Kommunalpolitiker bei "Lanz" "Wir haben keinen Platz mehr"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bei "Markus Lanz" sprachen Kommunalpolitiker über die Asylsituation in ihren Landkreisen – und zeichneten ein deutliches Bild der Überlastung.
Die Entscheidungen der Bundesregierung in der Asylpolitik treffen besonders die kommunale Ebene hart – darüber herrschte bei "Markus Lanz" am Mittwochabend kein Zweifel. Einzig die grüne Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Pankow, Cordelia Koch, hielt sich mit Kritik am Status quo merklich zurück.
Die Gäste:
- Cordelia Koch, Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Pankow (Grüne)
- Andreas Bausewein, Oberbürgermeister von Erfurt (SPD)
- Ursula Baum, Bürgermeisterin von Kaarst (FDP)
- Christian Engelhardt, Landrat des Kreises Bergstraße (CDU)
"Wir befinden uns fast ständig im Krisenmodus", erklärte der CDU-Landrat Christian Engelhardt zu Beginn der Diskussion. Egal davon, ob es sich um die vergangene Corona- oder die immer noch präsente Asylkrise handele: Ein Großteil der Verantwortung und Organisation laste in der Umsetzung auf der Ebene der Landkreise.
Viele Mitarbeiter seien derart überfordert und überlastet, dass viele von ihnen angesichts der drastischen Lage sogar weinen würden. "Die dauerhafte Überlastung, die dauerhafte Krise und der dauerhaft fehlende mangelnde Gestaltungsspielraum sind demotivierend", so Engelhardt.
Koch: "Wir benötigen mehr Arbeitskräfte"
Die Berlinerin Cordelia Koch äußerte sich an diesem Abend in Bezug auf Kritik an der Asylpolitik betont zurückhaltend. "Wir benötigen mehr Arbeitskräfte", attestierte sie zu Beginn der Sendung. Engelhardt unterbrach sie und brachte den Einwand vor, dass zwischen der Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt und humanitärem Asyl unterschieden werden müsse. Koch betonte, dass Menschen für eine erfolgreiche Integration Arbeit benötigen. "Der Ansatz der Bundesregierung, Menschen schnell in Arbeit zu bringen, ist richtig", sagte Koch.
Asyl sei derzeit das dominierende Thema, urteilte auch der Oberbürgermeister von Erfurt, Andreas Bausewein. Er sah die Situation ähnlich wie Engelhardt. Man habe über viele Jahre hinweg viele Menschen aufgenommen, sei aber an einem Punkt angelangt, an dem dies so nicht mehr funktioniere.
Die Wohnungen seien faktisch alle belegt. Bausewein erläuterte die Dringlichkeit des Problems anhand eines Vergleichs. Zu Beginn seiner Amtszeit als Oberbürgermeister im Jahr 2006 habe der Ausländeranteil in Erfurt unter drei Prozent gelegen, mittlerweile sei er auf über 13 Prozent gestiegen. Die Ausländerbehörde sei von sieben auf über 52 Mitarbeiter angewachsen, aber man benötige mindestens 92 Mitarbeiter. Allerdings finde man kein geeignetes Personal.
Baum: "Die Menschen wollen helfen"
Die Bürgermeisterin von Kaarst, Ursula Baum, erklärte, wie problematisch die Suche nach weiterem Wohnraum für Asylbewerber sei. Obwohl weiter gebaut werde, fehle es an Akzeptanz in der Bevölkerung. "Die Menschen wollen helfen", sagte sie – aber wenn man selbst keinen Wohnraum mehr bekommt, wird es problematisch. "Wir haben keinen Platz mehr, kein Land mehr, auf dem wir bauen können."
Koch sah das Problem der fehlenden Wohnungen hingegen woanders verortet: "Klar fehlen Wohnungen, aber das Problem liegt doch nicht bei den Geflüchteten". Die Situation komme vielmehr dadurch zustande, dass die Menschen vermehrt in den Städten wohnen wollen.
Landrat: Nie wieder Turnhallen nutzen
Engelhardt sprach indes von einer "praktischen Obergrenze". "Wir müssen ehrlich sein. Wir können nur so viele Menschen in unserem Land aufnehmen, wie wir mit den vorhandenen Ressourcen an Fachkräften, Lehrern, Kindergärten und Strukturen integrieren können", betonte der Politiker.
Bausewein erinnerte sich daran, wie es war, Turnhallen für Asylwerber bereitzustellen, weil es schnell gehen musste. "Es hat anderthalb Jahre gedauert, bis wir sie wieder für den Sport nutzen konnten." Er würde das nie wieder tun, weil es für enormen sozialen Unfrieden gesorgt habe. "Man kann das für drei, vier Monate erklären, aber nicht anderthalb Jahre. Dann fällt der Schulsport aus, dann fällt der Vereinssport aus." Heute sei die Lage so, dass man in Erfurt rein vom Platz her keine weiteren Menschen aufnehmen könne.
Bausewein: "Wir haben ein Feldhamsterproblem"
Bausewein brachte an diesem Abend ein obskures Beispiel dafür, wie schwer es die Kommunalpolitik oft mit Vorgaben hat. "Wir haben ein Feldhamsterproblem. Wir wollen ein Schulzentrum bauen, aber dort gibt es etwa 40 Feldhamster. Jetzt gibt es einen Vorschlag, wie man diese Feldhamster umsiedelt, Nachbarfelder kauft und die nächsten 30 Jahre feldhamsterfreundlich bewirtschaftet. Das würde zehn Millionen Euro kosten. Wir benötigen Schulplätze. Wenn ich solche Beispiele bringe, verstehen die Leute das nicht mehr."
In der Bevölkerung gäbe es definitiv eine Frustration, erklärte Baum. "Weil sie keinen Wohnraum finden, weil sie keinen Schulplatz bekommen, weil sie keinen Kindergartenplatz bekommen, weil sie sehen, was für Sozialleistungen gezahlt werden, weil sie sehen, dass Menschen Schwarzarbeit leisten, weil sie sehen, dass keine Menschen abgeschoben werden. Sie sehen auch die guten Seiten, aber sie sehen auch das Negative." Sie erwähnte, dass ihre Töchter in Düsseldorf nicht mehr durch die Altstadt gehen könnten, da sie berichtet hätten, dass Mädchen dort angepöbelt und belästigt würden. Sie meinte, dass bei bestimmten Angelegenheiten eine härtere Gangart notwendig sei.
Bausewein ergänzte, dass es zwar eine rückläufige Kriminalitätsrate in den vergangenen Jahren gäbe, die Wahrnehmung eine ganz andere sei. Er glaube, dass es nicht schaden würde, wenn die Menschen öfter Polizisten sehen würden, um das subjektive Sicherheitsgefühl zu steigern.
Baum: "Es wird keinen vollständigen Stopp geben können"
Muss irgendwann die große Stopp-Taste gedrückt werden, wollte Lanz wissen. Engelhardt betonte, dass man akzeptieren müsse, dass es faktische Grenzen gebe, was die Gesellschaft leisten könne. Er erklärte außerdem, dass der Staat nicht in der Lage sei, jede Anzahl von Menschen zu integrieren und zu versorgen. Man müsse sich auf eine bestimmte Zahl konzentrieren und diese Aufgabe gut bewältigen. Baum fügte hinzu: "Es wird keinen vollständigen Stopp geben können, weil das geografisch nicht möglich ist, aber man muss handeln."
Bauswein attestierte: "Die Stopptaste wird nicht funktionieren, wir sind auf keiner Insel, wo wir die Häfen zumachen." Er betonte jedoch, dass Entscheidungen getroffen werden müssten – hier nannte er die dänische Asylpolitik als Beispiel. Die meisten der Gesprächsteilnehmer waren sich einig: Es braucht prinzipiell Zuwanderung – allerdings auch deutlich strengere Maßnahmen bei Asylmissbrauch. Einzig Koch wollte die Frage nach der Notwendigkeit eines Asylstopps nicht beantworten.
- zdf.de: "Markus Lanz" vom 27. März 2024