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Elon Musk und Aktenzeichen X: Der Kommissar geht um


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Der DSA-Kampf ums Netz
Dieser Kommissar nimmt Elon Musk jetzt ins Visier

  • Lars Wienand
Aus Brüssel berichtet Lars Wienand

18.10.2023Lesedauer: 8 Min.
Rebell und Kommissar: Elon Musk bekommt zunehmend Probleme mit EU-Vertreter Thierry Breton.Vergrößern des Bildes
Rebell und Kommissar: Elon Musk bekommt zunehmend Probleme mit dem EU-Vertreter Thierry Breton. (Quelle: ABACAPRESS2023, NurPhoto, Getty, Images, Montage: U.Frey/t-online/imago-images-bilder)

Die Propagandaschlacht im Gaza-Krieg hat noch einen ganz anderen Kampf losgetreten: Europa gegen Elon Musk. Was will EU-Kommissar Breton, was kann er ausrichten?

Elon Musks Versagen landet jeden Morgen um 8.30 Uhr auf dem Rechner von Thierry Breton. Der EU-Verantwortliche für Binnenmarkt und Verbraucherschutz will von seinen Mitarbeitern eine Zusammenstellung dessen, was auf der Plattform X (vormals Twitter) in der Nacht wieder gefährlich schiefgelaufen ist.

Es wird ungemütlich für Elon Musk, der auf sein Netzwerk gesperrte Neonazis zurückgeholt hat, "Free Speech" über alles stellt, Moderatoren massenhaft vor die Tür gesetzt hat und seine eigene neurechte Agenda pusht. Jetzt geht der EU-Kommissar um, und X ist das Schlachtfeld. t-online hat sich in Brüssel umgehört, wie ernst es für X ist, wie der Kampf des Regulierers gegen den Internet-Anarchisten läuft und wieso es auch an Deutschland liegen kann, wenn die EU erst verspätet voll zuschlägt.

Darum wird gekämpft: Die EU will sicherstellen, dass gut sichtbare illegale und schädliche Inhalte zeitnah aus dem Netz verschwinden. "Sie dürfen niemandem im physischen Leben zusetzen, das können Sie auch im digitalen nicht", sagt der Kommissar. "Das war ein großes Bedürfnis unserer Bürger." Plattformen wie X oder Facebook sollen aber auch sicherstellen, dass nicht durch Desinformationskampagnen Wahlen beeinflusst werden. Die Idealvorstellung ist, dass Musk, Zuckerberg & Co. mitziehen und Nutzungsbedingungen und Abläufe der Netzwerke so gut sind, dass die Kommission nichts zu tun hat. Die Realität sieht leider teilweise anders aus.

Diese Waffe hat der Kommissar: Um aktuell vor allem Musk disziplinieren zu können, greift der Kommissar auf ein EU-Gesetz zurück, den Digital Service Act (DSA). Noch nie gab es in der westlichen Welt einen so weitgehenden Rahmen zur digitalen Regulierung. "Es ist das erste Mal in der Welt, dass Plattformen Regeln folgen müssen, die von Demokratien aufgestellt wurden."

Das Gesetz gilt seit dem 25. August für Online-Anbieter mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU, für Netzwerke wie Facebook, YouTube oder Instagram ebenso wie für WhatsApp oder Amazon. Im Gesetz werden sie zusammengefasst als Very Large Online Platforms (VLOP). Unter diesen VLOPs ist X bisher der Flop. Musk hat die meisten Probleme, Musk gibt sich öffentlich uneinsichtig. Breton sagt, es sei viel Zeit damit verbracht worden, den Plattformen die Regeln zu erklären. "Alle haben gesagt, sie haben verstanden. Ich bin jetzt nicht zum Plaudern da, ich bin da, die Regeln durchzusetzen." Deshalb hat er Briefe an einige der Netzwerke mit Fragen zur Einhaltung öffentlich gepostet. Es war der Auftakt zum Schlagabtausch.

Diese Zweifel haben Kritiker an der Mission der EU: Es geht den VLOPs aber auch um den Aufwand – angemessen und auch nicht zu viel aufzuräumen verlangt geschulte Moderatoren. "Schädliche Inhalte", das meint etwa auch Desinformation. Da wird es schwierig – und besorgte Stimmen werden laut: Der Staat darf sich nicht als Jury darüber aufspielen, was wahr und was Desinformation ist. Besonders Musk argumentiert mit Gefahr für die Meinungsfreiheit in den Plattformen und warnt vor Bevormundung durch Regierungen.

Breton wiegelt dazu ab: Es gehe der EU nicht um die Entscheidung über einzelne Fragen, sondern um systemisches Vorgehen, um Strukturen. Sein Beispiel: Monate vor der Wahl in der Slowakei, in der Desinformation ein großes Thema war, habe Facebook nur einen einzigen Faktenchecker mit Sprachkenntnis beschäftigt. Zur Wahl waren es mehrere – und die EU-Kommission war besänftigt. Aufgabe der Plattformen sei es nach dem DSA, von ihnen ausgehende "systemische Risiken" zu bewerten und zu mindern – also auch Desinformation. Musk hat hier ein Problem: Er hat sich mit seinem Netzwerk aus der freiwilligen Selbstverpflichtung der Plattformen im "Code of Practice on Disinformation" zurückgezogen. Der ist aber jetzt durch den DSA verpflichtend.

Deshalb eskaliert es jetzt: Dass die Portal-Aufseher schon zum Großeinsatz kommen, war nicht geplant und das Team auch nicht vorbereitet: Der Krieg der Hamas mit Israel mit erschütternden Bildern warf alle Pläne über den Haufen. Nicht nur die Terroristen fluteten das Netz mit grauenhaften Szenen, mit Bildern ihrer Entführungsopfer will die Hamas Druck machen.

Meta gab einen Einblick: Auf Facebook wurden in den ersten drei Tagen nach dem Angriff fast 800.000 Beiträge auf Arabisch und Hebräisch entfernt oder als verstörend markiert, die Zahl täglich gelöschter Beiträge versiebenfachte sich. In der Kommission müssen sich jetzt mit erschütternden Bildern auch Mitarbeiter herumschlagen, die erst psychologisch auf solche Momente vorbereitet werden sollten.

Deshalb ist Musk im Fokus: Breton zählte schon in der Vergangenheit Netzwerke und deren Besitzer öffentlich an – erst im Juni Mark Zuckerberg wegen Pädophilenringen auf Instagram: "Metas freiwilliger Kodex zum Kinderschutz scheint nicht zu wirken", erklärte er. "Zuckerberg muss das erklären und sofort handeln." Mit Inkrafttreten des DSA im August müsse Zuckerberg Maßnahmen präsentieren. Meta handelte.

Meta war auch besser auf die Entwicklung im Gaza-Krieg vorbereitet als X. Dort wurden verstörende Bilder schlechter vor Nutzern verborgen. Axel Bruns, deutscher Professor für Medien- und Kommunikationsforschung der Queensland University of Technology, sieht auch eine frühere Stärke von X ins Gegenteil verkehrt: "Die sekundenschnelle Berichterstattung aus aktuellen Krisengebieten wird nun schnell von Spam und Desinformationen überwältigt, und verlässliche Informationen kommen kaum noch durch." X bekam den ersten Schuss vor den Bug aus Brüssel: Bitte Antwort binnen 24 Stunden!

So läuft der Schlagabtausch jetzt: Elon Musk forderte auf seiner Plattform zunächst trotzig öffentlich Belege für Fehlverhalten. Hinter den Kulissen gab es aber umgehend Kontakte zu den Aufsehern. Das Antwortschreiben kam, wenn auch zwei Stunden nach Ablauf der Frist von Musks CEO Linda Yaccarino. Hunderte Konten seien gelöscht. Die Antworten überzeugten die EU aber nicht. Es folgte der nächste Brief: Musk muss zeigen, wie seine Mechanismen für Krisenlagen wie den Gaza-Krieg aussehen. Diese Frist läuft an diesem Mittwoch ab. In Brüssel gibt es große Zweifel, dass X mit seinem zusammengeschrumpften Termin die Lage angemessen meistern kann.

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Wenn die Antworten nicht überzeugen, dürfte eine formale Untersuchung folgen, die bis hin zu Vernehmungen und Inspektionen in den Räumen von X und Dienstleistern gehen kann. Die EU kann sogar anordnen, dass X beispielsweise abgeschaffte Teams wieder einsetzt. Sollte ein schwerer Verstoß festgestellt werden, drohen dem Netzwerk Strafen von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Auch für den Extremfall, dass Musk sich um alles gar nicht schert und es auf X noch schlimmer wieder, gibt es eine Möglichkeit: Bretons Haus kann nach wiederholten schwerwiegenden Verstößen sogar über die Mitgliedsstaaten als allerletztes Mittel Richter auffordern lassen, den Zugriff in der EU vorübergehend zu blockieren.

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Das ist der Musk-Jäger: Musk hat es mit einem Mann zu tun, der weiß, wie Superreiche ticken und wie sich CEOs von Tech-Konzernen fühlen. Bevor Thierry Breton 2019 ins EU-Amt gewählt wurde, gab es Diskussionen um seine Nähe zu einem Mann, der sich mit Elon Musk an der Spitze der reichsten Männer der Welt abwechselt: Es ging um Bretons mögliche Rolle als Verwalter des Vermögens von Bernard Arnault, Mehrheitseigentümer des Luxusgüter-Konzerns LVMH (Louis Vuitton, Moët & Chandon, Hennessy).

Bretons eigenes Vermögen aus Vorstandsbezügen und Aktien soll sich auf mehr als 200 Millionen Euro belaufen. Es stammt zum großen Teil aus Vorstandsbezügen und Aktien. Breton war Chef des französischen IT-Riesen Atos, leitete France Telecom und Orange. Meist kam er als Sanierer – und jetzt will er das Internet reparieren. Und angeblich nächster Kommissionspräsident werden, heißt es immer wieder.

Der 65-jährige Katholik kommt aus dem konservativen Lager, war zwischen seinen Wirtschaftsjobs auch immer wieder in der Politik, regierte 2005 bis 2007 als Superminister für Wirtschaft und Finanzen Frankreich mit. Danach unterrichtete er Ökonomie an der Eliteuniversität Harvard in den USA. Als junger Mann schrieb Breton international übersetzte Thriller und Science-Fiction-Bücher.

Diese Truppen hat der Kommissar: Breton stehen in der Kommission für die Umsetzung des DSA drei Teams mit bislang zusammen 90 Beschäftigten zur Verfügung, dazu kommt ein 20-köpfiges Data-Science-Team in Sevilla. Für viele von ihnen ist neu, dass sie jetzt als Aufsicht oder sogar als Ermittler arbeiten, die mit Polizeibegleitung Durchsuchungen bei Portalen oder deren Dienstleister durchführen und Zeugen befragen können. Der Leiter der Einheit "Digital Services and Platforms", der Deutsche Prabhat Agarwal, promovierter Physiker, arbeite am Limit, heißt es.

Verstärkung naht, im nächsten Jahr soll die Zahl der Beschäftigten auf 123 in der Kommission und 30 Datenexperten wachsen. Worüber in der Kommission nicht gesprochen wird: Offenbar sind Insider von den Plattformen im Boot. Dazu heißt es nur vage: Auch von Musk vor die Tür gesetzte Experten suchten natürlich neue Aufgaben.

Diese Zuträger hat der Kommissar: Insgesamt leben die DSA-Wächter von Hinweisgebern und bauen dazu ein Netzwerk auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen auf. Breton nannte namentlich "Hate Aid", ein deutscher Verein zum Kampf gegen Hasskampagnen im Netz. Vor allem aber liefern Sicherheitsbehörden zu – aktuell schickt Europol Belege, wie vor allem von Hamas-Sympathisanten Gewaltverherrlichung und -aufrufe verbreitet werden und welche X Probleme damit hat.

Diese Hinweisgeber haben auch einen direkten Draht zu den Netzwerken, können dort "trusted Flagger" sein. Wenn sie als "vertrauenswürdige Markierer" dort wegen Inhalten Alarm schlagen, müssen die schneller reagieren als binnen 24 Stunden. Sie haben aber deshalb auch einen guten Überblick, wie Portale damit umgehen. Ihre Berichte werden für die Beurteilung der Kommission sehr wichtig.

Diese Verstärkung bekommt der Kommissar aus den EU-Ländern: Die EU-Mitgliedsländer müssen ab dem 17. Februar auch eigene Stellen für den DSA einsetzen, "nationale Koordinatoren". Die sollen sich um kleinere Netzwerke kümmern und die EU bei den VLOPs unterstützen. Irland beispielsweise, das bei der Durchsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung viel Kritik einstecken musste, stellt dazu nach Informationen der Kommission mehrere Hundert Mitarbeiter ein.

Deshalb hakt es mit Verstärkung aus Deutschland: In Deutschland fehlt noch das Gesetz, wer überhaupt zuständig sein wird für Probleme bei den Netzwerken. Hier gibt es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Teilbereiche des DSA abdeckte und davon abgelöst ist. Zuständig für Einhaltung der Regeln und darin inzwischen kompetent war das Bundesamt für Justiz. Auch mit dem hat Musk schon Ärger – es läuft dort weiter ein von Privatpersonen ausgelöstes Bußgeldverfahren wegen schlechten Umgangs mit Nutzerbeschwerden zu unzureichenden Löschungen.

Das direkt der Regierung unterstellte Amt darf aber nicht Bretons verlängerter Arm sein: Unabhängigkeit von der Regierung ist eine EU-Vorgabe aus Sorge mit Blick auf Länder mit autoritären Tendenzen. Ein Gesetzentwurf fürs "Digitale-Dienste-Gesetz" sieht die Bundesnetzagentur als Brüssels verlängerten Arm vor.

Antwort von der Agentur an t-online: "Die Bundesnetzagentur plant, einen Aufbaustab zur Errichtung der Koordinierungsstelle für die notwendigen inhaltlichen, organisatorischen und technischen Vorbereitungsarbeiten einzurichten." Denkbar, dass die Bundesnetzagentur federführend mit Fachleuten des Bundesamts für Justiz arbeitet.

Deshalb hat Breton noch nicht volle Schlagkraft: In Brüssel gibt es Bedenken, ob Deutschland – oder auch andere Länder – bis zum 17. Februar handlungsfähig ist. Das kleinere Problem ist noch, dass sich niemand bis dahin so richtig für neue Beschwerden von Nutzern über die Netzwerke zuständig fühlt. Folgenreicher ist: Für Sanktionen mit großer Tragweite gegen Portale braucht Breton ein Gremium mit den nationalen Koordinatoren. Intern hofft Brüssel, dass dieses Board zumindest im März steht. Erst dann kann Breton die ganz scharfen Schwerter auspacken.

Verwendete Quellen
  • Eigene Gespräche
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