Baerbock beim G7-Treffen in Italien Es ist tragisch
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Krieg oder Eskalation im Nahen Osten: Das G7-Treffen in Italien ist für die führenden westlichen Staaten ein Kampf gegen die Hoffnungslosigkeit. Auch die Außenministerin kämpft gegen Windmühlen.
Von der Insel Capri berichtet Patrick Diekmann
Es ist fast schon eine Untertreibung. Als Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstagmorgen beim G7-Treffen auf der italienischen Urlaubsinsel Capri vor die Presse tritt, spricht die deutsche Außenministerin von "stürmischen Zeiten". Kein Wunder. Am Vorabend setzte sie mit ihrem britischen Amtskollegen David Cameron von Neapel mit einer Fähre über. Die Italiener hatten für die einstündige Fahrt ein Schiff nur für die deutsche und britische Delegation organisiert. Der Wellengang war hoch, das Schiff mit Baerbock und Cameron wurde durchgeschüttelt.
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Baerbock greift am Tag danach diese Erfahrung auf, macht die stürmische Schifffahrt zum Sinnbild für die aktuelle Krisenzeit. Beim G7-Treffen der Außenministerinnen und Außenminister ringen die einflussreichsten westlichen Industriestaaten um einen gemeinsamen Kurs im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, mit dem Krieg im Gazastreifen und dem Angriff des Iran gegen Israel. Es ist ein mühsamer und komplizierter diplomatischer Kraftakt für die G7, wie in der Diplomatie liegt der Teufel im Detail.
Auf der italienischen Insel wird am Donnerstag darüber diskutiert, wie eindringlich die sieben westlichen Industrienationen Sanktionen gegen den Iran einfordern sollen. Es geht darum, wie deutlich sie ihre eigenen Anstrengungen intensivieren werden, um mehr Luftverteidigung für die Ukraine zu mobilisieren. Zwei Kriege müssen gestoppt werden. Es wird emotional: Weil die Lage für die Ukraine immer hoffnungsloser wird und sie dennoch nicht die nötige Unterstützung erfährt. Denn mitten im Krisengewitter treibt das westliche Schiff zunehmend antriebslos und passiv im Meer.
Katastrophe im Nahen Osten verhindern
Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten laufen für die G7 derzeit in die falsche Richtung. Sie zeigen: Der westliche Einfluss in der Welt schwindet – eine Gefahr, besonders mit Blick auf die Zukunft der globalen Ordnung. Der Krisensturm bläst aber auch Deutschland mitten ins Gesicht, und die Bundesregierung findet sich innerhalb der G7 in der Rolle wieder, ihre Partner zu mehr Mitarbeit zu animieren.
Zusammen mit den USA gehört die Bundesrepublik im Umgang mit dem Iran und mit der humanitären Katastrophe im Gazastreifen zu den treibenden Kräften. Das funktioniert mehr schlecht als recht. Es brennt an vielen Stellen lichterloh, doch Baerbock ist international lediglich mit einer Wasserpistole unterwegs. Das wird auch auf Capri deutlich.
Baerbock war vor dem G7-Treffen in Israel, traf unter anderem den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu kurz nach dem iranischen Angriff auf Israel mit 300 Raketen und Drohnen in der Nacht zu Sonntag. Im Kreise der G7 informiert die Außenministerin ihre Amtskolleginnen und Amtskollegen am Donnerstag über ihre Eindrücke aus ihren Gesprächen in Israel, ohne Inhalte der Gespräche zu verraten. David Cameron ergänzt.
Deutschland und Großbritannien haben in Israel ein gemeinsames Ziel verfolgt, auf das sich auch die G7 verständigen können: Der Iran soll für seinen Angriff bestraft werden, und damit soll möglichst eine weitere Eskalation durch eine militärische Reaktion Israels abschwächt werden. Die Idee: Wenn die Strafmaßnahmen und die verbale Verurteilung des iranischen Angriffs im Westen groß sind, sieht die israelische Führung eventuell von einem heftigeren Angriff ab.
Drohende Niederlage des Westens
Hinter den Kulissen werfen westliche Diplomaten dem Iran vor, eben diese Eskalation provozieren zu wollen. Deswegen – so zumindest der Vorwurf gegen das Mullah-Regime – der Angriff am Wochenende, und deshalb gab es weitere Angriffe der Hisbollah auf den Norden Israels in den vergangenen Tagen. Beim G7-Treffen ist klar: Das alles sei Provokation. Netanjahu soll dem Iran nicht auf den Leim gehen.
Aber klappt das auch? Bisher lässt sich der israelische Regierungschef nicht in die Karten schauen. Baerbock und Cameron berichten in Italien nicht öffentlich über Einzelheiten aus ihren Gesprächen mit dem israelischen Premier. Doch was Beobachter in Italien erkennen können, ist eine Unsicherheit im Westen. Man weiß nicht, was Israel tun wird, und man zweifelt daran, dass Israel überhaupt weiß, was es als Nächstes tun wird.
Die G7 mobilisieren viel politisches Kapital, um eine Eskalation zu verhindern. Sie wirken auf Netanjahu ein, werden sich in ihrem Abschlusskommuniqué vermutlich für eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran aussprechen. Unumstritten ist das nicht: Es gibt auf Capri auch Debatten über die Deutlichkeit der Sprache, die verwendet wird.
Was tut Netanjahu?
Dabei steigt in Deutschland auch der Druck auf Baerbock: Kritiker werfen ihr vor, dass sie mit leeren Händen aus Israel gekommen sei. Ihre Bemühungen seien ohne Erfolg gewesen, und am Ende sei sie noch von Netanjahu abgewatscht worden. Israels Premier hatte am Montag mit Blick auf den Besuch von Baerbock und Cameron gesagt: "Sie haben alle möglichen Vorschläge und Ratschläge", erklärte er. "Ich schätze das, aber ich möchte klarstellen, dass wir unsere Entscheidungen selbst treffen werden. Der Staat Israel wird alles Notwendige tun, um sich selbst zu verteidigen."
Die Aussage enthält im Prinzip keine Neuigkeit. Natürlich entscheidet jeder Staat selbst und souverän über seine Sicherheit. Aber es ist ein Nackenschlag für Baerbock und Cameron, denn Netanjahu verkündete diese Selbstverständlichkeit schließlich kurz nach ihrem Besuch in Israel. Die Botschaft ist klar: Wir lassen uns nicht unter Druck setzen. Cameron bekräftigt, dass Israel natürlich seine Entscheidung selbst trifft. "Wir hoffen, dass es auf eine Weise reagieren wird, die sowohl intelligent als auch hart ist."
Aber was ist intelligent? Die G7 werden sich wahrscheinlich für neue Sanktionen gegen den Iran aussprechen. Das geht nicht konkreter, weil die G7 kein gemeinsames Rechtssystem haben. Deshalb liegt die Umsetzung bei den Ländern, und die USA und Großbritannien haben für sich bereits weitere Strafmaßnahmen angekündigt.
Aber ob das ausreicht, um Netanjahu von einer harten militärischen Antwort auf den iranischen Angriff abzubringen, steht vollkommen in den Sternen. Die Kritik an Baerbock in Deutschland zeigt auch, dass die Bevölkerung der Bundesregierung größere Einflussmöglichkeiten zurechnet, als sie eigentlich hat. Diese Krise hat gezeigt, dass selbst die USA immense Probleme haben, auf Netanjahu einzuwirken.
Ein möglicher Hebel sind die Waffenlieferungen an Israel. Aber das ist nun vom Tisch. Denn würden die Lieferungen eingestellt, könnte das in einem Konflikt mit dem Iran die Sicherheit Israels gefährden. Eine ungeheure Zwickmühle. Mehr dazu lesen Sie hier.
Es fehlt an konkreten Taten
Wenn diplomatische Bemühungen aus Deutschland aktuell zumindest nicht die erwünschten Ergebnisse bringen, dokumentiert das die Machtlosigkeit des Westens im Kollektiv. Der Einfluss der Bundesrepublik ist begrenzt. Es sind nicht Baerbocks Erfolge oder Misserfolge. Zwar geht sie mit Blick auf die humanitäre Lage im Gazastreifen zunehmend auf Konfrontationskurs mit Netanjahu. Aber die aktuelle Erleichterung bei den Fluchtkorridoren und dass mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen kommen, ist Folge davon, dass der Westen in der Frage gemeinsam großen Druck aufgebaut hat.
Einigkeit führte also zum Erfolg. Eine mögliche Blaupause für andere Probleme.
Einigkeit gibt es eigentlich auch beim zweiten großen Thema am Donnerstag: weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine. Hier fehlt es schon lange nicht an guten Absichten im Westen, wohl aber an Taten.
Baerbock betont am Donnerstagmorgen, dass starke Demokratien und Volkswirtschaften "eine Verantwortung für die globalen Herausforderungen" tragen. Die Grünen-Politikerin wirbt dafür, dass Staaten ihre nationalen Egoismen hinten anstellen, damit das Große und Ganze wieder mehr in den Blick gerät: die globale Sicherheit.
Aber ist das realistisch?
Die Zeichen stehen aktuell schlecht. Die Unterstützung der Ukraine hat sich in den vergangenen Monaten laut vielen Militärexperten zu einem Trauerspiel entwickelt. Die ukrainische Führung ist verzweifelt, muss schon fast um weitere Unterstützung aus dem Westen betteln.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist zuletzt mit den ukrainischen Bitten bei der Nato-Geburtstagsfeier Anfang April abgeblitzt. Auf Bildern wirkt er emotional angefasst, den Tränen nahe. Das lässt auch westliche Diplomaten auf Capri nicht kalt, immer wieder wird von den Geschehnissen beim Nato-Gipfel erzählt. In dieser Woche schickten Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen Brief an ihre europäischen Partner, in dem sie für mehr Unterstützung der Ukraine warben. All das wirkt zunehmend tragisch.
Deutschland übernimmt führende Rolle
Auf Capri geht es im Kreise der G7 vor allem um Luftverteidigung. Die Ukraine kann sich gegen russische Raketen und Drohnen kaum verteidigen. Es fehlen Flugabwehrsysteme und Flugkörper. Deutschland hat in der vergangenen Woche angekündigt, ein weiteres Patriot-System zu liefern. Das ist nicht viel, aber damit wollte die Bundesregierung ein Zeichen an die Partner senden: Jetzt seid ihr dran.
Baerbocks Strategie beim G7-Treffen ist vor allem ein subtiles Stupsen der Partner. Das ist einerseits an die USA gerichtet, die natürlich über reichlich Reserven bei Flugabwehrsystemen verfügen. Aber die US-Regierung wird durch die Blockade der Republikaner ausgebremst. US-Außenminister Antony Blinken macht seinen Partnern in Italien Hoffnung, dass diese Blockade bald enden könne. Aber darauf verlassen möchte sich hier niemand.
Deswegen zielt auch die deutsche Initiative auf die europäischen Partner, die nach Willen der USA und Deutschlands ermitteln sollen, welche Systeme in Europa verfügbar sind. Kuleba lobt auch auf Capri die Bundesregierung, dass sie eine Führungsrolle beim Thema Luftverteidigung übernommen hat. Er stellt klar: "Ich bin wegen Luftverteidigung hier." Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg macht klar: Die Nato-Mitglieder sollen die Ukraine mit mehr Luftverteidigung unterstützen. Ob nun Patriot oder andere Systeme, sei egal.
Aber ob eine Stärkung der ukrainischen Flugabwehr am Ende im Abschlusskommuniqué stehen wird, ist am Donnerstagnachmittag noch unklar. Ohnehin geht es im Kreise der G7 vor allem um gemeinsame Absichten, nicht um genaue Zusagen. Es ist also unwahrscheinlich, dass der ukrainische Außenminister mit Lieferversprechen aus Italien abreisen kann. Das ist auch eine Gefahr: Denn für die Öffentlichkeit sieht es nach politischem Stillstand aus, nach Untätigkeit der G7.
- Begleitung von Außenministerin Baerbock zum G7-Treffen auf Capri