Von wegen krisenfest Evergrande-Drama bedroht Bitcoin mit rapiden Verlusten
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Parallel zum Aktienmarkt steigt die Unsicherheit auch am Kryptomarkt. Sowohl der Bitcoin als auch Ether müssen am Dienstag Verluste hinnehmen. Doch der richtige Kursrutsch könnte noch auf die Anleger warten.
Die Ungewissheit rund um die Zukunft des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande lässt nicht nur die Nerven bei Aktienanlegern flattern. Auch der Markt für Kryptowährungen steht unter Druck. In der Nacht auf Dienstag fiel der Kurs der ältesten und bekanntesten Digitalwährung Bitcoin bis auf rund 40.200 US-Dollar. Noch vor wenigen Tagen hatte die nach Marktwert größte Kryptoanlage fast 10.000 Dollar mehr gekostet.
- Aktueller Kurs: Wo steht die Evergrande-Aktie gerade?
Auch andere Digitalwerte standen weiter unter Druck. Die zweitgrößte Internetdevise Ether kostete am Dienstag am niedrigsten Punkt bei 2.871 Dollar. Anfang September hatte ein Ether noch knapp 4000 Dollar gekostet. Der Marktwert aller derzeit rund 12.000 Kryptoanlagen betrug am Dienstag etwa 1,8 Billionen Dollar. Noch am Wochenende waren es fast 400 Milliarden Dollar mehr gewesen.
Zwar erholten sich Bitcoin und Ether im Laufe des Dienstags etwas auf zwischenzeitlich 43.000 Dollar beziehungsweise 3.000 Dollar, aber der Optimismus bleibt aus. "Wir können noch keine sehr positive Sichtweise einnehmen, bevor wir nicht die nächsten Tage überstanden haben", sagte Matthew Dibb, Manager beim Krypto-Indexfondsanbieter Stack Funds.
Anleger flüchten sich in den Dollar
Krypto-Experte Timo Emden vom gleichnamigen Analysehaus geht sogar noch einen Schritt weiter: "Der Mittwoch dürfte sehr, sehr spannend werden. Sollte sich abzeichnen, dass Evergrande tatsächlich insolvent geht, wird es noch einmal richtig rappeln", prognostiziert er.
An den Finanzmärkten fragt man sich, welche Auswirkungen sich für die chinesische Volkswirtschaft und darüber hinaus im Falle einer Zuspitzung der Problematik ergeben können. Der Immobiliensektor macht einen erheblichen Teil der chinesischen Volkswirtschaft aus.
Laut Emden entwickeln bei der aktuellen Situation viele Anleger daher eine Risikoaversion – anstatt in Aktien oder noch risikoreichere Anlageklassen wie Kryptowährungen zu investieren, suchen sie sichere Häfen. "Die Anleger flüchten sich in den US-Dollar, ganz nach der Maxime: 'Cash is king' ", so der Experte. Die Anleger gehen also zurück zu Fiat-Währungen und verlassen dafür die risikoreicheren Kryptowährungen.
Kryptowährungen sind keine Krisenanlagen
Bitcoin, Ether und Co. haben sich damit erneut nicht als Krisenwährung und damit als ausgleichendes Investment zum Aktienmarkt bewiesen. Bereits in der Corona-Krise verlief die Abwärtsbewegung der Aktien- und der Kryptomärkte sehr ähnlich.
"Die 'klassischen' Krisenanlagen sind weiterhin Gold, Silber und Rohstoffe – Kryptos gehören nicht dazu", sagt Emden. Er verweist aber darauf, dass Anleger, die zu Beginn der Corona-Krise in Bitcoin oder Ether investiert haben, die aktuellen Schwankungen kaum spüren konnten. Im vergangenen Jahr lag der Bitcoin im Tief noch bei unter 6.500 Dollar.
Tatsächlich sei es langfristig sogar ein positives Zeichen für die Kryptowährungen, wenn sie parallel zum Aktienmarkt verlaufen. Es zeigt, wie etabliert diese Anlageform bei professionellen Anlegern ist. "Wenn große Investoren ihre Wertpapiere abstoßen, stoßen sie auch ihre Krypto-Assets ab. Dadurch sieht man vielmehr, wie wichtig Krypto geworden ist", sagt Emden.
Das dürfte einer der Aspekte sein, warum die Kurse der großen Kryptowährungen in den vergangenen Monaten sensibler auf Meldungen der Notenbanken und Aktienmärkte reagiert haben als noch vor wenigen Jahren. Beim aktuellen Abverkauf seien aber in erster Linie Kleinanleger aus dem Markt ausgeschieden. "Investoren verfolgen ein langfristiges Ziel. Privatanleger, die bei der Aufwärtsbewegung zu hohen Preisen eingestiegen sind, bekommen bei solchen Abwärtsbewegungen verstärkt kalte Füße", weiß Experte Emden.
Bitcoin könnte auf bis zu 35.000 Dollar abrutschen
Tatsächlich könnten die Nerven der Kleinanleger in den kommenden Tagen auf eine harte Probe gestellt werden. Sollte Evergrande insolvent gehen, hält der Experte auch einen Absturz auf bis zu 35.000 Dollar pro Bitcoin für möglich. "Bei Kryptowährungen gibt es oft einen finalen Ausverkauf, bevor es wieder bergauf geht."
Institutionelle Anleger dürften von dieser Marktbereinigung sogar profitieren. "Kleinanleger werden von institutionellen Anlegern aus dem Markt gedrängt. Viele Kleinanleger haben lieber verkauft und damit die Abwärtsbewegung forciert." Für institutionelle Anleger, die langfristig in den Markt investieren wollen, bieten solche Momente dann sogar Chancen, ihre Positionen auszubauen.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Timo Emden
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
- Bitcoin-Kurs, Ethereum-Kurs, aktueller Goldpreis