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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leserstimmen | Häusliche Pflege "Zerreißprobe zwischen Liebe und totaler Erschöpfung"
Menschen, die Angehörige pflegen, erbringen oft Höchstleistungen. Das bringt viele von ihnen an den Rand ihrer Kräfte.
Der Lebensgefährte hat einen schweren Schlaganfall erlitten oder ein Kind hat eine Behinderung: In vielen Familien in Deutschland gibt es Menschen, die überdurchschnittlich viel Zuwendung und Fürsorge benötigen. Mitunter beschäftigt das die Betreuenden rund um die Uhr. 80 Prozent der Pflegeleistung werden im häuslichen Umfeld erbracht, ein großer Teil davon im engen Familienkreis.
t-online hatte eine Lesermail einer pflegenden Angehörigen veröffentlicht, in der diese von ihrem stark belastenden Alltag berichtet. Hier können Sie die ganze Mail noch einmal lesen. Ihre Schilderungen haben Leserinnen und Leser, die selbst einen geliebten Menschen pflegen, angesprochen. Einige von ihnen haben sich bei uns gemeldet, um auf ihre eigene schwierige Situation aufmerksam zu machen.
"Braucht man von der Krankenkasse ein Hilfsmittel, bekommt man immer wieder eine Absage"
t-online-Leserin Monika Wieczorek: "Ich pflege meinen Mann seit 2016 zu Hause. Nach einem schweren Schlaganfall hat er die höchste Pflegestufe und ist zudem Diabetiker. Man hatte ihm die Schädeldecke entfernt, er hat einen Herzschrittmacher und einen Shunt. Braucht man von der Krankenkasse ein Hilfsmittel für zu Hause, bekommt man immer wieder eine Absage und muss Widerspruch einlegen. So musste ich für ein Pflegebett sogar ans Sozialgericht gehen. Das dauerte drei Jahre. Das macht einen fertig.
Mein Mann war zunächst zehn Monate in einem Pflegeheim, bis wir die behindertengerechte Wohnung fertig hatten. Das Heim bekam von der Pflegeversicherung 1.995 Euro und das nur für die Pflege. Ich musste noch 2.700 Euro draufzahlen für Unterkunft und Verpflegung. Zu Hause bekommt man als pflegender Angehöriger nur 901 Euro.
Am Pflegebedarf meines Mannes hat sich nichts geändert. Nur mache ich jetzt alles allein. Das finde ich nicht in Ordnung. An uns, die wir 24 Stunden zu Hause unsere Lieben versorgen, sollte auch gedacht werden. Ich glaube, es geht mir nicht allein so. Wir als pflegende Angehörige hoffen, dass sich da bald mal was tut und an uns gedacht wird."
"Menschen mit Behinderung als auch deren pflegende Angehörige sind abgehängt"
t-online-Leserin Mary Jaja: "Es werden nicht nur alte Menschen gepflegt, sondern auch eine Vielzahl von Menschen mit Behinderungen. Sowohl die Menschen mit Behinderung als auch deren pflegende Angehörige sind abgehängt. Entlastungsangebote wie Kurzzeitpflege oder umfangreiche Verhinderungspflege gibt es kaum.
Viele der Menschen brauchen rund um die Uhr Betreuung. Das leistet kein Pflegedienst. Wir pflegenden Angehörigen fallen durch jedes Netz. Wir kämpfen oft schon seit vielen Jahren. Dazu kommen noch die Zukunftsängste für uns und unsere Kinder, Geschwister oder sonstige Pfleglinge.
Was wird aus denen, wenn wir nicht mehr können? Einen Bonus gab es nicht. Vom Grundsicherungsamt gab es nur zehn FFP2-Masken. Wenn es einen Menschen mit Behinderung erwischt, nimmt man das in Kauf. Fakt ist: Pflege ist ein Armutsrisiko. Wer pflegt, bleibt arm. Obwohl gerade wir der Solidargemeinschaft eine Menge Geld einsparen."
"Psychisch ist es ein Problem, nicht rauszukommen"
t-online-Leserin Dagmar Walter: "Pflegende Angehörige haben keine Lobby. Den osteuropäischen Pflegekräften wurde jetzt durch ein Gerichtsurteil eine rechtmäßige Entlohnung zugesagt. Wir pflegenden Angehörigen machen das weiterhin aus Liebe und Pflichtbewusstsein. Allein, dass bei Kombipflege, wenn ein ambulanter Pflegedienst zur Unterstützung kommt, das Pflegegeld reduziert wird, ist eine Sauerei. Der pflegende Angehörige ist doch weiterhin 23 Stunden in Bereitschaft.
Monatlich hat man in der häuslichen Pflege einen Anspruch auf 125 Euro Entlastungsentgelt. Es ist nahezu unmöglich, jemanden zu finden, der einen dafür mal für einige Stunden am Stück entlastet. Man muss dafür entweder Verträge abschließen, bei denen man ordentlich draufzahlt, oder es reicht nur für zwei Stunden Alltagshilfe. Die brauche ich nicht. Ich möchte einfach mal vier oder fünf Stunden frei haben, um beispielsweise eine Radtour zu machen. Es ist frustrierend. Alles andere funktioniert: Hilfsmittel, ärztliche Versorgung, Therapie. Aber psychisch ist es ein Problem, nicht rauszukommen."
"Inkontinente Greise sind natürlich nicht schick"
t-online-Leserin Karen Heemann-Reinhardt: "Ich hätte vor einigen Jahren, als ich meine Mutter versorgte, nicht mehr die Kraft gehabt, meine Situation zu Wort zu bringen. Die Menschen, die die härteste Pflegearbeit leisten, werden am wenigsten gehört oder gar ernst genommen.
Für die Pflegenden ist es eine Zerreißprobe zwischen Gewissen, Liebe, totaler Erschöpfung, eigener Gesundheit und finanzieller Machbarkeit. Die Gesellschaft versündigt sich an den Menschen, die zu Hause gepflegt werden, ebenso wie an ihren Pflegenden. Das Thema gehört auf die Agenda der politischen Parteien! Aber inkontinente Greise sind natürlich nicht so schick."
"Die Politik sollte Gleichberechtigung herstellen"
t-online-Leserin Edith Jäkel: "Seit über vier Jahren pflege ich meinen Mann. Warum wird die häusliche Pflege nach dem jeweiligen Pflegegrad vom Staat und von den Krankenkassen finanziell weniger bewertet, als wenn die zu pflegende Person in einem Pflegeheim untergebracht ist? Geht man dann von dem gleichen Pflegesatz aus, der im Heim bezahlt werden müsste, ist der pflegende Angehörige benachteiligt. Er hat finanzielle Einbußen, wenn er seine Angehörigen zu Hause pflegt und seine Arbeitsstelle wegen der Pflege aufgeben muss. Die Pflege zu Hause besteht 24 Stunden und ist oft noch anstrengender als die Pflege im Heim. Dort hat man nach acht Stunden Feierabend.
Die Politik sollte Gleichberechtigung herstellen. Dann könnten viele Pflegebedürftige ihren Lebensabend im Kreise ihrer Angehörigen verbringen. Die angehörige Pflegeperson könnte sich mit ruhigem Gewissen um den Pflegebedürftigen kümmern.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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- Statistisches Bundesamt: Mehr Pflegebedürftige