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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angespannte wirtschaftliche Lage Alle warten auf den Crash
Der Börsenmonat September machte seinem Ruf alle Ehre. Der Dax ist unter seine 200-Tage-Linie gefallen. Steht nun ein neuer Bärenmarkt bevor?
Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt trübt sich ein, meldete vergangene Woche das monatliche Arbeitsbarometer des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Im September sank der Wert um 0,7 auf 99,8 Punkte und erreichte damit den niedrigsten Stand seit der Corona-Krise im Jahr 2020. Ein Wert unter 100 deutet auf eine negative Entwicklung hin. Mit Ausnahme der Corona-Monate April bis Oktober 2020 lag das seit 2011 in dieser Form entwickelte Barometer nie unter 100.
Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereiches, spricht von schwachen Arbeitsmarktaussichten, sieht aber ein Plateau erreicht. Noch immer liege die Beschäftigungsquote auf einem hohen Niveau. Das Ifo-Institut sieht die Lage pessimistischer. Das Beschäftigungsbarometer ist auf den niedrigsten Wert seit Februar 2021 gesunken. Der robuste Aufbau an Beschäftigung der letzten Monate sei zum Erliegen gekommen, so Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen.
E-Commerce schwächelt
Zu bestätigen scheint sich dieses Bild, wenn man auf den Online-Handel blickt. Auch hier ist der Aufwärtstrend gebrochen. Während es seit der Corona-Krise lange Zeit für Branchenschwergewichte wie Amazon, Otto oder Zalando nur eine Richtung gab, nämlich nach oben, stehen die Zeichen inzwischen auf Rezession.
Laut einer Studie des Kölner Handelsforschungsinstitutes EHI "E-Commerce-Markt Deutschland 2023" mussten die 1.000 umsatzstärksten Onlineshops bereits im vergangenen Jahr erstmals seit Studienbeginn im Jahr 2009 einen Umsatzrückgang hinnehmen, allerdings von einem sehr hohen Niveau.
Der rückläufige Trend könnte sich fortsetzen, glaubt Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereichs E-Commerce. Am Ende des Jahres werde sich zeigen, wie groß das Minus tatsächlich ausfalle. Bereits jetzt liegen die Umsätze im E-Commerce nach Angaben des Branchenverbandes bevh 13,7 Prozent unter Vorjahresniveau. Im besten Fall rechnen Experten mit einem Umsatzrückgang von 4,2 Prozent, sollte sich die Konsumlaune der Deutschen in der zweiten Jahreshälfte erholen. Im schlimmsten Fall rechnen die Experten des EHI mit einem satten Einbruch um 16,9 Prozent auf 64,6 Milliarden Euro.
Weniger Geld für Konsum
Viele Gründe für die Konsumzurückhaltung sind bekannt: Inflation, hohe Energie- und Lebensmittelpreise, aufgebrauchte Rücklagen. In einer Umfrage von YouGov im Auftrag des schwedischen Fintechs Anyfin sagt ein Viertel der Befragten, dass ihre Schulden in den vergangenen zwölf Monaten gestiegen sind. Um besser über die Runden zu kommen, versuchen viele, ihre Ausgaben zu reduzieren.
Noch deutlicher wird das Bild, wenn man die unlängst veröffentlichten Daten der Auskunftei Schufa betrachtet. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ratenkreditverträge in Deutschland sind im vergangenen Jahr um 30 Prozent auf gut 9,1 Millionen Abschlüsse gestiegen. Die Rückzahlung der Kreditraten, die einen Teil der monatlichen Budgets der Menschen aufzehrt, wird in den nächsten Monaten dafür sorgen, dass insgesamt weniger Geld für Konsum zur Verfügung steht.
JPMorgan-Analyst Marko Kalonovic bereiten zunehmende Kreditausfälle bei Privatkunden sowie Unternehmensinsolvenzen Sorge. Seiner Meinung nach bestehen Parallelen zur großen Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009. Aktien und Anleihen seien für ihn derzeit keine Kaufoptionen.
Wie reagiert der Dax
Dass der Dax seit Jahresbeginn eine außerordentlich starke Performance abgeliefert hat, dürfte in Anbetracht der vielen Probleme den ein oder anderen Privatanleger verwundert haben. Doch an der Börse gilt die eiserne Regel: "The Trend is your friend". Dass der Dax nach oben läuft, muss sich nicht zwangsläufig in der wirtschaftlichen Entwicklung widerspiegeln. Oft laufen Wirtschaft und Aktienindizes versetzt zueinander.
Der September steht aber allgemein für die schlechteste Jahresperformance und macht in diesem Jahr seinem Ruf alle Ehre. Der deutsche Leitindex Dax ist unter die 200-Tage-Linie gerutscht, für viele Anleger ein eindeutiges Zeichen der Schwäche. Seit seinem Hoch im Juli hat der Dax 6,6 Prozent verloren.
Die nächste Supportzone liegt weit unterhalb des jetzigen Standes bei 14.620 Punkten. Sollte diese Unterstützung gebrochen werden, könnte es bis auf das Tief aus dem Januar von 13.880 Punkten nach unten gehen. Die bisherige Jahresperformance ist immer noch positiv und liegt bei 10,8 Prozent. Aber die Lage ist alles andere als stabil. Solange die Marke von 15.450 Punkten zurückerobert werden kann, besteht die Chance auf eine Fortsetzung der Aufwärtsbewegung.
Keine Hilfe aus den USA
Im letzten Quartal des Jahres hoffen viele Anleger auf eine Jahresendrallye. In Wirklichkeit nutzen Großinvestoren diesen Zeitraum zum sogenannten Window Dressing (Bilanzkosmetik). Das heißt, sie setzen auf steigende Kurse bei den Aktien, die ohnehin schon gut gelaufen sind. Die Verlierer-Werte des Jahres werden verkauft und deren Kurse werden zum Jahresende weiter fallen. Jetzt in vermeintliche Schnäppchen zu investieren, wäre riskant.
Dass der Dax derzeit nicht auf Schützenhilfe aus den USA hoffen kann, zeigt die Schwäche der marktbreiten Indizes S&P 500 und Nasdaq. Die Aussicht auf nochmals steigende Zinsen hat die Stimmung der Anleger erheblich getrübt. Durch die Zinsaussagen der Fed deutet vieles darauf hin, dass die Leitzinsen auch für eine längere Zeit nicht mehr sinken werden.
Aktien werden derzeit als risikoreichere Investments angesehen als Anleihen. Mit kurzlaufenden US-Staatsanleihen ist eine risikolose Rendite von 5,4 Prozent möglich. Die US-Verbraucherstimmung trübte sich im September überraschend deutlich ein, teilte das Marktforschungsinstitut Conference Board mit. Eine nachlassende Konjunktur gepaart mit attraktiven Anleihezinsen, hohen Schulden und Zinssorgen sind keine gute Basis für nachhaltige Kurssteigerungen an der Börse.
Crash oder Rallye
Dass der Dax crasht, ist nicht ausgemacht. Neben vielen negativen Schlagzeilen gibt es auch Hoffnungsschimmer. Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht beispielsweise gerade bei kleineren Onlinehändlern Wachstum gegen den Trend. Laut EHI wuchsen hier die Umsätze um 7,3 Prozent. Während es nach Corona zu einem Boom im E-Commerce kam, sind die Angebote vielfältiger geworden und die Anzahl der Onlineshops hat sich vervielfacht. Inzwischen geben die Deutschen ihr Budget nicht nur bei Amazon und Co. aus, sondern auch in kleineren Onlineshops, die speziell auf ihre Wünsche zugeschnittene Produkte anbieten.
Die Kerninflationsrate in Deutschland sank im September auf 4,6 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Noch im August hatte die Inflationsrate bei 6,1 Prozent gelegen. Und in den USA einigten sich außerdem am Wochenende Demokraten und Republikaner beim Haushalt. Eine Haushaltssperre konnte vorerst abgewendet werden.
Blick in die Glaskugel
Dass Prognosen nicht eintreffen, ist eine Binsenweisheit. Dennoch finden sich überall Experten, die sich den Blick in die Glaskugel trauen. Goldman Sachs zum Beispiel rechnet mit einem Jahresendstand von 4.500 Punkten beim US-Leitindex S&P 500, die Citigroup mit 4.600 Punkten.
Nach einer Performance des Dax von 15,79 Prozent in 2021 und von minus 12,35 Prozent in 2022 wäre am Ende dieses Jahres ein positives zweistelliges Plus kein Grund zur Sorge. Sven Streibel von der DZ Bank Research sieht den deutschen Leitindex zum Ende des Jahres bei 17.000 Punkten. Durchschnittlich sehen Banken den Dax bei rund 15.000 Punkten für dieses Jahr.
In einem wirtschaftlich schwachen Umfeld, in dem der Markt nicht bereit ist, hohe Risikoprämien auf Aktien zu bezahlen, sollten Anleger ihr persönliches Risiko an die Lage anpassen, also lieber weniger tun. Sie sollten auch nicht ihre Aktien aufgrund eines prognostizierten Crashs verkaufen. Sollten sich die Märkte erholen, wäre es ein Fehler, nicht dabei zu sein. Wenn Sie dennoch in Einzelwerte investieren möchten, sollten Sie sich gezielt nach Unternehmen mit krisenfesten Geschäftsmodellen umschauen, die niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) aufweisen. Was das KGV aussagt, lesen Sie hier.
- Eigene Recherche
- tagesschau.de: "US-Kongress verabschiedet Übergangshaushalt"
- destatis.de: "Verbraucherpreisindex und Inflationsrate"
- wallstreet-online.de "S&P-Crash um 40% realistisch", "Steht ein Lehman-Moment bevor?"
- dzbank.de: "17.000 Punkte zum Jahresende"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa