sogar über Möglichkeiten eines Verbots nachdenken, was in München aufgrund der in Bayern geltenden Rechtsgrundlagen allerdings schwieriger ist als in Gelsenkirchen. Das wäre für mich aber Ultima Ratio.

Stichwort Signa-Pleite, unfertige Bauvorhaben und Leerstand in der Innenstadt: Sorgt Sie diese Entwicklung, die es zuletzt auch in München zu beobachten gab?

Ich bin tatsächlich besorgt über die Zukunft der Innenstadt. Besonders, was die Struktur der Geschäfte betrifft. Viele gleichen sich, egal in welcher Stadt oder Fußgängerzone sie sich mittlerweile befinden. Traditionshäuser verschwinden. Gegen Leerstände können wir als Stadt nicht viel tun. Wir haben kaum Steuerungselemente und die betreffenden Gebäude gehören uns nicht, wie beispielsweise die Benko-Immobilien. Die Projekte stehen in Toplagen und werden langfristig gesehen auch wieder Premiumobjekte werden. Kritisch ist jedoch die Zwischenzeit. Was mich allerdings freut, ist, dass es gelungen ist, die vier Galeria-Kaufhof-Filialen in München zu erhalten, auch die am Rotkreuzplatz. Das war mir sehr wichtig und ich habe den ein oder anderen Kontakt im Hintergrund genutzt, um daran mitzuhelfen und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Haben Sie Herrn Benko jemals persönlich kennengelernt?

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Einmal war er bei mir im Büro, das war vor fünf oder sechs Jahren. Er wirkte sehr professionell, hatte die besten Architekten und Anwälte dabei. Es ging damals um die Planungen für die Schützenstraße und wir waren eigentlich ganz zufrieden, dass die Signa-Gruppe die ganze Zeile zwischen Hauptbahnhof und Stachus mit einer schönen Planung versehen hätte. Genau jene, die derzeit durch den Leerstand kein schönes Bild abgibt.

Zweifel an seinem Geschäftsmodell hatte es demnach nie gegeben?

Es gab für uns keinen Anhaltspunkt, wieso wir Herrn Benko dieses Projekt hätten untersagen sollen. Er war vielleicht kein Sympathieträger, aber städtebaulich und städteplanerisch war bei diesem Projekt alles in Ordnung. Dass sich am Ende alles als Schneeballsystem erweist, konnten wir nicht erahnen. Jetzt wird natürlich viel spekuliert. Im Nachhinein ist man immer schlauer.

Sie haben "Verwahrlosungstendenzen" in der Stadt ausgemacht und eine Taskforce für den Hauptbahnhof gegründet. Tun Sie das nur wegen der Europameisterschaft?

Nein. Der Hauptbahnhof ist derzeit nicht das Entrée der Stadt, wie ich es mir vorstelle. Immer wieder haben mich Bürgerinnen und Bürger darauf angesprochen. Und auch wenn der Alte Botanische Garten dem Freistaat gehört, will ich nicht akzeptieren, dass es in München Orte oder Parks gibt, die die Münchnerinnen und Münchner eher meiden. Deshalb war ich mit der Polizei vor Ort und habe eine Taskforce einberufen, um hier schneller zu Ergebnissen zu kommen. Etwa auch gegen den florierenden Drogenhandel im Alten Botanischen Garten. Das reicht von einfachen Maßnahmen, wie dem Entfernen von Tischtennisplatten und Bänken, bis hin zu mehr Beleuchtung und dem Rückschnitt von Büschen.

Es gibt seit Kurzem das Cannabis-Verbot für Volksfeste, Biergärten und etwa den Englischen Garten. Die Kommunen können darüber hinaus weitere öffentliche Flächen zur Verbotszone erklären. Wird es in München weitere geben?

Aus meiner Sicht klipp und klar: Nein.

Warum?

Das ist nicht notwendig. Es geht darum, vor allem Kinder und Jugendliche zu schützen. Das ist im Bundesgesetz ausreichend geregelt: Der Konsum in der Nähe von Minderjährigen ist verboten. Gleichzeitig muss es aber auch Möglichkeiten geben, diese Gesetzesänderung zu leben. Ich kann nicht überall Kiffen verbieten, wenn es im Bundesgesetz erlaubt ist. Und ich glaube auch nicht, dass jemand, der bislang nicht geraucht hat, plötzlich Cannabis konsumieren wird, nur weil es erlaubt ist. Man muss auch mal auf dem Boden bleiben.

Ist das Verbot für den gesamten Englischen Garten aus Ihrer Sicht notwendig gewesen?

Nicht zwingend. Der Englische Garten ist einer der größten Parks weltweit, da hätte es schon Freiräume gegeben. Aus meiner Sicht wollte Ministerpräsident Söder dieses Verbot für sich politisch nutzen. Ein bisschen wundern muss ich mich über die CSU-Staatsregierung schon, die immer ihre "Liberalitas Bavariae" vor sich herträgt und dann Verbote erfindet, weil es gerade politisch opportun ist. Insgesamt können wir mit der Regelung aber leben, das ruckelt sich schon ein.

München steht mit Konzerten wie dem von Sängerin Adele, mit der Europameisterschaft und mit vielen anderen Veranstaltungen und Festen vor einem kulturellen Jahrhundertsommer. Kommt die Stadt nicht an ihre Grenzen?

Dass wir Großveranstaltungen können, beweisen wir jedes Jahr mit dem Oktoberfest oder vor zwei Jahren mit den stimmungsvollen European Championships. Aber natürlich freuen sich nicht alle in München über Großereignisse. Das kann ich nachvollziehen, vor allem aus Sicht der Anwohner. Als Großstadt können wir aber schlecht Weltstars wie Adele ablehnen, die ihre Konzerte nur in einer einzigen Stadt in Europa gibt, und das ist hier in München. Das sagt ja schon auch was aus. Und seien wir mal ehrlich: Den meisten Menschen in München geht es alles in allem richtig gut. Wir wollen uns als Stadt auch entwickeln. Ein bisschen mehr Optimismus und Lebensfreunde könnten wir gebrauchen. Deshalb wollen wir uns auch wieder für die Olympischen Spiele bewerben.

In Dresden gab es Angriffe auf den SPD-Spitzenkandidaten sowie andere politische Vertreter. Beobachten Sie diese Entwicklung mit Sorge?

Der Angriff auf Matthias Ecke, ein Mitglied des Europäischen Parlaments, ist unerträglich und zeigt sehr deutlich, in welchem politischen Klima wir leben. Es ist auch nicht der erste Angriff auf Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Parteien in den letzten Tagen und Monaten. Diese Angriffe müssen allen Demokratinnen und Demokraten ein deutliches Signal sein, dass wir über die Parteigrenzen hinweg gegen die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammenhalten müssen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dieter Reiter
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