Ärzte warnen vor psychischen Störungen Wie schädlich sind elektronische Medien für Kinder?
Schon Dreijährige zeichnen auf dem Tablet, manche Grundschüler haben ein Smartphone. Digitale Medien sind Normalität in deutschen Schulen und Kindergärten. Experten streiten, was das für Kinder bedeutet. Es gefährdet die Entwicklung, sagen die einen. Die Geräte ermöglichen besseres Lernen, behaupten die anderen.
Kinderärzte schlagen Alarm, weil Kinder immer früher elektronische Medien nutzen: "Wir sind von deutlichen gesundheitlichen und psychologischen Beeinträchtigungen überzeugt, sehen diese täglich in unseren Praxen", berichtet Till Reckert vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Die Ärzte warnen auch vor den Folgen für Kinder, wenn Eltern das Smartphone wichtiger ist als der Kontakt zum eigenen Kind. Kinder im Vorschulalter müssten zunächst lernen, mit ihrem Körper, ihren Gefühlen, der Welt und anderen Menschen zurechtzukommen, sagt Reckert. Bildschirmmedien seien dafür hinderlich.
Ärzte schlagen Alarm: Kopfschmerzen und ADHS immer häufiger
Kürzlich äußerte sich auch ein Arbeitskreis von 20 Fachärzten aus Stuttgart skeptisch über den zunehmenden Einsatz digitaler Medien an Schulen. Die von dem Ulmer Psychiater und Gehirnforscher Manfred Spitzer nachgewiesenen negativen Folgen für die Gehirn- und Lernentwicklung bestätigten sich in ihrer ärztlichen Praxis, hieß es. Sie berichten über einen alarmierenden Anstieg von Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen.
Jeder zweite Zehnjährige hat ein Smartphone
Mit ihren Warnungen hinken die Ärzte der Realität an Kindergärten und Schulen allerdings hinterher: Dort ist das Internet längst angekommen. Es wird schon von Dreijährigen genutzt und gehört bei achtjährigen Kindern zum Alltag. Das ist ein Ergebnis des Reports "Kinder in der digitalen Welt", den das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) mit dem Institut Sinus erarbeitet hat. Befragt wurden rund 1000 Kinder sowie 1800 Eltern von Drei- bis Achtjährigen.
Nach Angaben des Digitalverbands Bitkom besitzt bereits die Hälfte der Zehn- bis Elfjährigen ein eigenes Smartphone.
Der Bildschirm zieht Kinder magisch an
In der Schule, an der Bushaltestelle oder auf dem Bolzplatz - viele Kinder kleben vor den mobilen Bildschirmen. Die leichte Bedienung und der intuitive Zugang machen sie bei Kindern beliebt, weiß Sabine Eder vom Bundesvorstand der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. "Dies übt einen Sog aus, dem man sich nur schwer entziehen kann", mahnt Kinderarzt Reckert.
Die Medienpädagogin Eder sieht dagegen auch Vorteile: Schon für Dreijährige gebe es viele kindgerechte digitale Angebote. Ein dosierter Umgang könne die "kreativen Fähigkeiten, die Reaktionsgeschwindigkeit, das logische Denken und sogar die Motorik von Kindern fördern".
Kinderarzt hält nichts von digitaler Früherziehung
Kinderarzt Reckert weist darauf hin, dass Kindern die Erfahrung im Umgang mit der Technik fehlt. Ohne das nötige Grundverständnis seien Kinder häufig überfordert von den schier endlosen Informationen und Möglichkeiten der digitalen Welt.
Von dem Argument, Kinder möglichst früh an digitale Technik heranzuführen, um später einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt gerecht zu werden, hält der Experte wenig: "In unseren Praxen sehen wir eher das Gegenteil: Je mehr und je früherer Medienkonsum im Kindes- und Jugendalter, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit dem Leben und dann auch mit Medien nicht gut zurechtkommen", sagte Reckert. "Ich vermute: Wer früh und ausschließlich googelt, um zu seinen Informationen zu kommen, wird später ein schlechterer Rechercheur."
Das echte Leben darf nicht zu kurz kommen
In einem sind sich alle Experten einig: Bewegung, Spielen und frische Luft dürfen nicht zu kurz kommen. "Wenn Kinder dauerhaft mit elektronischen Medien beschäftigt sind, besteht die Gefahr, dass solche Erfahrungen zu kurz kommen und Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden", sagt Susanne Rieschel vom Elternratgeber "Schau hin!". Kinder könnten eine krankhafte Angst entwickeln, in der digitalen Welt etwas zu verpassen. Zudem unterdrücke das gleißende Licht der Bildschirme das Hormon Melatonin, das die Schlaf- und Wachphasen regelt.
"Verstehen statt verbieten" ist das Motto der ehemalige Lehrerin. "Eltern müssen ihre Kinder beim Umgang mit Smartphones und Tablets unterstützen und begleiten." Dazu zählten klare Regeln: Was darf gesehen werden und wann ist das Smartphone tabu.
"Wir raten Eltern, vor allem kleinere Kinder aktiv zu begleiten", ergänzt der "Eine Altersbeschränkung nach unten hat keinen Sinn. Smartphones und Tablet Computer lassen sich intuitiv bedienen und können auch von Kleinkindern genutzt werden."
Der Bildungsexperte vom Digitalverband Bitkom, Stephan Pfisterer, findet, dass die mobilen Geräte auch förderlich sein können. So müssten sich Kinder bei Lernspielen mit den Inhalten auseinandersetzen, Entscheidungen treffen oder ihre Geschicklichkeit üben. "Dabei haben sie Erfolgserlebnisse und lernen spielerisch zum Beispiel Formen, Farben oder das Alphabet."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.