Nicht immer eine gute Idee Sollte ich meinen Seitensprung beichten?
Ist ein Partner fremdgegangen, stellt das die Beziehung auf die Probe. Doch ein Seitensprung muss nicht immer eine Trennung bedeuten – Paare können sich dadurch auch weiterentwickeln.
Nach der Offenlegung eines Seitensprungs hat man Schuldgefühle, macht sich heftige Vorwürfe, leidet mit mit dem Partner und hat Angst, dass nun eine Trennung der unausweichliche nächste Schritt ist.
Ein Seitensprung kann aber auch ein Anlass sein, sich jetzt mit der Beziehung und dem, was nicht mehr gut war, gemeinsam auseinanderzusetzen. Dann führt der Seitensprung womöglich zu einer größeren Nähe, einer lebendigeren Beziehung und zu einem Austausch auf einer tieferen Ebene.
Die Krise kann im klassischen Sinn zur Chance werden. Es kann auch herauskommen, dass der Seitensprung der letzte Anstoß war, um eine Beziehung zu beenden, die ohnehin nicht mehr als erfüllend erlebt wird.
Doch gleich nach einem Seitensprung geht es erst einmal darum: Erzähle ich es überhaupt?
Wann und was erzähle ich?
Wenn Sie etwas oder alles verschweigen, so möchten Sie damit vielleicht den Partner, die Partnerin nicht unnötig verletzen. Wenn Sie für sich wissen, dass es ein Ausrutscher war, sollten Sie erst gründlich überlegen, ob Sie das erzählen müssen.
Muss er oder sie von dem One-Night-Stand erfahren, der für Sie gar nichts bedeutet und ohne weitere Konsequenzen bleibt? Natürlich hängt diese Entscheidung auch von den eigenen Grundsätzen und von der Verabredung ab, die beide miteinander haben: Vielleicht hat man irgendwann einmal abgesprochen, dass man sich ALLES erzählt.
Es gibt aber auch Paare, bei denen entweder einer oder beide wissen, wie stark es sie verletzen würde, so dass sie entschieden haben: „Ich will das nicht wissen, solange es unsere Beziehung nicht grundlegend beeinträchtigt oder gefährdet“.
Den wahren Grund herausfinden
Ich erlebe es immer wieder, dass jemand von seinem Seitensprung erzählt, um das eigene Gewissen zu entlasten, also aus einem egoistischen Grund. Das zerstört möglicherweise unnötig viel, vielleicht sogar die ganze Beziehung. Wenn Sie Gewissensbisse belasten, gehört die Entlastung davon aber woanders hin, nicht zum Partner, zur Partnerin.
Deshalb prüfen Sie vorher ehrlich: Was ist der wahre Grund dafür, dass ich das jetzt erzählen will? Benutze ich meine Partnerin, meinen Partner, damit es mir besser geht? Oder merke ich, dass ich eine Grenze der Unehrlichkeit überschritten habe, die nicht mehr zur Beziehung passt und auch nicht mehr im Sinne meines Partners ist?
Sie müssen übrigens dann, wenn Sie reden, Fragen nach Details nicht oder nicht alle beantworten. Es kann auch eine Grenzüberschreitung bedeuten. Immerhin ist ja auch noch eine dritte Person beteiligt. Und Ihrem Partner hilft es auch meist nicht, selbst wenn er in der ersten Aufregung alles wissen will.
Der Ton und die Umgebung machen die Musik
Wenn Sie sich dafür entscheiden, zu reden, spielt das „Wie“ eine entscheidende Rolle. Ich höre oft, dass der Moment, in dem man vom Seitensprung des Partners erfährt, ein nahezu traumatisches Erlebnis für die andere Person ist, von In-flagranti-Situationen ganz zu schweigen. Die sind für alle Beteiligten besonders belastend.
Besser ist es, sehr bewusst die Verantwortung für die Offenlegung zu übernehmen und es nicht dem unglücklichen Zufall zu überlassen.
Dabei ist nicht unbedingt das face-to-face-Gespräch die beste Form. Bei einem Spaziergang etwa gibt es mehr Möglichkeiten, den physischen Abstand zu verändern, man ist in Bewegung, muss sich nicht die ganze Zeit in die Augen sehen und es können leichter Pausen entstehen.
So können Sie zwischendurch für sich prüfen: Wie geht es mir gerade? Was braucht meine Partnerin, mein Partner? Was will und brauche ich jetzt? Reicht es fürs erste? Nicht nur die andere Person, beide sind mit starken, schmerzlichen Gefühlen beschäftigt und sollten gut auf sich und aufeinander aufpassen.
Deshalb sollten Sie auch Ihre Worte sorgfältig wählen: Womit verletze ich am wenigsten? Wie bleibe ich klar, ohne unnötige Details zu erzählen, aber auch, ohne zu verschleiern? Sage ich „Ich habe eine Affäre“ oder „Ich bin jemandem nähergekommen“? Sage ich: „Ich war mit XXX im Bett“ oder „Ich habe mich verliebt“?
Jenseits von Schuld, moralischer Verdammung und automatischer Trennung
Nicht automatisch muss ein Seitensprung oder eine Affäre das Aus für die Beziehung bedeuten. Wenn beide dazu bereit sind, kann das Paar die Situation aufarbeiten und seine Beziehung dadurch intensivieren und weiterentwickeln.
Für den Psychoanalytiker Michael Lukas Möller geht es fast immer um einen Entwicklungsschritt der Beziehung, um eine "Emanzipation zu zweit“, den die Partner nicht als Paar geschafft haben, so dass erst der oder die Dritte zu etwas Neuem führte.
Möller war Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Universität Frankfurt am Main, leitete deutschlandweit Seminare für Paare und wurde mit dem "Internationalen Otto-Mainzer-Preis für die Wissenschaft von der Liebe" ausgezeichnet.
Er nennt einen Seitensprung „Aushäusige Beziehung“, um die negative Bewertung zu vermeiden und um das Potenzial für die Weiterentwicklung der Beziehung erkennen zu können. Er schlägt vor, mit einer verstehenden Haltung, statt mit moralischer Verdammung zu reagieren.
Die Grundfrage kann dann lauten: „Warum haben unsere beiden Unbewussten es zu diesem Zeitpunkt bewirkt, dass einer von uns sich in einen anderen verliebt hat?“ Unbewusstes steht hier für die vorerst nicht zugänglichen Impulse und Wünsche gegenüber sich und dem anderen. Mit dieser Frage geht man über die Schuldfrage hinaus.
Die Weiterentwicklung der Beziehung nach einem Seitensprung
Möller hat eine erfolgreiche Selbsthilfemethode entwickelt, die Zwiegespräche, die ich empfehlenswert für Paare in dieser besonderen Situation finde. Sie sind aber auch vorsorgend und in anderen nahen Beziehungen wie etwa Freundschaften sinnvoll.
In diesem Zwiegespräch, einem ungestörten anderthalbstündigen Gespräch zu einem regelmäßigen Jour fixe, helfen bestimmte Regeln, sich nicht in Streit zu verstricken, sondern gegenseitiges Verständnis und Empathie füreinander zu entwickeln.
Jeder berichtet, wie er sich selbst, den anderen und die gemeinsame Beziehung erlebt. Dabei reden die beiden abwechselnd. Die Person, die gerade redet, spricht nur über sich, darf immer ausreden. Die andere unterbricht also nicht, stellt keine Fragen, gibt keine Ratschläge.
Man darf auch schweigen und es besteht kein Zwang zur Offenbarung. Diese Gesprächsform passt zu der täglichen „5-Minuten-Zweisamzeit“, die ich für Paare und für nahe Freundschaften vorschlage.
Nach einem Seitensprung in Ruhe zu reden ist nicht leicht und es braucht meist viel Verarbeitungszeit. Es kann aber auf Dauer eine Chance für die Beziehung bedeuten und zu einer reiferen Beziehung führen, in der Wünsche innerhalb der Beziehung thematisiert und verhandelt werden, in der beide gegenseitig die Unzulänglichkeiten von sich selbst und vom anderen akzeptieren und neue Seiten ihrer Person ausprobieren und leben.
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Ulrike Scheuermann: Das Wesentliche leben. Schreibfitness & Sachbuch Bestseller
- Michael Lukas Moeller: Die Wahrheit beginnt zu zweit: Das Paar im Gespräch. Rowohlt, 2011.