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Islamisten-Demo in Hamburg: Warum "Muslim Interaktiv" so gefährlich ist


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Islamisten fordern Kalifat in Deutschland
"Das sollte ein Weckruf sein"


Aktualisiert am 30.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Auf einem Smartphone wurde der TikTok-Kanal der Gruppierung Muslim Interaktiv aufgerufen (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Auf einem Smartphone wurde der TikTok-Kanal der Gruppierung Muslim Interaktiv aufgerufen (Archivbild). (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Sie fordern das Kalifat, vertreten eine strikte Geschlechtertrennung: Islamistische Gruppen erreichen viele Jugendliche. Experten warnen.

"Allahu Akbar", "Gott ist groß", ruft der Redner immer wieder ins Publikum, "Allahu Akbar" schallt es aus der Menge zurück. Dazu reißen die hauptsächlich jungen Männer ihren rechten Arm in die Höhe. Frauen sieht man nicht in der Menge, die sich am vergangenen Samstag im Hamburger Stadtteil St. Georg versammelt hat. Die wenigen, die gekommen sind, stehen etwas abseits, von den Männern separiert.

"Muslim Interaktiv" heißt die Gruppe, die zu dem Protest aufgerufen hatte. Der Hamburger Verfassungsschutz schätzt sie als gesichert extremistisch ein. Ein Blick auf die Schilder, die die Demo-Teilnehmer tragen, zeigt bereits, warum: "Kalifat ist die Lösung" steht da etwa, und "Staatsräson tötet" – gemeint ist das deutsche Selbstverständnis, für Israels Existenz einzutreten. Hinter der Forderung nach einem Kalifat verbirgt sich die nach einem islamischen Gottesstaat, was die Abschaffung der Demokratie zur Folge hätte. Zudem steht die Gruppe der islamistischen Bewegung "Hizb ut-Tahrir" nah, die 2003 verboten wurde. Mehr dazu lesen Sie hier.

Politiker fordern nun ein Verbot von "Muslim Interaktiv". Doch ist die Gruppe, die am Samstag rund 1.000 Menschen auf die Straße brachte, ein Randphänomen oder steht sie für ein größeres Problem?

"Wie viel sollen wir Muslime eigentlich noch tolerieren?"

Wie groß diese Szene genau ist, das sei derzeit sehr schwer einzuschätzen, sagt Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück t-online. Die Demonstrationen an sich seien nicht so stark besucht. "Seit dem 7. Oktober aber sehen wir eine enorme Mobilisierung in Sozialen Medien", sagt Kiefer. An dem Tag hatte die Hamas ein Massaker in Israel angerichtet, daraufhin begann der Krieg in Gaza. Die Gruppe falle nun, viel stärker als vergleichbare Gruppierungen, mit besonders professionellen Videoclips und Straßenaktionen auf, so Kiefer.

Auf von Jugendlichen stark genutzten Plattformen wie TikTok erfreuen sich die Kurzclips von "Muslim Interaktiv" großer Beliebtheit. Sie werden teils mehr als 100.000-mal abgerufen, wie etwa das "Allahu Akbar"-Video von der Demonstration. In einem anderen besonders beliebten Video erklärt der Redner Joe Adade Boateng einen Botschafter der Vereinigten Arabischen Emiraten zum Verräter – weil der sich mit dem israelischen Präsidenten getroffen hatte. "Muslim Interaktiv" zeigt sich zudem besonders reaktionär, wenn es um Frauen geht. Dass Saudi-Arabien in diesem Jahr zum ersten Mal offiziell eine Frau bei einem Schönheitswettbewerb teilnehmen ließ, kommentiert Boateng mit den Worten: "Saudi Arabien beschmutzt den Islam." Die nackten Schultern der Frau werden nur verpixelt gezeigt. "Wie viel sollen wir Muslime eigentlich noch tolerieren?", fragt Boateng in die Kamera.

"Sie erreichen enorm viele Jugendliche"

All das aber scheint die jungen Menschen nicht abzuschrecken – im Gegenteil. "Das ist nicht neu", sagt Kiefer. "Wir haben das schon beim 'Islamischen Staat' gesehen, dass diese absoluten Botschaften wie 'das Kalifat ist die Lösung' oder 'der Islam ist die Lösung' bei jungen Menschen gut verfangen, die auf der Suche nach Sinnstiftung, Identität und Orientierung sind." Das kenne man nicht nur vom Islamismus, sondern auch vom Rechtsextremismus, so Kiefer.

Auch der Extremismusexperte Ahmad Mansour hält die Gruppe für eine große Gefahr. "Sie erreichen enorm viele Jugendliche, das ist extrem gefährlich". Die Ereignisse im Nahen Osten seit dem 7. Oktober haben dabei als Brandbeschleuniger gewirkt: "Sie sprechen die Themen an, die die Jugendlichen emotional erreichen, und zwar dort, wo die Jugendlichen unterwegs sind – auf TikTok."

"Das sollte ein Weckruf sein"

Und dort haben sie leichtes Spiel, sagt Mansour t-online. "Wir, die Demokraten, sind nicht da", sagt er. "Wir überlassen den Radikalen komplett das Feld". Dabei sei längst klar, dass die meisten jungen Menschen sich über soziale Medien informieren. "Ich verstehe nicht, warum man sieben Monate nach dem 7. Oktober noch immer kein Konzept hat, wie man den Menschen auf TikTok etwa eine differenzierte Sichtweise auf den Nahostkonflikt nahebringen könnte oder ein liberales Verständnis des Islam."


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"In Politik und Zivilgesellschaft reagieren viele empört, wenn es um Rechtsextremismus geht, doch sind gelähmt, wenn es um Islamismus geht"


Ahmad Mansour


Mansour sieht da etwa die Bundeszentrale für politische Bildung in der Pflicht, außerdem Politiker und zivilgesellschaftliche Gruppen, auch aus der muslimischen Gemeinde. "Es braucht eine klare Wertvermittlung, eine klare Kommunikation, gute Videos, Gegennarrative." Den Nutzern müssten Alternativen zu den radikalen Inhalten geboten werden. Mansour zieht wie Kiefer Vergleiche zum Rechtsextremismus, beides funktioniere mit ähnlichen Mechanismen. Doch es gebe einen großen Unterschied: "In Politik und Zivilgesellschaft reagieren viele empört, wenn es um Rechtsextremismus geht, doch sind gelähmt, wenn es um Islamismus geht", sagt Mansour. Den Kampf aber gegen den Extremismus könne man nur führen, wenn man ihn ganzheitlich betrachte, und nicht nur eine Seite. "Das, was wir am Wochenende gesehen haben, sollte ein Weckruf sein." Er unterstützt den Aufruf, die Gruppe so schnell wie möglich zu verbieten.

Grünen-Politikerin Kaddor fordert schnelles Verbot

Zu denen, die ein Verbot fordern, gehört auch die Grünen-Politikerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Sie ruft die Bundesregierung auf, ein Verbot so schnell wie möglich umzusetzen – nicht nur für "Muslim Interaktiv", sondern auch für "Generation Islam", die eine ähnliche Agenda verfolgt. "Wir müssen islamistischen Gruppen, die in Deutschland aktiv sind, das Handwerk legen und alle rechtsstaatlichen Mittel dafür in die Hand nehmen", teilt sie t-online mit.

Kaddor spricht im Zusammenhang mit diesen Gruppen von einer Turbo-Radikalisierung, die nach Corona stark zugenommen habe. "Dabei bedienen sich diese Gruppen ausschließlich islamistischer Propaganda, die größtenteils antisemitisch durchsetzt ist." Das berge ein enormes gesellschaftliches Spaltungspotenzial – auch weil die Mehrheit der Muslime und Musliminnen in Deutschland in Sippenhaft genommen werde. Es sei klar, "dass diese islamistischen Gruppierungen innerhalb der Muslime in Deutschland eine Minderheit darstellen, die aber extrem laut ist".

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Ahmad Mansour und Michael Kiefer
  • Schriftliches Statement von Lamya Kaddor
  • Eigene Recherche
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