Für TV-Doku Neandertaler-Frau bekommt nach 75.000 Jahren ein Gesicht
Sie war Mitte 40 und lebte im heutigen Irak. Ihre Zähne waren fast bis auf die Wurzeln abgenutzt – nun hat die Neandertalerin aus der Schanidar-Höhle ein Gesicht.
Wie wäre es wohl, einem Neandertaler in die Augen zu schauen? Die niederländischen Künstler Adrie und Alfons Kennis haben jetzt genau das möglich gemacht und gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Cambridge einen Kopf in 3-D rekonstruiert – unter schwierigsten Voraussetzungen.
Warum? Der Schädel, der als Basis für die Rekonstruktion diente, gehörte zu dem Skelett einer etwas über 40 Jahre alten Frau. Ihre 75.000 Jahre alten Überreste waren 2015 von britischen Archäologen aus Cambridge in der Schanidar-Höhle im Irak gefunden worden. Zuvor waren mindestens zehn Neandertaler in den 1950er-Jahren an gleicher Stelle entdeckt worden.
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"Schädel war flach wie eine Pizza"
Das Problem: Der Schädel der Frau war, wahrscheinlich durch herabfallendes Gestein aus der Decke der Höhle, auf eine zwei Zentimeter dicke Platte zusammengequetscht worden. Das berichtet der britische Sender BBC, der die Arbeit der Forscher für eine Netflix-Dokumentation begleitete. "Der Schädel war im Grunde so flach wie eine Pizza. Es ist schon bemerkenswert, wie daraus jetzt ein menschlicher Kopf geworden ist", sagte Grabungsleiter Graeme Barker dem Sender.
Um den Schädelknochen wieder in seine ursprüngliche Form zu bekommen, puzzelte ein archäologischer Restaurator im wahrsten Sinne des Wortes mehr als ein Jahr lang. Danach wurde der Schädel gescannt und ein 3-D-Abdruck an die Brüder Kennis übergeben. Sie gaben schon etlichen urzeitlichen Menschen Gesichter und gelten als Koryphäen auf dem Gebiet.
Wer waren die Neandertaler?
250.000 Jahre lang bestanden die Neandertaler erfolgreich gegen die Widrigkeiten ihrer Zeit. Vor etwa 40.000 Jahren starb die Menschenart aber aus. Wissenschaftler streiten sich über den Grund. Rottete der moderne Mensch (Homo sapiens) den Neandertaler aus? Oder brachten sie mangelnde Abwehrkräfte gegen neue Krankheitserreger an ihr Ende? Auch eine hohe Kindersterblichkeit und Fortpflanzungsschwierigkeiten sowie der Ausbruch eines Supervulkans vor 40.000 Jahren werden als Gründe diskutiert. Obwohl die Neandertaler ausgestorben sind, lebt ein Teil ihres Erbguts (ein bis vier Prozent) bis heute in uns Menschen fort. Das beweist auch, dass es zu Vermischungen zwischen Neandertalern und dem modernen Menschen kam, als beide Menschenformen zur selben Zeit in Europa und im Nahen Osten lebten.
Mitte 40 und damit am Ende ihres Lebens
Wer war die Neandertalerin aus der Schanidar-Höhle? Was die Forscher wissen, ist, dass die Frau mit Mitte 40 starb. Darauf hätten ihre fast bis zu den Wurzeln abgenutzten Zähne hingedeutet. "Wenn die Zähne so abgenutzt sind, ist das Kauen nicht mehr so effektiv wie früher – sie konnte sich nur noch schlecht ernähren", erklärte Paläontologin Emma Pomeroy der BBC. "Wir haben auch noch andere Anzeichen für eine schlechte Zahngesundheit gefunden – einige Infektionen und auch eine Zahnfleischerkrankung. Ich denke, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits das natürliche Ende ihres Lebens erreicht hatte."
- bbc.com: "Face of 75,000-year-old Neanderthal woman revealed" (englisch)
- University of Cambridge: "SHANIDAR Z: What did Neanderthalsdo with their dead?" (englisch)