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Internet-Gesetz DSA der EU: Ampel verpennt Startschuss


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Blamage beim Internet-Gesetz
Deutschland verpasst den Startschuss


Aktualisiert am 19.02.2024Lesedauer: 4 Min.
imago images 0366393093Vergrößern des Bildes
Robert Habeck (Grüne, l.), Volker Wissing (FDP, M.) und Kanzler Olaf Scholz (r.): Sie haben noch keinen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Digitalregeln parat. (Quelle: IMAGO/Jacob Schrter)

Es ist ein neues Regelwerk fürs Netz, es ist eines der größten EU-Projekte – und Deutschland hat den Start verschlafen: Noch darf keine deutsche Stelle die Vorgaben über digitale Dienste (DSA) umsetzen – und dann gibt es kaum Personal dafür.

An diesem Montag kommt eine Runde zusammen, die es so in der EU noch nie gab: Die Brüsseler Kommission spricht mit Koordinatoren der Mitgliedstaaten über den Digital Services Act (DSA), ein Regelwerk für ein besseres Internet mit weniger illegalen Inhalten.

Seit Samstag gelten die neuen Regeln des DSA auch für kleinere Netzwerke und Handelsplattformen. In Deutschland aber gibt es noch gar keinen nationalen Koordinator zur Umsetzung. Die Bundesregierung hat das Thema zu lange liegengelassen und formal noch keine Stelle für die Aufgabe bestimmt. Bürgerrechtsorganisationen und Wirtschaft sind verärgert.

Der Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) verkündete am 20. Dezember 2023: "Wir schaffen eine starke Plattformaufsicht, damit jeder in Deutschland sicher und frei im Netz unterwegs sein kann." Der Branchenverband Bitkom sieht in dem Vorhaben einen "Meilenstein für Internetnutzerinnen und -nutzer in der EU. Der DSA schützt sie besser vor Desinformation, Hassrede oder Produktfälschungen und kann die Sicherheit im Netz deutlich verbessern." Die Kommission hat sich schon spektakulär mit Elon Musk wegen Twitter angelegt.

Digitalminister Wissing dürfte im Dezember schon klar gewesen sein, dass Deutschland seine Hausaufgaben nicht rechtzeitig gemacht hat. Seit Samstag gelten die neuen Regeln, und es gibt keine deutsche Behörde, die über die Einhaltung wacht – weil die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen noch nicht geschaffen hat. Dabei gilt seit dem November 2022 in der EU, dass nationale Stellen zum 17. Februar 2023 eingerichtet werden sollten.

Ein paar Tage vor jenem 17. Februar hat Wissings Ministerium Brüssel immerhin mitgeteilt, dass die Bundesnetzagentur Koordinierungsstelle sein soll und an den Treffen der nationalen Koordinatoren auch vorab schon der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, oder ein hochrangiger Beamter als Vertretung dabei ist. An diesem Montag nimmt Andrea Sanders-Winter teil, Leiterin der Unterabteilung "Internet, Digitalisierung und Marktanalyse". Das hilft aber nur bedingt.

Seit Samstag sollte es Online-Formulare geben

In der Bundesnetzagentur hätte man am Samstag auch sicher gerne offiziell mit der Arbeit begonnen, wenn man dürfte. Bis zum Samstag stand auf der Internetseite: "Sollten wir die Aufgabe erhalten, werden wir (...) alles tun, um im Februar gut vorbereitet und handlungsfähig zu sein!" Nun ist die Seite überarbeitet worden mit "ersten Informationen in Vorbereitung auf unsere mögliche künftige Tätigkeit als Digital Services Coordinator".

Eigentlich sollten dort jetzt schon Online-Formulare stehen, mit denen Nutzer Beschwerden wegen des Umgangs mit möglichen rechtswidrigen Inhalten bei einer Online-Plattform einlegen können. Es sollte dort die Möglichkeit für Organisationen wie "HateAid" geben, sich als "Trusted Flagger" zu bewerben. Organisationen wie HateAid, die sich mit entsprechender Expertise gegen digitale Gewalt und ihre Folgen engagieren, würden dann nach dem DSA privilegierte Meldekanäle zu Netzwerken erhalten und Verstöße gezielt melden können.

Doch die Formulare gibt es noch nicht online. Neben einem dicken Ausrufezeichen steht bei der Netzagentur jetzt: "Bis zum Inkrafttreten des Digitale-Dienste-Gesetzes hat die Bundesnetzagentur noch keine Zuständigkeiten (...) und kann noch nicht als Digital Services Coordinator tätig werden."

HateAid beklagt deshalb: "Dieser Zustand führt zu großer Unsicherheit unter Nutzenden und der Zivilgesellschaft." Und Svea Windwehr, Projektkoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), sagt: "Zentrale Aspekte des DSA, die auf die Stärkung von Nutzer*innen, Organisationen, die in ihrem Interesse agieren, sowie Forschenden abzielen, laufen vorerst leer."

Die Kritik des Branchenverbands Bitkom geht ihn eine ähnliche Richtung. Geschäftsleiterin Susanne Dehmell erklärt: "Es ist ein großes Versäumnis, dass Deutschland die pünktliche nationale Durchführung nun verpasst hat. Das schadet nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern sorgt für massive Rechtsunsicherheit bei den betroffenen Unternehmen."

Anhörung zum Gesetz am Mittwoch im Ausschuss

Die Bundesnetzagentur, einst nur Regulierungsstelle für Post und Eisenbahn, muss sich oft mit Fragen befassen, die sich so vorher noch niemand gestellt hat. Sie hat die Verantwortung für den Ausbau der Stromnetze in Deutschland bekommen, sie musste das völlige Energiechaos abwenden, als plötzlich nach Russlands Überfall auf die Ukraine der Nachschub in die spärlich gefüllten Gasspeicher ausblieb und Russlands Staatskonzern seine Tochter Gazprom Germania zerschellen lassen wollte. Die Bundesnetzagentur wurde über Nacht Treuhänder, sie kann schnell, wenn man sie lässt.

Zum Gesetz, das ihr die neue Aufgabe geben wird, hört der Digitalausschuss des Bundestags in der kommenden Woche Experten an, Bitkom-Geschäftsleiterin Dehmell und GFF-Fachfrau Windwehr sind darunter. Bis das Gesetz durch ist und die Benennung wirklich erfolgt, wird es Mai werden, schätzt Josephine Ballon, CEO von HateAid.

Aber auch dann wird Deutschland zunächst keinen sehr starken nationalen Koordinator stellen. Nach der Bedarfsermittlung sieht das Gesetz fast 100 Stellen vor – 76,56 Planstellen zur Wahrnehmung der Fachaufgaben, darunter viele Juristen, für den Querschnittsbereich werden 22,5 Planstellen benötigt.

Der Bundesnetzagentur wurden mit dem Haushalt 2024 aber nur 15 Planstellen für die Aufgaben bewilligt. Ein Teil der Mitarbeiter ist bereits Teil eines im vergangenen Jahres eingerichteten Projektteams bei der Bundesnetzagentur, die übrigen Stellen sollen noch im Zuge von internen sowie externen Besetzungsverfahren besetzt werden. Eine Sprecherin der Netzagentur sagt t-online: "Es gilt, die anstehenden Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen auszuführen." Die Bundesnetzagentur werde "alles daransetzen, die Aufgaben mit diesen Ressourcen zu erfüllen". Klar sei aber auch, "dass wir mittel- bis langfristig darüberhinausgehende Mittel benötigen werden".

Verstärkung vom Bundesamt für Justiz?

Die Bundesnetzagentur hofft, dass vom Bundesamt für Justiz noch Stellen abgegeben werden. Dort sind auch Aufgaben weggefallen, die mit dem nun abgelösten deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz bestanden. Auch da kann die Bundesnetzagentur aber nur darauf warten, dass die Ressorts in der Bundesregierung sich einig werden.

In einem Hintergrundgespräch mit Kommissionsvertretern wurde das lahme Deutschland mit den stiefmütterlich ausgerüsteten künftigen Koordinationsstellen trotzdem nicht gerüffelt. Eine Erklärung: Andere Länder sind auch nicht pünktlich fertig geworden. Nur gut ein Drittel der Mitgliedsländer hat zum 17. Februar für die weltweit weitreichendsten Regelungen für ein besseres Internet vorbildlich abgeliefert.

Verwendete Quellen
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