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HomeGesundheitKolumne - Ulrike Scheuermann

Depressionen erkennen: drei wichtige Symptome


Diffuse Symptome
Woran erkenne ich Depressionen bei mir oder anderen?

Eine Kolumne von Ulrike Scheuermann

Aktualisiert am 24.05.2020Lesedauer: 6 Min.
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Nachdenklicher Mann: Bis zum Jahr 2020 sollen Depressionen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit die zweit häufigste Volkskrankheit sein.Vergrößern des Bildes
Nachdenklicher Mann: Bis zum Jahr 2020 sollen Depressionen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit die zweit häufigste Volkskrankheit sein. (Quelle: Rawpicture/getty-images-bilder)

Viele Betroffene wissen nicht, dass sie unter Depressionen leiden. Doch das schnelle Erkennen der seelischen Erkrankung ist wichtig. Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann erklärt, auf welche Anzeichen jeder achten sollte.

"Ich bin depressiv", sagt man und meint damit eine depressive Verstimmung. Die Stimmung ist trübe, man hat auf nichts Lust, der Selbstwert ist im Keller. Vielleicht ist gerade alles schwierig im Leben: Der Partner hat sich getrennt, die Arbeit wächst einem über den Kopf. Eine Depression kann aber auch eine behandlungsbedürftige Krankheit sein.

In beiden Fällen sollten wir gut für uns sorgen und bei länger andauernden und schweren Symptomen Hilfe holen. Doch wie erkennt man eine Depression – bei sich selbst und bei anderen? Und was hilft?

Depressionen beeinträchtigen die Lebensqualität immens

Eine Depression zu erkennen, ist nicht so leicht, denn man sieht nichts – keine Verletzung, kein Hinken. Man hört nichts – wer sie durchlebt, zieht sich zurück und findet keine Worte. Wer sie hinter sich hat, vergisst sie möglichst schnell. Und obwohl es so schwer ist, eine Sprache für sie zu finden, ist sie überaus präsent bei uns: Depressive Störungen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität mehr als jede andere psychische oder körperliche Erkrankung. Das Leiden ist immens.

Zehn Jahre lang habe ich früher als Psychologin im Berliner Krisendienst gearbeitet, für Menschen in akuten Krisen. Immer wieder waren wir auch mit Notfalleinsätzen vor Ort bei schwer depressiven und akut suizidalen Menschen. Dabei habe ich das große Problem bei Depressionen kennengelernt: Sie bleiben viel zu oft unerkannt.

Warum das so ist? Die Symptome sind oft unklar, vor allem jedoch sind Depressionen bei uns immer noch stigmatisiert: Wer depressiv ist, gilt als schwach und "sollte sich mal zusammenreißen".

"So kenne ich mich sonst gar nicht"

Das erlebe ich auch eindrücklich bei Teilnehmenden in meinen Self-Care-Programmen. Matthias, ein stiller, massiger Zwei-Meter-Mann, ahnt seit Wochen, dass er nicht nur ein vorübergehendes Stimmungstief hat. Er erzählt: Als Manager und Perfektionist funktioniert er während seiner Zehn-Stunden-Tage wie ein Uhrwerk, seine Mitarbeiter brauchen und schätzen ihn, dann fühlt er sich sogar wichtig. Doch abends auf dem Heimweg breitet sich eine dunkle Wolke über ihm aus. "So kenne ich mich sonst gar nicht."

Alle möglichen körperlichen Symptome, die er tagsüber ausgeblendet hat, sind plötzlich präsent: Kopf- und Rückenschmerzen, diffuse Bauchprobleme, dieser Kloß im Hals. Stundenlang starrt er nachts ins Dunkel und ist morgens oft schon um drei Uhr endgültig wach. Ich frage genauer nach seiner Stimmungslage. Er wird rot vor Scham, aber er überwindet sich zu erzählen: "Dieses Schwermütige. Manchmal frage ich mich, ob sich das alles noch lohnt. Wenn ich meine Arbeit und meine Tochter nicht hätte...". Wie bei so vielen Männern wusste bisher niemand von seinem Leiden, und ich bin dankbar und voller Respekt, dass er den Mut hat, sich zu öffnen.

Depression geht uns alle an

Bis zum Jahr 2020 werden Depressionen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit die zweit häufigste Volkskrankheit sein. Ungefähr jeder Fünfte durchleidet einmal im Leben eine Depression, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Am häufigsten trifft die Erkrankung 18- bis 25-Jährige zum ersten Mal. Somit geht uns Depression fast alle an, entweder direkt oder indirekt, zum Beispiel als Angehörige.

Ich möchte auch einen Zusammenhang erwähnen, der meist missachtet wird: Depression und Suizid. In Deutschland sterben jährlich rund 10.000 Menschen durch einen Suizid, und die Hälfte aller Suizide steht im Zusammenhang mit einer Depression. Der Anteil der Männer ist bei Suiziden fast dreimal so hoch. Suizide sind mit Abstand die häufigste nicht natürliche Todesursache, danach kommen Verkehrsunfälle mit "nur" etwa 3.000 Fällen jährlich. Das ist dramatisch. Dabei hätte die Erkrankung gute Heilungschancen – wenn man sie erkennt und ihr mit wirksamen Ansätzen begegnet.

Die drei wichtigen Symptome von Depressionen

Matthias hatte deutliche Anzeichen einer Depression. Gerade, wenn man merkt, dass die Stimmung, die Gefühle, die Motivation und der Schlaf grundsätzlich anders sind als man sich sonst kennt, sollte man aufmerksam werden. Erst recht, wenn die depressive Stimmung – das Leitsymptom – fast die ganze Zeit am Tag und so gut wie jeden Tag in der Woche unabhängig von äußeren Umständen auftritt.

  1. Stimmung und Antrieb: Leitsymptom einer Depression ist die tief niedergeschlagene, freudlose Stimmung. Alles erscheint aussichtslos und anstrengend, auch das, was sonst Freude bereitet hat. "Wozu soll ich noch leben?", fragen sich viele Betroffene. Man erlebt alles gedämpft, wie durch Watte – ein "Gefühl der Gefühllosigkeit". Antrieb, Interesse und Leistungsfähigkeit nehmen meist rapide ab, man ermüdet viel leichter als sonst. Auch Konzentration und Entscheidungsfähigkeit sind deutlich verringert.
  2. Selbstwert: Betroffene spüren oft ein tiefgreifendes Gefühl der Wertlosigkeit. Schuldgefühle und übertriebene Selbstvorwürfe wie "Ich bin einfach unfähig" oder "Ich bin eine Belastung für alle" sind ebenfalls typisch.
  3. Schlaf und körperliche Symptome: Gestörter Schlaf und veränderte Schlafmuster wie zu wenig oder zu viel Schlaf, Appetitlosigkeit, Gewichtsveränderungen und zahllose Körper- und Schmerzsymptome können ebenfalls auf eine Depression hindeuten.

Ursachen und Heilungsansätze sind vielfältig

Psychische Ursachen wie etwa ein Trauma oder ein ungelöster Konflikt können eine Depression auslösen, ebenso soziale Aspekte wie Einsamkeit oder Mobbing oder körperliche Veränderungen wie zum Beispiel durch bestimmte Viren, Hormone oder die Ernährung. Dementsprechend vielfältig sind die Ansätze für Prävention, Heilung und Stabilisierung.

Zum Arzt gehen ist das eine, und es ist wichtig, wenn man deutliche und langanhaltende Depressionssymptome bei sich oder anderen bemerkt. Doch wir können auch begleitend oder vorsorgend etwas tun. Mit dem westlichen Lebensstil leben wir nämlich so, dass grundlegende körperliche, psychologische und soziale Bedürfnisse nicht mehr erfüllt sind. Wir sind zum Beispiel die einsamste Gesellschaft, die es je gab.

Wenn wir gut für uns sorgen, bleiben wir psychisch und körperlich gesünder, bemerken depressive Tendenzen und ihre Auslöser und können dann gegensteuern. Deshalb gewinnen Selbstfürsorge und die so genannte "therapeutische Lebensstilveränderung" neben den herkömmlichen Methoden wie Medikamenten und Psychotherapie zunehmend an Bedeutung.

Sechs Ansätze für Lebensstilveränderungen

Hier sind sechs wichtige Ansätze, die jeder in seinen Alltag integrieren kann und die zur allgemeinen Verbesserung der Stimmung und damit Lebensqualität beitragen können.

  1. Gute und stabile Beziehungen: Dafür muss man sich anderen Menschen gegenüber öffnen und erzählen, wie es einem wirklich geht, und auch um Hilfe bitten lernen.
  2. Genug bewegen: Laufen, Walken, Radfahren, Schwimmen – möglichst dreimal pro Woche sollte man eine halbe Stunde Sport treiben, der aus der Puste bringt. Auch schon eine gute Sache: ein paar Querstraßen früher aus der Bahn aussteigen und den restlichen Weg zur Arbeit spazieren.
  3. Genug schlafen: Sieben bis acht Stunden Schlaf sind optimal.
  4. Bewusster Umgang mit Licht: Es empfehlen sich eine halbe bis zwei Stunden helles Tageslicht sowie tiefe Dunkelheit in der Nacht. Hintergrund: Bei Sonnenlicht messen wir eine Beleuchtungsstärke von bis zu rund 100.000 Lux, bei bedecktem Himmel ungefähr 5.000 bis 60.000 Lux. In Räumen haben wir bei Lampenlicht jedoch nur rund 500 Lux, und damit kommen wir schlicht nicht auf die notwendige Lichtintensität für Stimmungsaufhellung und einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus.
  5. Auf die Ernährung achten: Eine vorrangig pflanzenbasierte, an Omega-3-Fettsäuren reiche Ernährung mit wenig bis gar keinem Industriezucker fördert das Wohlbefinden.
  6. Grübelgedanken beenden: Kreisende, oft stundenlange Grübeleien kann man durch Fokussieren auf eine Tätigkeit und durch präsentes Zusammensein mit Menschen beenden.

Der Weg aus der Einsamkeit

Als Matthias sich im Seminar gegenüber mir und anderen zu öffnen begann, war das der Beginn seiner Heilung. Er fasste wieder Mut, sich auch anderen anzuvertrauen – und bekam Hilfe: Zwei früheren Freunden erzählte er, wie es ihm wirklich geht und sie reagierten verständnisvoll und luden ihn öfters zu sich nach Hause ein, waren geduldig mit ihm, wenn er sich nicht aufraffen konnte. Seine Eltern halfen ihm im Haushalt. Eine Kollegin entlastete ihn bei den Teamsitzungen. Er änderte nach und nach seinen Lebensstil und begann mit einem Nachbarn zu joggen. Wir lösten im Seminar innere Blockaden auf.

Heute ist er gut aufgehoben in einem Netzwerk aus Freunden und Familie, arbeitet weniger und engagiert sich daneben in einem Ehrenamt, das ihn mit neuer Freude und Sinn erfüllt.

Depressionen gehen uns also alle an. Wir können mehr darauf achten, dass sie zukünftig häufiger erkannt und behandelt werden – und wir können damit Leben retten.

Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Stiftung Deutsche Depressionshilfe
  • Weltgesundheitsorganisation (WHO)
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