Neue Statistik zeigt Kaiserschnittkinder werden häufiger krank
Kinder, die per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, haben statistisch gesehen häufiger gesundheitliche Probleme als Kinder, die vaginal geboren werden. Das zeigt ein aktueller Gesundheitsreport. Woran liegt das?
Nach Kaiserschnitt-Geburten kommt es einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse (TK) zufolge statistisch gesehen häufiger zu Gesundheitsproblemen bei Kindern.
Ob der Grund dafür die Art der Entbindung ist, lasse sich auf Basis der reinen Abrechnungsdaten allerdings nicht feststellen, sagte Jens Baas, Vorstandschef der Kasse, bei der Vorstellung des TK-Kindergesundheitsreports. So habe durch die begrenzte Datenlage zum Beispiel nicht einfließen können, ob Mütter in der Schwangerschaft rauchten, sich gesund ernährten oder ihr Baby nach einer Sectio (Kaiserschnitt) stillten.
Höheres Risiko für Verhaltensstörungen
Die Krankenkasse analysierte die Abrechnungsdaten von rund 38.850 Kindern, die im Jahr 2008 geboren wurden, bis sie 2016 acht Jahre alt waren. Rund 11.900 Babys (31 Prozent) kamen per Kaiserschnitt zur Welt. Sie hatten im Vergleich zu natürlich geborenen Kindern nach Angaben der TK ein um fast 11 Prozent erhöhtes Risiko, Verhaltensstörungen zu entwickeln. Das Risiko für eine chronische Bronchitis sei um rund 9,5 Prozent erhöht gewesen, das Allergierisiko um rund 9 Prozent.
Um fünf bis acht Prozent höher hätten auch Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Probleme gelegen. Unterscheiden konnte die Kasse mit ihren Daten nicht, ob ein Kind unter einer schweren Geburt per Not-Kaiserschnitt geholt wurde oder ob es ein geplanter Eingriff ohne Probleme war.
Mediziner Frank Louwen, Vizechef der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, begrüßte die Studie. Ihn überraschen die Ergebnisse nicht. "In der Summe ist das eine Bestätigung von Metaanalysen, die es bereits gibt", sagte er. Die Art der Geburt habe einen kurz- und langfristigen Einfluss auf die Gesundheit von Kindern. "Die Frage ist aber, welchen genau", ergänzte er. Es gehe nicht darum, sinnvolle Kaiserschnitte zu verurteilen.
Louwen würde sich wünschen, dass Kassen nicht allein im Rückblick schauen, was es für Unterschiede gibt. Er halte Studien für sinnvoll, die ab einem Stichtag mit Kenntnis der Versicherten nach festgelegten Fragestellungen an das Thema herangehen und dann immer wieder nachfragen. Dabei müssten sich die Kontrollgruppen gleichen – also zum Beispiel die gleiche Anzahl übergewichtiger oder stillender Mütter einbezogen sein.
Fittere Babys nach vaginaler Geburt
Bereits heute wissen man, dass gesunde Kinder gesunder Frauen direkt nach einer vaginalen Geburt fitter seien als Sectio-Babys, sagte Louwen. Und auch, dass Kaiserschnitt-Kinder auf lange Sicht häufiger Autoimmunkrankheiten, Allergien, Asthma oder Übergewicht entwickelten.
Nur warum? Studien, ob das am Kontakt mit dem Gewebe der Mutter im Geburtskanal und der Bakteriengemeinschaft dort – dem Mikrobiom – liegen könnte, liefen noch, sagte Louwen. "Das sind Hypothesen. Genauso wie die Frage, welche Rolle die Plazenta während einer Geburt spielt." Wünschenswert sei es jedenfalls, dass Kinderärzte die Art der Geburt bei Vorsorgeuntersuchungen mit auf dem Schirm hätten.
Zu den Gründen für einen Kaiserschnitt zählen nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter oder Kind. Es gehe es zum Beispiel um eine vorzeitige Ablösung der Plazenta, ein drohendes Reißen der Gebärmutter oder schwere Erkrankungen der Mutter.
Solche Gründe träfen aber nur auf rund zehn Prozent der Kaiserschnittentbindungen zu, heißt es im jüngsten RKI-Bericht zur Gesundheit in Deutschland. Beim Rest werde nach Abwägung entschieden, zum Beispiel bei Mehrlingen, früheren Entbindungen durch Kaiserschnitt, sehr schweren Kindern über 4.500 Gramm oder einer sehr komplizierten Geburt.
Steigende Sectio-Rate
Seit 1994 hat sich der Sectio-Anteil an allen Geburten in Deutschland laut RKI fast verdoppelt. Deutschland gehört mit rund 32 Prozent zu Ländern mit hohen Raten. Der EU-Schnitt lag 2010 nur bei rund 25 Prozent. Als Gründe für den Anstieg in Deutschland gelten unter anderem das höhere Alter der Schwangeren, die Zahl großer und schwerer Kinder und Mehrlingsschwangerschaften nach künstlichen Befruchtungen.
Statistische Häufig, keine Kausalität
Doch hat eine Sectio Auswirkungen auf die spätere Gesundheit der Kinder? Als Langzeitrisiken von Kaiserschnitt-Entbindungen werden laut RKI Asthma, Typ-1-Diabetes, Nahrungsmittelallergien und Übergewicht diskutiert. Genau untersucht hat das Bundesinstitut mögliche Zusammenhänge für Deutschland aber noch nicht.
Die Ärztin und Buchautorin Martina Lenzen-Schulte nimmt Studien zu Kaiserschnitten seit Jahren genau unter die Lupe. "Kausal ist da gar nichts, es sind statistische Häufungen", urteilt sie. Gehe es um angebliche Nachteile des Kaiserschnitts, werde oft nicht geschaut, ob spätere Gesundheitsprobleme der Kinder nicht schon durch ihre Eltern "vorprogrammiert" seien.
Sind sie zum Beispiel übergewichtig, wurde die Mutter in der Schwangerschaft zuckerkrank oder gibt es Allergien in der Familie? Wichtig sei auch zu wissen, ob ein Baby nach einem Kaiserschnitt gestillt wurde.
"All das wirkt sich auf die Gesundheit eines Kindes aus", sagte die Medizinerin. Für sie ist es deshalb nicht unbedingt der Kaiserschnitt, der Kinder später dicker werden oder unter Asthma leiden lässt, sondern es sind die individuellen Umstände in Familien. Wenn schon Vergleiche, dann wünscht sie sich Geschwisterstudien aus Familien, in denen ein Kind per Sectio und eines natürlich zur Welt kam.
TK-Vorstand Baas nennt die Kaiserschnittzahlen in Deutschland im Vergleich mit Nachbarstaaten wie den Niederlanden "erschreckend hoch". Dort liege die Sectio-Rate bei nur 16 Prozent. Die Gründe für Kaiserschnitte in Deutschland ließen sich aus den Kassendaten nicht ablesen.
Weniger Kaiserschnitte im Osten
Baas vermutet, dass auch der Hebammen-Mangel in Kliniken inzwischen dazu führen könne, dass Geburten lieber per Kaiserschnitt geplant würden. Regional sind die Sectio-Raten darüber hinaus sehr unterschiedlich – sie schwankten allein bei den TK-Versicherten im Jahr 2018 zwischen 20 Prozent in Sachsen und 31 Prozent im Saarland. Auffällig ist auch ein Ost-West-Unterschied: In Ostdeutschland ist die Sectio-Rate durchweg geringer.
Die TK plädiert wie andere Krankenkassen, zum Beispiel die KKH, dafür, medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitte zu vermeiden. Sie appelliert auch an Eltern und Ärzte, bei Kaiserschnitt-Kindern genauer hinzuschauen, um bei möglichen gesundheitlichen Defiziten sofort gezielt gegensteuern zu können.
Ärztin Lenzen-Schulte sieht sich nicht als Verfechterin von Kaiserschnitten. Sie wünscht sich jedoch mehr faire Aufklärung für Frauen. Nicht alle Schwangeren wüssten, dass allein schon ein großes und schweres Kind bei einer natürlichen Geburt ihren Beckenboden reißen lassen könne. Manche würden dadurch dauerhaft inkontinent.
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Was ihr fehlt, ist eine bundesweit einheitliche Haltung in Kliniken: Manche hielten eine natürliche Geburt für das Maß aller Dinge, andere zögen bei erkennbaren Risiken Kaiserschnitte vor, um spätere Klagen zu vermeiden. Und wieder andere wollten in jedem Fall Schaden von Mutter und Kind fernhalten. Das ist für Lenzen-Schulte immer noch der beste Weg.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa