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AfD-Affären-Sumpf: Programm statt Personal, kann das gutgehen?


AfD in Nöten
Eine intellektuelle Beleidigung

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 05.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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Weidel und ChrupallaVergrößern des Bildes
Die Parteichefs Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla. (Quelle: Jonathan Penschek/dpa/dpa-bilder)

Die AfD hat ein Problem. Sie kann ihre Spitzenkandidaten nicht im Wahlkampf präsentieren. Jetzt will sich die rechte Partei aufs Programm konzentrieren statt aufs Personal. Das macht die Sache nicht besser.

Maximilian Krah wird am 9. Juni auf Ihrem Wahlzettel stehen. Er ist und bleibt die Top-Personalie der AfD für das Europaparlament, darauf legt er auch Wert. Auch wenn er am vergangenen Samstag beim Wahlkampfauftakt seiner Partei unpässlich war, auch wenn Alice Weidel und Tino Chrupalla ihn in den nächsten Wochen verstecken werden, so gut es eben geht. Sogar die AfD, die eine bemerkenswerte Robustheit gegenüber Fehltritten und üblen Ausfällen ihrer Funktionäre an den Tag legt, empfindet Krah inzwischen als Belastung. Sein enger Mitarbeiter sitzt in Untersuchungshaft, er steht im Verdacht, ein Spion des chinesischen Geheimdienstes zu sein. Krah setzt sich im EU-Parlament und in seiner Partei intensiv für chinesische und russische Interessen ein. Das riecht übel.

Einer breiteren Öffentlichkeit war dieser Maximilian Krah bis vor einer Woche weitgehend unbekannt. Was in den Medien, die aus Sicht der AfD Staatsfunk und linksgrüner Mainstream sind, über ihn zu erfahren war, liest sich etwa so: ein Rechtsextremer, völkisch wie Höcke; sogar seine eigene (rechtspopulistische) Fraktion im EU-Parlament hat ihn suspendiert; ein Rassist mit sexistischen Sprüchen, zum Beispiel gegen die Grüne Ricarda Lang; sein Umgang mit öffentlichem Geld wirft im EU-Parlament Fragen auf; die Zulassung als Rechtsanwalt hat er zurückgegeben, da gab es Unstimmigkeiten. "Echte Männer sind rechts", sagt er.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online schreibt er jeden Dienstag die Kolumne "Elder Statesman".

Wie der echte Krah sich selbst sieht, darüber können Sie sich jetzt auf Youtube ein Bild machen. Sie müssen allerdings etwas Zeit mitbringen. Tilo Jung, Journalist, jeglicher rechter Umtriebe unverdächtig, hat ein ungewöhnliches Interview mit ihm geführt, es dauert – ernsthaft! – sechs Stunden und dreißig Minuten. In ARD und ZDF können AfD-Leute ja selten einen Satz zu Ende reden, ohne dass ihnen eine aufgeregte Moderatorin ins Wort fällt, um sie zu entzaubern, zu entlarven, ihnen jedenfalls keine Plattform für ihre Ansichten zu bieten. Ganz anders Jung. Er ist nicht unkritisch, trotzdem lässt er Krah seine Geschichte erzählen, die ganze Geschichte. Beim Interview trägt Jung einen Hoodie mit einem deutschen Schäferhund vorne drauf, das ist ironisch gemeint.

Die CDU war ihm zu lasch

Krah, Jahrgang 1977, ist in Dresden aufgewachsen. Sein Elternhaus sei auf Distanz zum SED-Staat gewesen, sagt er. Nach der Wende fand er den Weg zur CDU, an der Uni Dresden war er Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten. Der Mann hat das Zweite Juristische Staatsexamen, das bekommt man nicht geschenkt; viele Menschen, auch sehr intelligente, scheitern an dieser Prüfung. Die CDU war ihm zu lasch. Konservativ will er nicht genannt werden, weil auch Armin Laschet sich konservativ nennt. Er ist ein Rechter, und er steht dazu. Deshalb ging er zur AfD.

Es ist bei Krah wie bei Höcke oder Weidel oder Chrupalla: Die AfD-Oberen gibt es stets in zwei Versionen. Wenn sie einem eher AfD-kritischem Publikum begegnen, treten sie jovial und argumentativ auf. So wie Tino Chrupalla kürzlich bei Caren Miosga. Auf die unappetitlichen Verbindungen seiner Spitzenkandidaten zu den Autokraten in Moskau und Peking angesprochen, lächelte er freundlich – und wusste angeblich von nichts. Das müssen Sie die Herrschaften schon selbst fragen, Frau Miosga, was habe ich, der einfache Handwerksmeister aus Görlitz, damit zu tun?

In einem Streitgespräch bei Welt TV definierte Björn Höcke den in rechten Kreisen so beliebten Kampfbegriff der Remigration auf die sanfte Art um: Nein, es gehe gar nicht um Menschen mit Migrationshintergrund, die Deutschland verlassen sollen, er wolle aus Thüringen emigrierte Fachkräfte zurückholen, so sei das gemeint. Im AfD-Wahlprogramm für Europa fordert die Partei "Remigrationsprogramme größtmöglichen Umfangs", von verloren gegangenen Thüringer Landeskindern ist dort keine Rede. Wenn die AfD-Leute in ihren Hinterzimmern und Internet-Blasen unter sich sind, wird aus dem jovialen ohnehin ein wütendes Gesicht, statt der Argumente gibt es dann deftige Parolen.

Wie ein rechtsradikaler Taliban

Auch Krah beherrscht diese Taktik. Sein Familienbild etwa ist ... – wie soll ich es formulieren?, der Begriff herkömmlich trifft es nicht. Über Frauen und Männer redet und schreibt er oft wie ein rechtsradikaler Taliban. Er selbst ist katholisch, verwitwet und hat acht Kinder von drei verschiedenen Frauen, so steht es bei Wikipedia. Im 6:30-Interview verbreitet er nur die Light-Version seines Weltbilds: Frauen sind empathischer, Männer irgendwie entschlossener. "Warum strahlt ihr so ’ne Grütze aus?", fragt ein genervter Live-Zuschauer im parallel laufenden Chat.

Jetzt zum Kern der Europawahl, also zu Europa. Krah und die AfD präsentieren in dieser Frage ihre Vorstellungen ganz offen und unverblümt. "Ihr hasst diese EU, oder?", fragt Tilo Jung den Spitzenkandidaten, und der antwortet: "Ja." Warum er dann für das EU-Parlament kandidiere und wieso er dort seit 2019 die üppigen Diäten kassiere, ob das nicht ein Widerspruch sei? Krah: "Von irgendwas muss ich ja leben."

Die AfD will das Europaparlament abschaffen, stellt der Interviewer fest. Krah sagt, das stimme so nicht. Jung liest aus dem Programm vor: "Das undemokratische EU-Parlament wollen wir abschaffen." Krah sagt, das sei unglücklich formuliert. Es geht munter so weiter.

Verachtung Europas als Geschäftsmodell

Die AfD fordert in ihrem Programm die "geordnete Auflösung der EU". Die Konsequenzen wären eindeutig: An den Grenzen zu Holland, Österreich oder Polen gäbe es wieder Kontrollen, Volkswagen und Mercedes könnten ihre Autos nicht mehr ungehindert exportieren, der Installateur aus Aachen bekäme ohne große Bürokratie keinen Auftrag mehr drüben auf der belgischen Seite. Seit 30 Jahren ist die EU ein einziger großer Binnenmarkt, mit dem Zugang zu 450 Millionen Verbrauchern. Das wäre dann passé. Die AfD will auch die D-Mark wieder einführen – nicht dass Sie denken, Sie könnten auch künftig noch in Mallorca mit der eigenen Währung bezahlen.

Die AfD-Spitze behauptet, das stimme alles nicht. Die Handelsverträge der EU, die Zollunion, die offenen Grenzen für Touristen und all die anderen Vorteile, die wolle man natürlich behalten, das sei auch möglich. Krah ist Volljurist, ich erwähnte es schon, Alice Weidel hat in Volkswirtschaft promoviert, Chrupalla kennt das Wirtschaftsleben aus der Praxis. Alle drei müssen es besser wissen. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, weil die Verachtung Europas zu ihrem politischen Geschäftsmodell gehört. Für alle, die sich auch nur am Rande mit Politik und Wirtschaft in der EU beschäftigen, sind die zentralen Wahlaussagen der AfD zu Europa eine intellektuelle Beleidigung.

Noch eine bewusste Täuschung, die Ihnen im Wahlkampf demnächst immer wieder begegnen wird: Der Brexit – das große Vorbild für einen möglichen Dexit, den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union – habe der britischen Wirtschaft doch gar nicht geschadet, die wachse jetzt stärker als die EU. Sagt Krah, sagt die AfD. Das ist sachlich falsch. Im vergangenen Jahr ist die britische Wirtschaft um ganze 0,14 Prozent "gewachsen", sie hat also praktisch stagniert. In der EU waren es 0,6 Prozent Wachstum. Das ist auch nicht berauschend, aber hinter den scheinbar kleinen Prozent-Unterschieden stecken die gewaltigen absoluten Zahlen des Bruttoinlandsprodukts. Auch in diesem Jahr wird die EU- Wirtschaft etwa dreimal so stark wachsen wie die britische.

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Was hat die AfD eigentlich gegen die EU? Im Wahlkampf argumentiert sie mit der Bürokratie, mit der Brüsseler Regelungswut, mit unsinnigen Vorschriften. Das gibt es alles. Die AfD setzt aber nicht auf eine bessere EU. "Diese EU muss sterben", sagt Höcke. Krah erklärt, warum: weil sie ein "amerikanisches Protektorat" sei – er gebraucht genau diese Worte. Sich selbst nennt er "russophil", er sei ein begeisterter Anhänger der russischen Kultur, die Politik lässt er unerwähnt. Kein Zweifel, sinophil, also China-begeistert in jeglicher Hinsicht, ist er auch. Petr Bystron, sein Kompagnon auf der Wahlliste, steht unter dem Verdacht, aus Moskau Geld für Interviews bekommen zu haben, in denen er die Geschichten Putins erzählt. Weder bei ihm noch bei Krah sind Straftaten wie Bestechlichkeit oder Landesverrat bewiesen, es gilt die Unschuldsvermutung.

Es gilt also die Vermutung, dass Bystron aus eigener Überzeugung in den Medien die Sprechzettel Moskaus vorliest. Es gilt die Vermutung, dass Krah aus eigener Überzeugung und aus Hass auf die EU die wirtschaftlichen und politischen Interessen Chinas und Russlands vertritt. Für Russland, für China, gegen Amerika, gegen Europa: Das ist die AfD. Keine Alternative für Deutschland.

Verwendete Quellen
  • Youtube-Video mit Maximilian Krah (https://www.youtube.com/watch?v=BuMZzfDUOf8), eigene Überlegungen
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