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Boris Pistorius in den USA: Minister mit klarer Botschaft


Boris Pistorius auf USA-Reise
"Das war ein Fehler"


10.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Umsetzer der Zeitenwende: Boris Pistorius bei seinem Besuch in den USA. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)

Boris Pistorius versucht es in den USA mit klarer Kommunikation. Die eindringliche Botschaft des Verteidigungsministers: Nach Jahrzehnten der militärischen Zurückhaltung sei Deutschland bereit, zu führen.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Am Tag der Befreiung steht Boris Pistorius auf einem Hügel und blickt auf die amerikanische Hauptstadt. Mehr als 8.000 gefallene amerikanische Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg liegen hier auf dem Nationalfriedhof in Arlington, leicht oberhalb von Washington, begraben. Vor rund 80 Jahren gaben sie ihr Leben, um Hitler-Deutschland zu besiegen. Der Bundesverteidigungsminister legt einen Kranz nieder am Grabmal eines unbekannten Soldaten. Andächtig steht Pistorius vor dem Denkmal, einem Sarkophag aus Marmor. Ein US-Soldat spielt auf der Trompete die bekannte feierliche Trauermelodie "Taps".

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Diese Zeremonie am 8. Mai ist Boris Pistorius wichtig. Der Verteidigungsminister ist nach Washington gekommen, weil er der amerikanischen Öffentlichkeit zeigen will, dass Deutschland dankbar ist. Die USA, so zeigen es die vielen Termine und Auftritte von ihm in diesen Tagen, sind aus Pistorius' Sicht zum Wohl Deutschland schon mehrfach in historische Vorleistung gegangen. Auch später im Kalten Krieg schützten Amerikaner die Bundesrepublik vor der Sowjetunion, vom Aufbau der Luftbrücke für West-Berlin bis zur Wiedervereinigung.

Jetzt aber ist eine Zeit gekommen, in der Deutschland selbst in die Verantwortung gehen soll. Gegenüber den Amerikanern, aber auch gegenüber jenen Verbündeten und Partnern, die heute im Osten die Bedrohten sind. Dazu gehören Polen, die baltischen Staaten, aber auch die Ukraine. Boris Pistorius will zeigen, dass Deutschland eben nicht mehr nur dankbar ist und von einer jahrzehntelangen Friedensdividende profitieren kann.

Nun kann Pistorius Vollzug melden

Seinem amerikanischen Kollegen, dem Verteidigungsminister Lloyd Austin, machte er das schon während seines Besuchs im vergangenen Jahr deutlich. Einst sei "Deutschland die Ostflanke" der Nato gewesen, sagte Pistorius damals im Juni 2023. Im Kalten Krieg habe für ihn immer außer Frage gestanden, dass die USA und die anderen Alliierten die Sicherheit und Freiheit garantiert hätten. Jetzt habe Deutschland eine besondere historische Verantwortung für die "neue Ostflanke", also die baltischen Staaten und Polen.

In diesem Jahr kann Pistorius bei seiner USA-Reise Vollzug melden. Deutschland macht Ernst und schickt 4.800 Soldatinnen und Soldaten langfristig als Litauen-Brigade ins Baltikum. Und Lloyd Austin bedankt sich dafür ausdrücklich. "Deutschlands Plan für eine ständige Brigade in Litauen ist eine historische Verpflichtung, die die europäische Sicherheit stärken wird", sagt er. "Und wir loben Deutschland dafür, dass es unsere gemeinsame Nato-Verpflichtung erfüllt hat, in diesem Jahr mindestens zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben. Deutschland bleibt einer unserer stärksten und zuverlässigsten Verbündeten", so Austin.

Als die beiden Verteidigungsminister vor dem Pentagon beim Ehrenspalier nebeneinanderstehen, strahlt Pistorius ein gewisses Selbstbewusstsein aus, nicht mehr nur ankündigen, sondern auch liefern zu können. Als die deutsche Nationalhymne erklingt, singt er mit. Bei seinem letzten Besuch im Juni 2023 lauschte er den Klängen noch stumm.

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Führung statt Fehler

Vor Hunderten Zuhörern an der Johns-Hopkins-Universität sagt Pistorius dann in einer Art verteidigungspolitischen Grundsatzrede: "Deshalb arbeiten wir intensiv an der Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der Nato und wir sind bereit, die Führung zu übernehmen." Als Beleg dafür führt er nicht mehr nur das Mindestziel von zwei Prozent an Verteidigungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, an. So nennt er die Aussetzung der Wehrpflicht "einen Fehler". Die Zeiten hätten sich geändert, so Pistorius. "Ich bin überzeugt, dass Deutschland eine Art Wehrpflicht braucht." Es ist das nächste große Projekt, dass er angehen will.

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Der deutsche Verteidigungsminister sagt solche Sätze nicht aus Selbstzweck. Er weiß, dass die Stimmung in den USA für das extrem kostspielige militärische Engagement in Europa nicht stabil ist. Erst nach vielen Monaten der Blockade konnten sich Republikaner und Demokraten zuletzt schließlich auf ein erneutes Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine einigen. Ob es auch noch ein nächstes Mal geben wird, kann niemand sagen. Ein möglicher US-Präsident könnte auch wieder Donald Trump heißen. Was der Republikaner vom amerikanischen Engagement für die Nato und die Ukraine hält, verheißt zumindest das Gegenteil von Verlässlichkeit.

Wachstum als Argument für eine Zeit mit Trump

Und so bemüht sich Boris Pistorius bei seiner Amerika-Reise darum, auch die wirtschaftlichen Vorteile herauszustellen, die die deutsche Zeitenwende für die USA bringe. "Allein mit US-Rüstungsunternehmen haben wir derzeit rund 380 Verträge mit einem Gesamtwert von rund 23 Milliarden US-Dollar", sagt er. Es ist ein Argument, das auch in republikanisch regierten Bundesstaaten funktionieren kann. Denn solche Rüstungsaufträge sichern amerikanische Arbeitsplätze. Es ist ein Argument, von dem sich womöglich auch eine Trump-Regierung überzeugen lassen könnte.

Mit dem Besuch eines Hubschrauberwerks des Rüstungskonzerns Boeing in Philadelphia unterstreicht Pistorius das noch. In dieser Fabrik fertigen amerikanische Arbeiter die 60 von Deutschland bestellten, zweimotorigen "Chinook"-Transporthelikopter, ebenfalls ein Milliarden-Auftrag, finanziert aus dem Sondervermögen, für die deutsche Bundeswehr.

Eine Sorge der Bundesregierung ist es, dass die vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz einst verkündete Zeitenwende in den USA womöglich noch nicht genug im allgemeinen Bewusstsein angekommen ist. Zu sehr hat sich in den vergangenen Jahren eine Erzählung durchgesetzt, die eben längst nicht nur von Donald Trump verbreitet wurde: Ausgerechnet das wirtschaftlich so starke Deutschland lässt sich seine Sicherheit vom amerikanischen Steuerzahler finanzieren.

Klare Botschaften sind Pistorius' Vorteil

Diesem Eindruck will Boris Pistorius mit aller Entschiedenheit entgegenwirken. Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Verkünder der Zeitwende. Er hingegen gilt als ihr Umsetzer und darum als besonders glaubwürdiger Botschafter. Wohl auch darum eröffnet Pistorius dann auf der Freedom Plaza, mitten in Washington, der Öffentlichkeit einen Deal.

Dieser stammt eigentlich noch aus jenen Monaten, in denen unklar war, ob die USA als Unterstützer für die Ukraine wegen der innenpolitischen Blockade womöglich gänzlich ausfallen würden. Die Bundesregierung hatte damals den Plan ersonnen, drei Himars-Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme aus US-Beständen aufzukaufen, um sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Zwar hat der amerikanische Kongress inzwischen sein 60-Milliarden-Dollar-Paket verabschiedet. Deutschland wolle die Systeme jetzt aber trotzdem bezahlen, so Pistorius.

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Die heikle Kanzler-Frage

Pistorius bleibt auch in den USA ein Verteidigungsminister der klaren Worte. So wiederholt er auch, dass die Ukraine gegen Russland siegen solle. "Es liegt in unserer Macht, die Ukraine dabei zu unterstützen, diesen Krieg zu führen und zu gewinnen", sagt er. Es ist ein Satz, den Olaf Scholz so bis heute nicht gesagt hat. Und es ist ein Vorteil, den er sich im Vergleich zum Bundeskanzler nicht nur erlauben kann, sondern auch erlauben muss. Denn die zurückhaltende Kommunikation des Kanzlers mag ihm in Deutschland vielleicht die Stimmen skeptischer Wähler sichern. Der wichtigste Bündnispartner USA erwartet aber mehr von Deutschland.

Zum Abschluss seines Washington-Besuchs stellt ein Student aus dem Publikum an der Johns-Hopkins-Universität dem Verteidigungsminister dann eine schmeichelhafte, aber auch eine heikle Frage: "Was ist Ihre Vision für die Zukunft Deutschlands und vielleicht eines Tages sogar unter Ihrer Führung?"

Im Angesicht der besten Beliebtheitswerte unter deutschen Politikern hat sich Boris Pistorius inzwischen an Fragen zu eigenen Kanzlerambitionen gewöhnt. Obwohl er zuvor in einwandfreiem Englisch gesprochen hat, lenkt Pistorius charmant mit mangelnden Sprachkenntnissen ab. "Die letzte Frage habe ich nicht verstanden", sagt er, lacht und hat mit dieser Antwort das Publikum auf seiner Seite. Seine Art kommt offenbar auch diesseits des Atlantiks an.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
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