DFB-Umbruch Vogts: Sané? "Wir müssen Gott danken"
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Vor dem Start in die EM-Qualifikation gegen die Niederlande analysiert Ex-Bundestrainer Berti Vogts die Stärken und Schwächen der Nationalmannschaft. Drei Spieler haben es ihm besonders angetan.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft befindet sich in einer spannenden Phase. Personell und taktisch gibt es einige Veränderungen. Über allem schwebt die große Frage: Wie gut (oder schlecht) ist die Nationalmannschaft für die Zukunft aufgestellt?
Grundsätzlich sollten wir alle etwas nüchterner auf das DFB-Team schauen: Die Lage ist ernst, 2018 war ein bedenkliches Jahr für den deutschen Fußball. Aber bei jedem Generationenwechsel gab es einen größeren Einbruch und teilweise jahrelang sportliche Probleme – auch als die Weltmeister von 1954, 1974 und 1990 gegangen sind. Jetzt hat es auch die Weltmeister-Generation von 2014 erwischt.
Sané ist ein Lichtblick des deutschen Fußballs
Ich habe diese Erfahrung als Trainer selbst gemacht: die älteren Spieler, die schon viele Titel geholt haben, sind nicht mehr in jedem Spiel bereit, an ihre Grenzen zu gehen. Das ist menschlich und absolut verständlich, aber Gift für einen Profi-Sportler. Natürlich muss man deshalb jetzt neuen Spielern die Chance geben, wie es Jogi Löw zuletzt getan hat.
Mein persönlicher Lichtblick aktuell: Leroy Sané! Für einen Spieler wie ihn, mit dieser Schnelligkeit und Dribbelstärke, müssen wir dem lieben Gott danken. Dass vor dem Spiel gegen Serbien wirklich über seine Jacke oder sein Auftreten diskutiert worden ist, kann ich nicht verstehen. Schaut euch doch einmal an, wie gut der Junge Fußball spielt. Er ist ein Ausnahmekönner.
Auch Goretzka und Reus haben das Publikum aufgeweckt
Auch Marco Reus hat mich begeistert. Diese Wucht, wie er die anderen Spieler nach seiner Einwechslung mitgerissen hat – klasse! Er ist als Kapitän beim BVB enorm gereift. Außerdem tut er der Nationalelf auch als Spielertyp gut, weil er rund um den gegnerischen Strafraum immer anspielbar ist. Diese Präsenz hat kein anderer Spieler im Team.
Daneben hat mir Leon Goretzka sehr gut gefallen. Er hat mit einfachen Bewegungen das deutsche Spiel enorm stabilisiert. Einfach mal auf den Ball getreten, die Richtung gewechselt und eine neue Kombination angestoßen – das war sehr wichtig. Die drei haben auch das Publikum in Wolfsburg wieder aufgeweckt mit ihren tollen Aktionen.
Deutschland bräuchte einen Spieler wie Martinez
Doch ich sehe weiterhin auch Schwachstellen im deutschen Team. Von Joshua Kimmich bräuchten wir am besten einen Zwillingsbruder. Für mich ist er einer der besten Rechtsverteidiger der Welt mit seinem Offensivdrang und Spielverständnis. Deshalb sollte er auch in der Nationalelf auf dieser Position spielen.
Im defensiven Mittelfeld brauchen wir ihn aber auch, weil wir streng genommen keinen wirklich guten Abräumer mehr haben, der die Defensive organisiert. Uns fehlt ein Spieler wie Javi Martinez beim FC Bayern, der in wichtigen Spielen dem Gegner Respekt einflößt und viele Zweikämpfe für sich entscheidet. Der für seine Nebenleute eine Stütze ist.
Der Sturm bleibt eine Baustelle
Das würde zum Beispiel auch einem Niklas Süle helfen, der verständlicherweise mit 23 Jahren noch nicht der Chef in der Abwehr sein kann. Das hat man unter anderem beim Gegentor gegen Serbien gesehen, dass dort unter seiner Führung die Organisation fehlte.
Und über die Mittelstürmer-Position brauchen wir gar nicht erst zu reden. Diese Baustelle hat der deutsche Fußball weiterhin – und ich sehe keinen ernsthaften Kandidaten, um das kurzfristig zu ändern. Vielleicht schnürt Oliver Bierhoff ja noch mal die Fußballschuhe. Einen Torjäger wie ihn bräuchten wir.
Niederlande sollten uns ein Vorbild sein
Ich möchte noch kurz einen Ausblick auf das Spiel gegen die Niederlande an diesem Sonntag wagen: Das ist für mich das vielleicht prestigeträchtigste Duell auf Länderebene überhaupt. Ich komme vom Niederrhein und verbinde viele unglaubliche Spiele mit dieser Begegnung. Ich weiß noch, dass Franz Beckenbauer vor dem WM-Finale 1974 großen Respekt vor den Niederlanden hatte. Dem habe ich gesagt: ‚Die hauen wir weg. Ich komme vom Niederrhein, da hatten wir noch nie Angst vor denen!“ Diese Einstellung brauchen wir jetzt auch. Eine so deutliche Niederlage wie in der Nations League darf es in Amsterdam nicht mehr geben.
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Grundsätzlich können wir uns an unseren Nachbarn orientieren. Ich durfte mir mal für drei Wochen die Nachwuchsausbildung in Eindhoven anschauen. In Sachen Jugendausbildung, vor allem im technischen Bereich, sind unsere Nachbarn wahnsinnig gut. Da können und sollten wir noch etwas lernen. Aber erst einmal wäre ein Punktgewinn zum Start der EM-Qualifikation gut.