Gemeinsame Verteidigung Atommacht Europa: Macron prescht vor
Eine Debatte über Atomraketen in Europa hat der französische Präsident Emmanuel Macron angeregt. Er wolle mehr zur Verteidigung Europas beitragen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron will stärker über die Rolle von Atomwaffen in einer gemeinsamen europäischen Verteidigung sprechen. Er wolle eine Debatte eröffnen, "die die Raketenabwehr, die Langstreckenkapazitäten und die Atomwaffen für diejenigen, die sie haben oder die auf ihrem Boden über die amerikanischen Atomwaffen verfügen, umfassen muss", sagte Macron in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der Mediengruppe Ebra.
"Legen wir alles auf den Tisch und schauen wir uns an, was uns wirklich glaubwürdig schützt", fügte er hinzu. Frankreich sei bereit, "mehr zur Verteidigung Europas beizutragen". Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht in der Europäischen Union. Frankreich verfügt über 300 nukleare Sprengköpfe, die von U-Booten und Rafale-Kampffliegern aus starten können.
Damit erneuert Macron einen Vorstoß aus dem Februar, über eine gemeinsame europäische Atomwaffenstrategie nachzudenken. Äußerungen des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, europäische Partner, die nach seiner Ansicht nicht genügend in die Nato zu zahlen, allein zu lassen, hatten für Aufregung gesorgt. Macrons Initiative ist ein weiterer Versuch Frankreichs, eine 30 Jahre alte Debatte in Gang zu bringen: Sollen die europäischen Nato-Staaten gemeinsam über Atomwaffen verfügen?
Kurz nach Macrons damaligen Vorstoß hatte die unter anderem die SPD-Europakandidatin Katarina Barley Wohlwollen gezeigt. Sie zog die Verlässlichkeit des US-Atomwaffen-Schutzschirms in Zweifel. Zur Frage, ob die EU eigene Atombomben brauche, sagte sie dem "Tagesspiegel": "Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann also auch das ein Thema werden." Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner sprach sich für mehr Kooperation mit Frankreich und Großbritannien bei der atomaren Abschreckung aus.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen hatte auf die Nato hingewiesen "Wir haben eine funktionierende Nato, eine sehr gute transatlantische Partnerschaft. Dazu gehört auch das, was wir an nuklearer Zusammenarbeit entwickelt haben", sagte er im Februar auf einer Pressekonferenz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk in Berlin.
Polens Präsident zeigte sich offen für Raketenstationierung
Vor wenigen Tagen erst hatte Polens Präsident Andrzej Duda erneut bekräftigt, sein Land sei offen für die Stationierung von US-Atomwaffen. "Wenn es eine solche Entscheidung unserer Verbündeten geben sollte, Atomwaffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe auch auf unserem Territorium zu stationieren, um die Sicherheit der Ostflanke der Nato zu stärken, sind wir dazu bereit", sagte der Präsident im Interview mit der Boulevardzeitung "Fakt".
Die Nato hat nach Angaben ihres Generalsekretärs Jens Stoltenberg nicht vor, Atomwaffen in weiteren Mitgliedsländern zu stationieren. Es gebe keine Pläne, das bisherige Arrangement der nuklearen Teilhabe auszuweiten, sagte Stoltenberg am Dienstag bei einem gemeinsamen Treffen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak vor in Polen stationierten britischen Soldaten.
US-Waffen bereits an geheimen Orten in Europa
Die USA haben seit vielen Jahrzehnten Atomwaffen in mehreren europäischen Ländern stationiert. Es gibt dazu keine offiziellen Angaben – neben Deutschland sollen die Atomwaffen auch in den Niederlanden, Belgien, Italien und in der Türkei lagern. Die US-Regierung hat bislang nicht erkennen lassen, dass sie eine Stationierung in Osteuropa in Erwägung zieht – was Moskau wohl als direkte Provokation verstehen würde.
Macron hatte bereits in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne am Donnerstag eine Stärkung der europäischen Verteidigung angemahnt. "Unser Europa ist sterblich, es kann sterben, und das hängt von unseren Entscheidungen ab", sagte Macron. Er rief zu einer "glaubhaften" europäischen Verteidigung auf. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei dabei "ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents", erklärte Macron.
- Nachrichtenagenturen afp und dpa
- tagesspiegel.de: "Kontroverse Debatte um EU-Atombombe"