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US-Wahl und Ukraine-Krieg: Dieses Jahr könnte Putin so richtig zuschlagen


Meinung
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Kolumne "Russendisko"
Jetzt geht Putin aufs Ganze

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

28.01.2024Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident verfolgt ein großes Ziel, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident verfolgt ein großes Ziel, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Pavel Bednyakov/reuters)

Das letzte Jahr war schlecht, 2024 könnten noch schlimmer werden: Denn Kriegsherr Wladimir Putin führt weiter Übles im Schilde. Wartet der Kreml auf die US-Wahl? Das fragt sich Wladimir Kaminer.

"Die Zahl 2023 ergab, zusammengezählt, eine unglückliche Ungerade: 7. Eine Zahl, die durch nichts zu teilen ist. Das Jahr 2024 ergibt nun aber eine gerade Zahl, die gut zu teilen ist, sie wird uns einen Weg zum gewünschten Frieden zeigen." Diese Sätze schrieb mir ein Freund – und ich wollte auch sofort an die Magie der Zahlen glauben.

Ein neues Jahr bringt immer neue Hoffnung mit sich. Andererseits sind wir erwachsene Menschen und wissen, dass es in Wirklichkeit kein neues Jahr gibt, sondern bloß die Fortsetzung des alten. Das Neue entsteht nicht von allein, nur weil wir uns einen neuen Kalender mit lustigen Katzen darauf gekauft haben. Es ist kindisch zu glauben, dass im neuen Jahr alles automatisch besser wird, nur weil die Zahlen stimmen.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neues Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" ist im August 2023 erschienen.

Und obwohl die Tradition eigentlich ein Feuerwerk verlangt, haben wir dieses Jahr bei der Silvesterparty darauf verzichtet. Es war uns peinlich, Böller zu zünden. Das ganze Jahr über wurde gleich um die Ecke, nur anderthalbtausend Kilometer von unserer Haustür entfernt, mit echter Munition geballert: Menschen starben, Häuser, Dörfer, Städte wurden zerstört. Das Jahr endete im Zeichen eines nicht enden wollenden Krieges.

Die Ukrainer zählten die in der Silvesternacht auf ihr Land abgefeuerten Raketen. 117 Milliarden Rubel hatte die russische Armee dafür verballert. Die Ukraine schoss auf russische Gebiete zurück, das Land wird nicht ganz von seinen westlichen Partnern im Stich gelassen – obwohl die Munitionslieferungen aus dem Ausland in der letzten Zeit stark zurückgegangen sind.

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Heute, nach fast zwei Jahren Krieg und wahrscheinlich einer halben Million toter und verwundeter Soldaten, befinden sich beide Armeen in einer strategischen Sackgasse der Parität. Keine hat die Kraft, einen entscheidenden Sieg zu erringen. "Parität" war einst ein hochgepriesenes Friedenskonzept aus der Zeit des Kalten Krieges, sie galt damals als Garant für eine Waffenruhe.

Doch wie man in der gegenwärtigen Situation mittels Parität ein Ende des Krieges erreichen kann, ist nicht bekannt. Denn die Auseinandersetzung läuft ja weiter. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete seinen russischen Gegner-Kollegen beleidigend als "Tier", in seiner Rede verglich er Wladimir Putin mit einem Krokodil, das niemals satt zu kriegen ist.

"Er wird weiter gehen, er wird sich nie zufriedengeben und frisst sich weiter in eure Nato, eure EU, eure Freiheit und Demokratie", warnte der ukrainische Präsident seine europäischen Partner. Inzwischen haben zivile Politiker und hochrangige Militärs in Europa die Gefahr erkannt: Am politischen Horizont unseres Kontinents ist jemand aufgetaucht, den man hier schon lange nicht mehr gesehen hat. Ein heroischer Romantiker, ein Ideenmann mit "langem politischen Willen", jemand, der nicht verhandelt.

Dem russischen Führer geht es nicht um die Eroberung neuer Territorien. Auch verfolgt der Kreml keine "ökonomischen Interessen", das alles ist für Putin zweitrangig. Seinem Regime geht es nicht einmal um den Erhalt der Macht, für dieses Ziel ist ein solcher Krieg vollkommen überflüssig. Es geht Putin um nichts Geringeres als die Umgestaltung der Weltordnung.

Der Plan war eigentlich ein anderer

Wie das Grundwasser in Niedersachsen floss das Übel Putin in jedes Loch, in jeden Keller, überall, wo er hinlangen kann. Putin nutzt jede Schwäche der EU, der Nato, von Politikern und Parteien der westlichen Allianz. In diesem Licht sind die Aussagen der westlichen Militärs verständlich. Kürzlich sagte etwa der aus dem Amt scheidende Verteidigungsminister der Niederlande, dass sich sein Land auf einen Verteidigungskrieg gegen Russland vorbereiten solle. Die fehlende Grenze mit dem potenziellen Angreifer scheint kein Hindernis zu sein.

Der tschechische Generalstabschef erinnerte an den 5. Artikel des Nato-Vertrags: "Wir haben lange Zeit gedacht", so sagte er, "sollten wir in Schwierigkeiten geraten, wird die Nato kommen und uns helfen. Jetzt verstehen wir langsam: Die Nato, das sind wir." Deswegen stationiert die Bundeswehr folgerichtig 5.000 Soldaten im Baltikum, und die Lagerhallen werden mit Kanonenkugeln allmählich neu gefüllt.

Diese Kriegsvorbereitungen passen kaum in das 21. Jahrhundert, das sich mit einer ganz anderen Agenda beschäftigen wollte. Lange Zeit haben wir gedacht, die Zeit der Kriege sei endlich überwunden: Wir müssten uns neuen Aufgaben stellen, die Natur schützen, die Klimaerwärmung stoppen. Wir sollten eher Fahrrad als Panzer fahren, die Jugend klebte sich gar auf die Autobahnen. Die vergangene Zeit unseres Lebens war friedlich.

Natürlich gab es permanent Kriege auf dem Planeten, an einem Dutzend Orte brannte es gewaltig, doch man konnte diese Kriege als "regionale Konflikte" abtun, die mit uns, mit unserem Leben, nicht direkt etwas zu tun hatten. Von der Vorstellung, dass wir selbst zur Zielscheibe oder zur Kriegspartei innerhalb eines solchen Konflikts werden könnten, waren wir weit entfernt.

Putin hat ein Perpetuum mobile erfunden

Heute schreiben die Experten, dass die Zeit während und nach der Präsidentschaftswahl in den USA für Putin ein perfekter Zeitpunkt wäre, um EU und Nato auf die Probe zu stellen. Sollte der eine amerikanische Präsident abgewählt und der andere noch im Kommen sein, könnte Russland diese Übergangsphase für seine Zwecke nutzen. Das Geld und die Waffen dafür sind vorhanden. Die russische Wirtschaft hat es geschafft, eine Art Perpetuum mobile des Krieges zu kreieren.

Mit dem Verkauf von Öl kann das Land die laufenden Kriegskosten decken: Solange der Krieg weitergeht, steigen auch die Ölpreise, und mit ihnen steigt die Gesamtkapitalrendite, vom Übergewinn wird der Krieg finanziert, der zur weiteren Steigerung der Ölpreise führt. Natürlich geht auch dieses Perpetuum mobile irgendwann kaputt, doch für die russische Führung ist "irgendwann" kein Kriterium.

Sie lebt im Hier und Jetzt und will wissen, wer oder was ihr entgegensteht. Ist da überhaupt jemand? Ohne eine klare Ansage des Westens in Bezug auf weitere Aggressionen und ohne eine Exitstrategie für die russische Gesellschaft, die als Geisel des Regimes keinen Ton von sich gibt, wird dieser Krieg von allein nicht enden. Sollte sich die westliche Welt als Papiertiger erweisen, droht uns der nächste ewige Krieg.

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