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WWF-Ökonomin: "Dann ist die Katastrophe programmiert"


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Finanzsektor und Klimakrise
"Auch als Kleinanleger kann man etwas bewegen"


Aktualisiert am 10.12.2021Lesedauer: 5 Min.
Verbrannter Wald in der Türkei (Symbolbild): Noch lässt sich die Klimakrise begrenzen – aber nur, wenn sich auch Banken und andere Investoren nachhaltig ändern.Vergrößern des Bildes
Verbrannter Wald in der Türkei (Symbolbild): Noch lässt sich die Klimakrise begrenzen – aber nur, wenn sich auch Banken und andere Investoren nachhaltig ändern. (Quelle: temizyurek/Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Im Kampf gegen die Klimakrise gibt es einen Wirtschaftszweig, der besonders großen Einfluss hat: der Finanzsektor. Doch wandelt er sich nicht, hat das bittere Folgen. Eine Expertin erklärt, wo es hapert – und was die neuen EU-Regeln taugen.

1,5 Grad Celsius. Stärker soll sich die Erde nicht erwärmen. Doch damit das Ziel des Pariser Klimaabkommens eingehalten wird, muss sich die Welt komplett umstellen. Und dafür braucht es Geld, viel Geld.

Zwei bis drei Billionen US-Dollar sind nach Schätzungen pro Jahr an weltweiten Investitionen nötig. Diese bereitzustellen, ist auch Aufgabe der Finanzwirtschaft. Doch viele Banken haben das Thema Nachhaltigkeit noch gar nicht richtig verankert.

t-online sprach mit der WWF-Ökonomin Parisa Shahyari darüber, welche Schritte die Institute jetzt dringend gehen müssen, welche Weichen die Politik stellen muss und warum es sich für Bankkunden bald lohnen könnte, nachhaltiger zu leben.

t-online: Frau Shahyari, wenn wir den Klimawandel noch stoppen wollen, dann jetzt. Was hat das mit Bänkern, Börsen und unseren Ersparnissen zu tun?

Parisa Shahyari: Banken und Investoren haben einen großen Hebel, da sie entscheiden, wem sie unter welchen Bedingungen Geld geben und wem nicht. Daraus ergibt sich aber auch die Aufgabe für den Finanzsektor, das Geld dorthin zu leiten, wo es nachhaltig verwendet wird und wo es zum nachhaltigen Umbau unseres Wirtschaftssystems beiträgt.

Tut er das denn ausreichend?

Nein. Finanzmarktakteure wie Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften haben zwar das Problem erkannt, aber sie bewegen sich zu langsam. Es werden ganz andere Anforderungen als bisher an sie gestellt werden. Dafür sorgen schon die eigenen Kunden mit dem Wunsch, dass ihr Geld nachhaltig angelegt wird, aber auch die Gesetzgeber, die mehr Integration von Nachhaltigkeit in Produkten und Prozessen verlangen.

Inwiefern?

Wenn Banken Kredite an Unternehmen vergeben, deren Geschäftsmodell nicht zukunftsfähig ist oder das sich nicht ändert, weil sie etwa zu viel CO2 ausstoßen, müssen sie möglicherweise ihre Kredite abschreiben. Ähnlich ist es mit Investitionen in Unternehmen, die Klima und Biodiversität schaden. Mögliche Kurseinbrüche dieser Unternehmen können bei Investoren hohe Verluste verursachen. Sie sollten Nachhaltigkeit also nicht nur mitdenken, um der Welt einen Gefallen zu tun, sondern allein schon aus reinem Selbsterhalt.

Aber ist es kein Problem, wenn Banken ihr Geld plötzlich aus allen Sektoren abziehen, in denen der Bedarf für nachhaltigen Wandel besonders groß ist?

Die einen sagen, Investoren sollen sofort aus Unternehmen aussteigen, die klimaschädlich sind. Die anderen sagen, nur wenn ich das Unternehmen weiter im Portfolio habe, kann ich die Transformation der Unternehmen begleiten und auf die Veränderung hinwirken. Die Transformation wird viel Kapital erfordern, deshalb sollten Banken und Investoren sie mit passenden Finanzierungslösungen und aktivem Engagement begleiten.

Parisa Shahyari
Die Wirtschaftswissenschaftlerin setzt sich beim WWF Deutschland dafür ein, dass das Finanzsystem nachhaltiger wird. Dazu trägt auch die von ihr koordinierte Nachhaltigkeitsanalyse deutscher Banken bei, die im November dieses Jahres zum zweiten Mal erschienen ist. Nach dem Studium in Gießen arbeitete Shahyari rund acht Jahre als Finanzanalystin bei der DZ Bank in Frankfurt. Anschließend folgten Tätigkeiten im Solarsektor und im Bereich "Public Private Partnerships".

Sie haben sich kürzlich angeschaut, wie nachhaltig deutsche Banken in ihrer täglichen Arbeit agieren. Das Fazit: Es tut sich was, aber es reicht nicht. Wo hapert es besonders?

Es hakt insbesondere bei der konsequenten Umsetzung. Viele Banken haben zwar Nachhaltigkeitskriterien in ihren Gesamtstrategien definiert, aber bei keiner der Banken werden Nachhaltigkeitskriterien flächendeckend in allen Bereichen angewendet. Es reicht nicht, dass sich nur spezielle Teams mit dem Thema beschäftigen. Alle Mitarbeiter müssen geschult werden. Wichtig ist vor allem, die Vergütung an Nachhaltigkeitsziele zu knüpfen.

Wie meinen Sie das?

Boni sollten unter anderem davon abhängen, ob messbare Nachhaltigkeitsziele erreicht wurden. Für Privatkundenkredite spielt es meist keine Rolle, ob Sie sich von dem Geld zum Beispiel eine energieeffiziente Waschmaschine kaufen oder wie effizient das Gebäude wird. Banken sollten Kreditkonditionen so gestalten, dass Kunden einen Anreiz für möglichst umweltverträgliche Produkte bekommen.

Also günstigeres Geld für Häuslebauer, die besonders gut dämmen und eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach setzen?

Ja, genau. Bisher leiten Banken meistens nur die KfW-Kredite durch, bieten aber keine eigenen Produkte darüber hinaus. Wünschenswert wäre, dass Kunden flächendeckend günstigere Konditionen bekommen, wenn sie klimaverträglich bauen. Für Geschäftskunden gibt es solche Anreize zum Teil, aber auch da ist alles noch sehr nischig. Dabei gibt es gerade einen wahren Boom im Bereich nachhaltiges Bauen.

Das klingt, als seien die Kunden im Kopf oft schon weiter als die Banken. Kann man beim nachhaltigen Wandel seines Finanzinstituts nachhelfen?

Es lohnt sich immer zu fragen, nach welchen Kriterien Aktien ausgewählt werden. Zum Beispiel bei der Altersvorsorge. Entweder man entscheidet sich nur für grüne Anlagen oder man setzt auf die Wandelbarkeit der Unternehmen und legt auch dort an, wo es den guten Willen zur Besserung gibt. Auch als Kleinanleger kann man etwas bewegen, also ruhig nachhaken.

Viele Anleger sorgen sich bei rein grünen Anlagen um die Rendite. Muss man der Nachhaltigkeit seine Gewinne opfern?

Zahlreiche Studien zeigen, dass grüne Investments keinen Renditeverzicht bedeuten müssen. Beim Thema Nachhaltigkeit werden die Regeln für den Finanzmarkt zunehmend strenger.

Und wenn ich nur ein Sparkonto habe?

Bankkunden wissen häufig nicht, dass die Sparguthaben von der Bank genutzt werden, beispielsweise zur Finanzierung von Unternehmen. Es ist das Recht der Kunden ihre Bank zu fragen, was genau die Spareinlagen finanzieren oder wo sie investiert werden und nach welchen Kriterien.

Oder die Bank wechseln?

Das würde ich nicht unbedingt empfehlen.

Wieso?

Wenn Kundinnen und Kunden sich abwenden, ist das zwar ein Signal an die Geschäftsführung. Aber nur die Großbanken haben den nötigen Einfluss, um im Finanzsektor die Wende einzuläuten.

Große Baustelle für Banken
In der zweiten Ausgabe seines Bankenratings hat sich der WWF erstmals auch der Biodiversität gewidmet. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Welchen Einfluss ihre Arbeit auf die Vielfalt der Ökosysteme und Arten hat, ist den meisten Banken nicht bewusst. Nur wenige Institute haben Biodiversitätsaspekte in ihren Strategien und Leitlinien verankert. Auch misst keine Bank systematisch, wie ihre Portfolios wirken – auch weil es ihnen an Informationen von den Unternehmen fehlt. "Hier muss die Politik aktiv werden und strengere Offenlegungspflichten vorschreiben", sagt Shahyari.

Viele grüne Versprechen sind in Wahrheit eine Werbelüge. Wie weiß ich als Laie, ob ich einem anscheinend nachhaltigen Anlageangebot vertrauen kann?

Das Problem gibt es in vielen Bereichen. Im Finanzsektor gilt dasselbe: Nur weil grün draufsteht, ist nicht unbedingt grün drin. Für Investoren ist diese fehlende Transparenz ebenso hinderlich wie für Kleinanleger.

Dabei gibt es Qualitätssiegel sogar für Hundefutter. Wieso nicht in der Finanzwelt?

Oh doch, die gibt es. Und genau das ist die Crux: Es gibt sehr viele Siegel und Klassifizierungen, so dass die Verbraucher gar nicht mehr wissen, woran sie sind. Hier muss die Regierung einheitliche Regeln schaffen.

Die Europäische Kommission will mit einem neuen Regelwerk für mehr Klarheit sorgen. Das Ganze heißt EU-Taxonomie und legt Mindeststandards dafür fest, was als nachhaltiges grünes Investment gelten darf. Ist das die Lösung?

Was in Brüssel gerade auf den Weg gebracht wird, könnte revolutionär werden. Wir bekommen damit eine einheitliche Bewertungsgrundlage anstelle der verschiedenen nationalen und meist freiwilligen Kriterien, die bisher galten. Der Goldstandard ist es aber nicht.

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Weil zum Beispiel auch Investitionen in Erdgas- und Atomprojekte als nachhaltig gelten sollen?

Die Taxonomie ist kein völlig wissenschaftsbasierter Kriterienkatalog, Gas und Kernenergie lassen sich auf Basis der Wissenschaft nicht als grün einstufen.

Wie muss es weitergehen?

Selbst die besten Kriterien bringen nichts, wenn man keine Daten hat, gegen die man sie abgleichen kann. Viele Unternehmen stellen beispielsweise weiterhin nicht alle relevanten Informationen über ihre Emissionen zur Verfügung. Das muss sich dringend ändern. Der Finanzmarkt ist auf Nachhaltigkeitsdaten der Unternehmen angewiesen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Eine Aufgabe für die neue Bundesregierung?

Auf jeden Fall. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Ampelparteien verstehen, wie wenig Zeit dafür bleibt.

Das heißt, wenn wir nicht bald an Tempo zulegen, können wir unsere Klimaziele vergessen?

Die wissenschaftlichen Studien sprechen für sich: Wir haben nicht viel Zeit, um die Klimaerhitzung zu stoppen. Uns bleiben keine zehn Jahre, um auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Abkommens zu kommen. Ob wir das schaffen, steht und fällt mit der Transformation der Unternehmen, die auf das Kapital von den Banken angewiesen sind. Wenn die neue Regierung das nicht auf dem Zettel hat, ist die zunehmende Klimakatastrophe programmiert.

Frau Shahyari, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Parisa Shahyari
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