Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kolumne "Im Netz" Dreiste Lügen werden zu Boostern
Donald Trump ist seinem Traum von einer zweiten Amtszeit einen Schritt nähergekommen. Und wir alle damit dem Albtraum namens KI-generierte Lügen.
New Hampshire also: Donald Trump hat dort seine einzige verbliebene innerparteiliche Rivalin Nikki Haley in den Vorwahlen nicht so haushoch, wie von ihm gewünscht, aber doch eindeutig genug geschlagen. Es wäre ein Wunder, würde er nach diesem Erfolg nicht für die Republikaner ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur gehen. Und ein noch größeres Wunder (was ist denn eigentlich die Steigerung von Wunder?) wäre es, wenn die kommenden Monate bis zur Wahl nicht alles bisher Dagewesene an Schmutz und Skrupellosigkeit in den Schatten stellen würden. New Hampshire kann seit heute als Türöffner für einen von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerten Wahlkampf betrachtet werden, der neue Maßstäbe setzen wird. Gefährliche Maßstäbe.
Denn schon vor der Abstimmung hatte mutmaßlich das Trump-Lager KI eingesetzt: Amtsinhaber Joe Biden, der zur Wiederwahl antritt, rief vor der Wahl Bürger von New Hampshire an und bat sie, nicht wählen zu gehen – so sollte es zumindest klingen. Natürlich hat Biden das nicht getan. Seine Stimme war gefälscht worden – sie wurde mithilfe von KI imitiert.
Wo Anstand als Schwäche gilt
Das dürfte nur ein Vorgeschmack sein auf den längst befürchteten politischen Missbrauch von KI in diesem Superwahljahr. Und es ist keine Überraschung, dass Trump vor denkbar schmutzigen Tricks nicht zurückscheut. Um mal aus seiner Perspektive zu argumentieren: Warum sollte er auch? Da wäre er ja schön doof. Wohlgemerkt, aus seiner Perspektive. Seine Anhängerschaft würde das nicht belohnen, im Gegenteil: Wo Anstand als Schwäche gilt, da dient die möglichst dreiste Lüge als Booster. Trump ist dafür der lebende Beweis. Demnächst womöglich auch der wieder amtierende.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihren Blog findet man hier.
Aus Trumps erster Amtszeit stammt die Formulierung "alternative Fakten": Seine damalige Beraterin Kellyanne Conway versuchte damit, ein Wort zu vermeiden: das Wort Lüge. Denn ein Sprecher Trumps hatte – ganz im Sinne seines von Superlativen schwer abhängigen Bosses – die Zahl der Zuschauer bei Trumps Amtseinführung schamlos nach oben geschraubt. Glaubte man den Angaben, so war die gesamte Weltwirtschaft am 20. Januar 2017 beinahe zum Erliegen gekommen – weil nahezu die gesamte Weltbevölkerung zu Ehren Trumps nach Washington gereist war.
Nahezu teuflisch
Allerdings stützten weder Luftaufnahmen noch Zählungen die hoch gegriffenen Behauptungen des Weißen Hauses. Auf die Frage, warum ein Sprecher des Präsidenten dessen Unwahrheiten verbreite, wählte Conway die kreative Formulierung "alternative Fakten". Und dies im Brustton der Überzeugung, dass es auch eigentlich egal ist: Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, kann man das Offensichtliche trotzdem umbiegen. Es gibt genug Leute, die sich eine Ente als Dackel verkaufen lassen – und mindestens genau so viele, die es besser wissen, aber trotzdem mitmachen.
Und zwar aus niederen Beweggründen: Weil es ihnen Machtpositionen sichert. Weil es Rachegelüste befriedigt. Oder einfach aus purer, sadistischer Lust, die immer verzweifelteren Versuche derer zu beobachten, die auf das Prinzip "Tugend" setzen – zumindest im bis dato gültigen Rahmen. Niemand auf dieser Welt und erst recht nicht in der Politik ist ohne Sünde – aber dieser neue Angang mutete nahezu teuflisch an.
Diese Episode gleich zu Beginn von Trumps Amtszeit ist im Vergleich zu vielem, was schon im Wahlkampf zuvor und in den fünf Jahren danach passierte, geradezu harmlos. Es ist nur folgerichtig, dass Trump mit seinem Gespür für den Zeitgeist, für das postfaktische Zeitalter, auch in puncto technische Errungenschaften up to date bleibt. KI ist verfügbar, also wird er KI auch benutzen. Die Hinweise verdichten sich, dass nichts von dem, was Trump bisher eingesetzt hat, ihm geschadet haben könnte.
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AfD hat KI längst für sich entdeckt
Uns allen aber durchaus. Eine Binse besagt, dass Entwicklungen aus den USA mit Zeitverzögerung zu uns rüberschwappen. Diese Binse stimmt nicht. Mittlerweile erreichen uns Phänomene quasi in Echtzeit. Die AfD, nicht allzu überraschend, hat das Thema KI längst für sich entdeckt. Abgeordnete wie der als (für AfD-Verhältnisse) gemäßigt geltende Norbert Kleinwächter bringen die notwendige Mischung aus Skrupellosigkeit und Nachsicht gegenüber sich selbst mit, um auf diesen Zug aufzuspringen: Kleinwächter macht ganz im Sinne seiner teils rechtsextremen Partei Stimmung gegen Flüchtlinge und Migranten. Dafür verwendet er in den sozialen Netzwerken gerne KI-generierte Bilder, auf denen Migranten ausschließlich männlich, aggressiv und als bedrohlich dargestellte Figuren abgebildet sind. Darauf angesprochen, spielt er das Problem herunter: Es handle sich ja nicht um Fotos, sondern um Grafiken. Das würden die Leute schon verstehen.
Aktuell versucht die AfD, die eigene Skrupellosigkeit gegen andere zu richten. So behauptet etwa der Rechtsextremist Björn Höcke, Demobilder aus Hamburg seien gefälscht. Anders als Trump behauptet er nicht, dort seien mehr Menschen gewesen. Natürlich nicht: Sehr viele der Zehntausende, die in den vergangenen Tagen in Hamburg und vielen anderen Städten auf die Straße gegangen sind, tun dies aus Protest gegen Höckes Partei.
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Und so suggeriert der Thüringer AfD-Co-Chef beispielsweise auf X (vormals Twitter), die Bilder seien manipuliert. Und um auch noch mal ganz sicherzugehen, schreibt er von einer "bestellten Masse". Dass die Fotos manipuliert wurden, ist inzwischen mehrfach widerlegt worden. Und wir alle können getrost davon ausgehen, dass sich bereits Belege den Weg an die Öffentlichkeit erkämpft hätten, wären diese Menschen "bestellt". Aber natürlich bleibt etwas hängen, bleibt der Zweifel – oder bleibt einfach nur die johlende Freude derer, die gar nicht auf Argumente oder Beweise der Gegenseite warten. Denn das ist egal, darum geht es nicht mehr.
Es geht ihnen nicht um Wahrheit. Es geht ihnen um Gefühle. Um Restzweifel. Und dafür ist KI ein perfektes Werkzeug. Wir werden es künftig noch oft im Einsatz sehen. Oder anders formuliert: Wenn wir sehen, dass es im Einsatz war, ist das gut. Es steht zu befürchten, dass wir es oft nicht erkennen. Die Wahrheit stirbt dann viele Tode. Ein Albtraum. Das Superwahljahr wird zum Super-Fake-Jahr.
- Eigene Meinung