Parallelslalom auf dem Teufelsberg Als sich die besten Skifahrer der Welt in Berlin duellierten
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kurios, aber wahr: In Berlin fand mal ein Weltklasse-Skirennen statt. Gegen viele Widerstände wie das Wetter, die flache Landschaft und den amerikanischen Geheimdienst.
Berlin ist für vieles bekannt. Hauptstadt, Currywurst, wiedervereint. Arm, aber sexy. Und auch für Sportgroßveranstaltungen, Marathon, WM-Finale. Wenn Berlin aber als eines nicht bekannt ist, dann als Wintersportort. Viel zu wenig Schnee, viel zu flach. Und doch gab es ihn, den einen Tag im Jahr 1986, als die Weltelite des Skisports in Berlin zu Gast war.
Auf dem Teufelsberg in West-Berlin fand am 28. Dezember 1986 ein Parallel-Slalom statt, an dem damalige Weltstars wie Ingemar Stenmark oder Markus Wasmeier teilnahmen. Bei Plusgraden und in strömendem Regen stürzten sich die Profis den Berg hinunter, der im Vergleich zu den üblichen Weltcupstationen eher ein Hügel ist. Anlass für das Rennen war die 750-Jahr-Feier Berlins, die 1987 stattfand.
Der Teufelsberg ist etwa 120 Meter hoch und liegt im Grunewald. Er ist kein natürlicher Berg, sondern besteht aus aufgeschütteten Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Es gab sogar mal einen Skilift dort. 1972 wurde dieser allerdings wieder abgebaut. Auf dem Teufelsberg befand sich eine Abhörstation der US-Amerikaner, deren Ruine bis heute über die Baumwipfel ragt. Weil die Metallträger des Lifts die Abhöraktivitäten störte, musste der Lift weichen.
Wie steinig der Weg war, bis die absurd anmutende Idee des Skirennens in Berlin Wirklichkeit wurde, weiß kaum jemand besser als Matthias Mikolajski-Kusche. Er war damals ehrenamtlicher Geschäftsführer des Berliner Skiverbandes, der das Rennen ausrichtete. Mit einem Team von weiteren Ehrenamtlichen war er mit der Mammutaufgabe betraut, das Skispektakel zu organisieren.
Skiverband schrammt an der Insolvenz vorbei
"Wir waren ziemlich überfordert", sagt Mikolajski-Kusche heute. Der mittlerweile 66-Jährige absolvierte 1986 gerade sein Referendariat. Von der Schulsenatorin wurde er extra für vier Wochen freigestellt, damit er das Skirennen organisieren konnte. "Wir konnten damals gar nicht abschätzen, was da alles auf uns zukommt." Kleinste Details wurden zu großen Hürden. Absperrgitter ausleihen, Tribünen auf- und abbauen. Und es wurde teuer. Trotz Unterstützung der Sponsoren Audi und Bogner reichte das Geld nicht. "Das Rennen hat den Berliner Skiverband um ein Haar in die Insolvenz getrieben", sagt Mikolajski-Kusche heute. Zwischen 13.000 und 15.000 Fans sollen damals an die Strecke gekommen sein. Weniger, als die Veranstalter gehofft hatten. "Heute denke ich aber, dass mehr gar nicht machbar gewesen wären", sagt Mikolajski-Kusche.
Mit Unterstützung von Feuerwehr und Polizei klappte die Vorbereitung des Rennens irgendwie. Den wichtigsten Faktor für ein Skirennen können aber selbst die engagiertesten Ehrenamtlichen nicht beeinflussen: das Wetter. Man hatte zwar Schneekanonen. Aber um die benutzen zu können, habe man auch Temperaturen unter null Grad gebraucht, sagt Mikolajski-Kusche. Lange sei es zu mild gewesen. Dann, zwei Tage vor dem Rennen, endlich Kälte, sogar ein bisschen Neuschnee.
Aber zu früh gefreut. Als Mikolajski-Kusche am Abend vor dem Rennen das Hotel Intercontinental verließ, wo eine Veranstaltung mit Sportlern und Funktionären stattfand, fing es an zu regnen. Er habe noch gehofft, dass das schnell wieder aufhört, erzählt er. Die Hoffnung zerschlug sich, als er am 28. Dezember die Augen aufmachte. "Es war Dauerregen, den ganzen Tag." Auf alten Fotos der Veranstaltung sind tausende Regenschirme zu sehen, die die Zuschauer am Rand der Strecke in der Hand halten.
Brezelsalz rettet das Rennen
Ein Wundermittel rettete das Rennen vor der Regen-Absage: Brezelsalz. Das hatten Pistenexperten aus Garmisch-Partenkirchen mit nach Berlin gebracht. "Das haben wir den ganzen Tag auf der Strecke gestreut", sagt Mikolajski-Kusche. Das Salz entzieht dem Schnee die Nässe und macht ihn so wieder fest. Das Rennen konnte beginnen.
Das Wetter war aber nicht die letzte zu überwindende Hürde für diesen Tag, der Kalte Krieg sollte auch noch dazwischenfunken. Der Sender Freies Berlin (SFB) übertrug das Rennen live am Fernsehen. In der Kameraeinstellung vom Ziel aus sei im Hintergrund die amerikanische Abhörstation zu sehen gewesen, sagt Mikolajski-Kusche. "Das hat denen gar nicht gefallen." Die Amerikaner riefen beim SFB an und drohten damit, die Übertragung abzudrehen, falls die Abhörstation weiter zu sehen sei. Schnell wurde der Bildausschnitt geändert. Diese Erinnerung von Mikolajski-Kusche wird durch mehrere Medienberichte bestätigt.
Im Finale gegen Stenmark holte sich der Österreicher Leonhard Stock den Sieg. Er kann sich vor allem noch an die "coole Atmosphäre" und die vielen Zuschauer erinnern, sagt er. "Besonders steil war die Strecke nicht, aber Spaß hat es trotzdem gemacht." In Berlin war er seit seinem Triumph nie wieder.
Ein Weltklasse-Skirennen in Berlin, das wird wohl einmalig bleiben. Eine Neuauflage sei nie wieder Thema gewesen, sagt Mikolajski-Kusche. Der Teufelsberg sei eigentlich zu klein, der Aufwand für so ein Rennen viel zu groß. Im Nachgang habe es zudem viel Kritik von Umweltschützern gegeben. Wegen des Brezelsalzes auf dem Hang. Und weil die Teilnehmer mit Autos von Audi durch den Wald zum Start gefahren wurden. Einen Skilift gab es ja nicht mehr.
Traurig ist Mikolajski-Kusche darum nicht. "Es war zwar eine tolle Erfahrung. Nochmal angetan hätte ich mir das aber nicht."
- Persönliches Interview mit Matthias Mikolajski-Kusche
- Telefonisches Interview mit Leonhard Stock