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Ukraine: SPDler Andreas Schwarz reist nach Kiew und fordert mehr Waffen


SPD-Politiker nach Ukraine-Reise
"Unsere Sicherheit hängt am seidenen Faden"


06.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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Ukrainische Artillerie (Archivbild): Die USA schicken weitere Munition in die Ukraine.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Artillerie im Donbass: "Jeden Tag sterben Menschen und es wird wichtige Infrastruktur zerstört, weil nicht genug Abwehrraketen da sind." (Quelle: Sofiia Gatilova /dpa)

Der SPD-Politiker Andreas Schwarz war fünf lang Tage in der Ukraine, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Der Haushaltsexperte warnt vor nachlassender Unterstützung in Europa und fordert, die Munitionslieferungen zu beschleunigen.

Reisen in die Ukraine werden angesichts zunehmender russischer Luftangriffe immer gefährlicher. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz hat es trotzdem getan. Vergangene Woche reist er mit den Ampelkollegen Sebastian Schäfer (Grüne) und Karsten Klein (FDP) in das Land, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das Trio sprach mit Ministern und Militäroffiziellen, besichtigte Gefechtsstände und einen Soldatenfriedhof, und sammelte Erkenntnisse, wie wirksam die deutsche Militärhilfe für die Ukraine ist.

Schwarz gehört zu den wenigen Abgeordneten der SPD, die sich frühzeitig und lautstark für Waffenlieferungen an die Ukraine eingesetzt haben. Nach seiner Rückkehr aus Kiew ist der Sozialdemokrat überzeugter denn je, dass Deutschland weiter an der Seite der Ukraine stehen müsse. Schwarz, der als Berichterstatter für den Verteidigungsetat einen fundierten Überblick über das deutsche Rüstungswesen hat, erzählt, wie er erst einmal schlucken musste, als er vor einem fast leeren Raketenwerfer aus Deutschland stand.

Der Nachschub an Raketen für die deutschen Iris-T-Systeme ist zum zentralen Problem für die Ukraine geworden – das täglich Menschenleben kostet. Deshalb fordert Schwarz nun die Einrichtung einer "Task Force Luftverteidigung", um die Produktion zu beschleunigen.

t-online: Herr Schwarz, Sie waren mit Ampelkollegen fünf Tage lang in der Ukraine, haben Politiker und Militärs getroffen. Welche Eindrücke nehmen Sie mit?

Andreas Schwarz: Ich war einerseits erschüttert angesichts der Schäden durch den russischen Raketenterror. Andererseits hat mich der Wille vieler Ukrainer, nicht aufzugeben, beeindruckt. Wenn Sie in die Gesichter der Menschen blicken, die entschlossen sind, den Russen trotz hoher Verluste weiterhin zu trotzen, dann macht das etwas mit Ihnen.

Sie haben auch Offiziere des ukrainischen Generalstabs getroffen. Wie zuversichtlich waren die, dass die Front hält?

Was ich öffentlich sagen kann, ist, dass die Lage in der Ukraine sehr angespannt ist. Das US-Hilfspaket ist wichtig, aber kommt spät. Die Front wackelt an vielen Stellen, auch wenn die Ukrainer glauben, dass sie sie stabilisieren können. Aber es geht jetzt wirklich ums Überleben. An neue Offensiven ist vorerst nicht zu denken. Die Russen kämpfen mit einer Übermacht. Wenn die Front bricht, werden die Russen versuchen, die ganze Ukraine einzunehmen. Es besteht kein Zweifel in der Ukraine, dass das weiterhin Putins Ziel ist.

Zweck Ihrer Mission war unter anderem zu überprüfen, wie erfolgreich die Ukraine deutsche Waffen einsetzt. Was haben Sie gelernt?

Die Ukrainer schätzen deutsche Technik enorm. Vor allem das Luftverteidigungssystem Iris-T wird hochgelobt. Ukrainische Soldaten haben mir erzählt, dass sie mit einer Trefferquote von 100 Prozent russische Raketen vom Himmel holen. Umso mehr schmerzt es zu erfahren, dass ihnen das bei vielen Angriffen auch nicht hilft.

Warum nicht?

Weil sie nicht genügend Raketen haben. Ich war bei einer ukrainischen Iris-T-Einheit, die nur eine Rakete in ihrem Werfer hatte. Normalerweise sollten da aber acht dieser Lenkflugkörper sein. Die Soldaten sitzen also in ihren Abschussfahrzeugen und müssen mit ansehen, wie russische Marschflugkörper ihre Städte verwüsten, obwohl sie es verhindern könnten, wenn sie genug Nachschub hätten. Jeden Tag sterben Menschen und es wird wichtige Infrastruktur zerstört, weil nicht genug Abwehrraketen da sind. Das ist bitter.

Kommt der Hersteller, das deutsche Unternehmen Diehl Defence, nicht mit der Produktion hinterher?

Zur Ehrenrettung von Diehl muss ich sagen: Das Versäumnis liegt woanders. Offenbar gibt es Probleme bei einem norwegischen Zulieferer, der die Raketenmotoren der Lenkflugkörper bisher nicht in der benötigten Menge produziert. Aber man hat mir gesagt, dass sich jetzt eine Lösung abzeichnet.

Hätte man nicht viel früher dafür sorgen müssen?

Iris-T ist ein komplexes Waffensystem, das von vielen Zulieferern abhängt. Man kann nicht einfach zu einer Firma hingehen und sagen: Macht mal schneller. Wir brauchen eine "Taskforce Luftverteidigung" in Deutschland, bei der alle Fäden zusammenlaufen und die unter Hochdruck alle Akteure an einen Tisch bringt, um die Raketenproduktion zu beschleunigen. Das wäre auch ein Signal an die Industrie, dass jetzt politischer Druck auf dem Kessel ist und die Probleme schnellstmöglich beseitigt werden müssen.

Worauf sollte sich diese "Taskforce Luftverteidigung" konzentrieren?

Der Schlüsselfaktor ist Zeit. Wir haben das Deutschland-Tempo für die Modernisierung des Landes ausgerufen, jetzt benötigen wir ein Ukraine-Tempo für unsere Sicherheit. Denn klar ist: Das Putin-Regime rüstet sich für einen größeren Krieg. Große Teile der russischen Militärproduktion geht in die Depots, nicht in die Ukraine. Im Kreml denkt man offenbar schon weiter. Moldau, Georgien oder das Baltikum könnten die nächsten Ziele sein. Nur die Ukraine steht noch zwischen Putins Streitmacht und uns. Wir dürfen mit unserer Unterstützung jetzt auf keinen Fall nachlassen.

Haben Sie das Gefühl, dass die Bundesregierung das ausreichend auf dem Schirm hat?

Bei den vielen Herausforderungen, die wir hier in Deutschland haben, hat das manchmal nicht oberste Priorität. Aber wir müssen uns klarmachen: Unsere Sicherheit hängt am seidenen Faden. Und die westliche Welt ist insgesamt gefordert. Sollte die ukrainische Front kollabieren, werden wir hier ganz andere Debatten haben.

Im Juni will die Schweiz eine Friedenskonferenz ausrichten. Wie wichtig ist das für die Ukrainer?

Es ist ein Thema, aber hat derzeit nicht unbedingt Priorität. Die Konferenz ist wichtig, um ein Signal der Geschlossenheit nach Moskau zu senden. Aber ob der Schlüsselakteur China an der Konferenz teilnimmt, ist noch offen. Insofern sind die Ukrainer da vorsichtig.

Die russische Armee hat ihre Luftangriffe auf ukrainische Städte verschärft. Welche Auswirkungen hat der russische Raketenterror?

Neben den menschlichen Verlusten nimmt vor allem das ukrainische Energiesystem großen Schaden. Mittlerweile beschießen die Russen nicht mehr nur Leitungsanlagen, sondern ganze Kraftwerke. Ich habe ein Kohlekraftwerk in der Westukraine besichtigt, das bereits mehrmals durch Raketen beschädigt wurde und immer wieder aufgebaut wurde. Der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, war auch im Kraftwerk zu spüren. Die Werksarbeiter verstehen sich als "Energiefront", die auf ihre Weise gegen den russischen Aggressor kämpfen.

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Wie schlimm steht es um den Energiesektor? Kommen die Ukrainer mit den Reparaturen überhaupt noch nach?

Kaum. Die Schäden sind enorm. Die Ukrainer machen sich jetzt schon Gedanken, wie sie über den Winter kommen. Im Mai. Aber auch hier ist der entscheidende Schlüssel eine funktionierende Raketenabwehr. Es läuft immer auf dasselbe hinaus: Waffen, Waffen, Waffen. In der Ukraine ist es das alles überlagernde Thema. Selbst der ukrainische Finanzminister, mit dem wir über Finanzpolitik reden wollten, wollte vor allem über Munition und Ersatzteile reden. Und die Infrastrukturministerin sagte: Ohne Waffen ist meine Arbeit sinnlos. Ich brauche nichts aufzubauen, wenn ich es nicht verteidigen kann.

Sie waren als Ampelpolitiker zugleich in der Rolle eines Vertreters der Bundesrepublik. Wurden Sie mit Forderungen überhäuft, was Deutschland noch alles tun sollte?

Ja, aber wir haben zugleich auch großen Dank erfahren. Die Ukrainer wissen, dass Deutschland der größte Unterstützer in Europa ist. Ich habe mich immer wieder öffentlich dafür eingesetzt, dass wir als Bundesregierung nicht nachlassen. Aber es kann zugleich auch nicht die Lösung sein, dass alles aus Deutschland kommt.

So manche europäische Verbündete verstecken sich hinter Deutschland, könnten aber viel mehr tun. Frankreich, Spanien, Portugal oder die Benelux-Staaten hätten zum Beispiel noch Luftverteidigungssysteme im Bestand. Warum werden die nicht an die Ukraine abgegeben? Wir müssen den Druck auf diese Länder erhöhen.

Verteidigungsminister Pistorius (SPD) und Außenministerin Baerbock (Grüne) hatten zuletzt in einem Brandbrief die europäischen Verbündeten dazu aufgefordert, ihre Patriot-Systeme an die Ukraine abzugeben. Bislang ohne Erfolg.

Dann muss man noch mehr Druck aufbauen. Das kann nicht sein, dass alles von Deutschland geliefert wird. Staaten in Westeuropa, die keine hohe Bedrohungslage haben, müssen jetzt in die Gänge kommen.

Haben die Ukrainer auch nach dem deutschen Marschflugkörper Taurus gefragt?

Ja, gerade im Verteidigungsministerium hat man uns noch mal erklärt, wie wichtig der Taurus wäre, um russische Waffendepots zu zerstören. Wenn es nach mir ginge, würde ich sie ihnen geben, aber ich habe das nicht zu entscheiden. Die Ukrainer wissen auch, dass es in Deutschland derzeit nicht machbar ist. Sie haben sich ein Stück weit damit abgefunden.

Hatten Sie das Gefühl, dass die Ukrainer verstehen, warum Scholz nicht liefert? Der Kanzler begründet sein Veto öffentlich damit, dass er die Kontrolle über das Waffensystem nicht aus der Hand geben will.

Die Ukrainer versuchen, das Argument zu verstehen, sagen aber natürlich immer wieder: Wenn ihr uns klare Vorgaben gebt, wie wir den Taurus einsetzen sollen, halten wir uns daran. Andererseits merkt man auch, dass die Ukraine jetzt verstärkt auch Ziele in Russland angreift. Insofern ist es wichtig, eine solche Entscheidung genau abzuwägen. Bevor wir uns aber in weitere endlose Taurus-Debatte verstricken, sollten wir unsere Kräfte auf das konzentrieren, was realistisch ist: mehr Luftverteidigung, Munition und Ersatzteile.

Herr Schwarz, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Schwarz
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