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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rückrunden-Interview VfL-Trainer Letsch: "Ich mag diese Ruhrpott-Malocher-Mentalität"
Thomas Letsch hat dem VfL Bochum den Glauben an den Klassenerhalt zurückgegeben. Im Exklusiv-Interview erklärt der Trainer, wie der Traum wahr werden soll.
Bei seiner Verpflichtung Ende September gab es viele überraschte Gesichter: Thomas Letsch ist ein Trainerneuling in der Bundesliga. Doch in kurzer Zeit hat der 54-Jährige den VfL Bochum wieder in Schlagdistanz zu einem Nicht-Abstiegsplatz geführt und der Mannschaft neues Selbstvertrauen eingeimpft.
Im Exklusiv-Interview mit t-online.de spricht der Coach über Startschwierigkeiten und Gründe für den Aufschwung, Spieler mit brutalem Potenzial und seine Vorfreude auf den Liga-Start Ende Januar.
t-online: Thomas Letsch, der VfL Bochum ist Ihre erste Station als Bundesligatrainer. Mal unabhängig von Punkten und Tabellenstand – wie fühlt sich die Bundesliga an?
Die Bundesliga fühlt sich schon gut an. Mein Lebensglück ist zwar nicht davon abhängig, aber natürlich möchtest du so hoch wie möglich trainieren. Wenn man dann zu diesem elitären Kreis gehört, macht einen das stolz. Und es macht sehr viel Spaß. Es ist noch einmal eine ganz andere Nummer, als ich es in Österreich oder Holland erlebt habe. Das betrifft das Interesse an den Spielen, aber auch die Qualität.
Die Bundesliga hat Ihre Erwartungen also erfüllt. Gilt das – wieder unabhängig von Spielen und Ergebnissen – auch für den VfL Bochum?
Absolut! Es ist tatsächlich so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich mag diese Ruhrpott-Malocher-Mentalität, die direkte Art und dazu den familiären Klub. Es ist alles noch überschaubar, aber trotzdem hochprofessionell. Es gibt kurze Wege, jeder ist von Beginn an freundlich und offen gewesen. Du hast wirklich den Eindruck, es ist eine große Familie. Ich denke, dass wir als VfL Bochum ein besonderer Verein sind in der Bundesliga und in Deutschland. Mir hat es den Start in Bochum und in der Bundesliga sehr einfach gemacht.
Sportlich war der Start nicht ganz so einfach. Sie haben den VfL als Tabellenletzten sieglos übernommen – und sind direkt zum Auftakt in Leipzig böse unter die Räder gekommen.
Ganz Fußball-Deutschland hat den VfL damals mit nur einem Punkt wohl als sicheren Absteiger gesehen. Da machst du dir auch selbst Gedanken. Aber ich war überzeugt, dass etwas möglich ist. Man versucht, die Spieler zu erreichen, Dinge im Training zu ändern – und dann bekommst du im ersten Spiel richtig eins auf die Mütze. Und zwar völlig zu Recht, weil wir wirklich schlecht waren. Es war ein katastrophales Spiel. Das hat sich nicht gut angefühlt. Aber ich wusste danach sehr klar, wo wir die Hebel ansetzen müssen. Ich hatte mehr die Sorge, die Mannschaft nicht gleich zu verlieren. Deshalb war es umso wichtiger, das nächste Spiel direkt zu gewinnen
Was waren für Sie die entscheidenden Ansätze, mit denen Sie den VfL letztlich auch in die Erfolgsspur geführt haben?
Viel wurde danach über die Grundordnung gesprochen, weil wir in einer 3-5-2-Formation gespielt haben. Das war aber nicht entscheidend. Vorgabe war damals, nach Möglichkeit hoch zu pressen oder uns sonst engmaschig zurückzuziehen. Das hat dazu geführt, dass wir extrem passiv waren, tief standen, ohne aggressiv zu sein, keinerlei Aktivität im eigenen Spiel hatten und nur hinterhergelaufen sind. Mir war danach klar, dass es bei uns kein Entweder/Oder geben kann, sondern ganz klar in eine Richtung gehen muss. Und die kann nur sein, extrem aktiv zu sein. Wir haben das eigene Spiel ab diesem Zeitpunkt deutlich nach vorne verlagert.
Wie gut setzt die Mannschaft das aus Ihrer Sicht inzwischen um?
Das Wichtigste war tatsächlich der Sieg gegen Frankfurt in unserem zweiten Spiel. Du brauchst am Anfang Erfolgserlebnisse, damit die Mannschaft merkt, dass es funktioniert. Wir haben unsere Leistung nach Leipzig eigentlich nur gegen Wolfsburg nicht auf den Platz gebracht. Auch Elversberg hat uns im Pokal überrascht, da hatten wir Probleme. In den anderen Spielen war es aber gut. Auch in Stuttgart und in Dortmund, wo es leider nicht zu Siegen gereicht hat aufgrund individueller Fehler. Insgesamt bin ich daher sehr zufrieden mit der Mannschaft, aber es bleibt ein schmaler Grat. Es geht um Kleinigkeiten. Und du musst dieses kleine Momentum in die richtige Richtung bringen.
Die Entwicklung spiegelt sich auch in der Tabelle wider. Der VfL ist nicht mehr Letzter, dazu nur einen Punkt hinter einem Nicht-Abstiegsrang. Ihr Ziel, sukzessive bis zum Winter wieder heranzukommen, ist komplett erreicht.
Wir wollten auf Schlagdistanz zum Relegationsplatz bleiben und dann die lange Winterpause nutzen. Jetzt hat es sich sogar deutlich besser entwickelt. Wenn man schaut, wo wir damals im Vergleich zu Schalke, Hertha oder Augsburg standen, dann haben wir absolut den Anschluss geschafft. Jetzt haben wir es im ersten Spiel nach der Pause gegen Hertha BSC selbst in der Hand, die Abstiegsplätze zu verlassen.
Die lange Pause aufgrund der WM ist für alle Vereine Neuland. Was glauben Sie, wie sich diese ungewohnte Situation auf den weiteren Verlauf der Saison auswirken wird?
Es ist interessant, dass jeder Verein diese neue Situation für sich etwas anders löst, was Urlaub und Rhythmus betrifft. Und jeder ist von seinem Weg überzeugt. Es ist spannend, weil es wie vor dem ersten Spieltag einer Saison wieder eine große Unbekannte gibt. Ich bin extrem gespannt auf das, was kommt.
Wie zufrieden sind Sie denn Stand jetzt mit der Vorbereitung Ihrer Mannschaft? In den vier Testspielen im Dezember gelang gegen unterklassige Klubs kein einziger Sieg.
Wir wollten im Dezember vor allem viel im konditionellen Bereich arbeiten und haben bewusst eine hohe Intensität gefahren. Die Mannschaft hat gut mitgezogen, insofern war es eine gute bis sehr gute Vorbereitung. Schauen wir auch auf die Testspiele, war es sowohl vom Ergebnis als auch von der Leistung her nicht gut. Da hätte ich mir deutlich mehr erhofft. Aber mir war wichtig, dass wir in den Testspielen auch jeden Spieler zum Einsatz bringen. Jeder sollte sich zeigen können.
Teil zwei der Vorbereitung verbringt der VfL Bochum unter anderem jetzt im Trainingslager in Jerez de la Frontera. Wo wollen Sie dort die Schwerpunkte setzen?
Wir werden die Umfänge deutlich herunterfahren, um stattdessen kürzer und mit hoher Intensität zu trainieren. Es geht vor allem darum, an den mannschaftstaktischen Feinheiten zu arbeiten. Wie wollen wir gegen den Ball und mit dem Ball spielen bei unterschiedlicher Grundstruktur des Gegners? Umschalten nach Ballverlust, schnelles Umschalten nach vorne – das sind Themen. Und wir müssen dabei die enge Kompaktheit beibehalten, das war auch bisher in der Saison unsere große Stärke. Es geht insofern nicht um den nächsten Schritt. Sondern eher darum, das noch mal zu verstärken, was wir gut gemacht haben. Zudem werden wir intensiv an Standards arbeiten.
Wird die Dreierkette auch noch mal ein Thema?
Wir haben uns in der Grundordnung mit einer Viererabwehrkette gut gefunden und sind damit erfolgreich. 4-3-3 bleibt also in jedem Fall unsere Basis.
Ist mit der Verpflichtung von Schlotterbeck einer Ihrer Weihnachtswünsche in Erfüllung gegangen?
Absolut! Wir haben zwar viele Innenverteidiger, aber jeder hat seine eigene Geschichte. Heintz war viel verletzt, Ordets war zu Beginn nicht fit, Masovic hat zum Ende hin gefehlt. Eigentlich waren nur Lampropoulos und der junge Oermann über den gesamten Zeitraum fit. Keven Schlotterbeck hat in Freiburg und bei Union gezeigt, dass er Bundesliga spielen kann. Er kennt die Liga und spricht die deutsche Sprache, so ist er sehr schnell zu integrieren. Das war mir zum jetzigen Zeitpunkt wichtig.
Und er bringt viel Tempo mit.
Er ist noch einmal ein anderer Spielertyp. Keven ist in der Innenverteidigung neben Dominique Heintz der einzige Linksfuß. Er bringt neben seiner Geschwindigkeit Qualitäten im Spielaufbau und im Vorwärtsattackieren mit. So erfüllt er gleich mehrere Kriterien.
Schlotterbeck könnte zusammen mit Ivan Ordets die Innenverteidigung bilden. Trauen Sie dem Ukrainer die Führungsrolle zu, die er in der Hinrunde nicht immer zeigen konnte?
Er ist im Laufe der Hinrunde ein ganz anderer Spieler geworden. Man muss seine Geschichte sehen: Als Ukrainer in Moskau, lange nicht gespielt, verunsichert, Krieg in der Heimat, die Familie ist nicht bei ihm, er spricht die deutsche Sprache nicht – das ist alles andere als einfach. Aber wenn man ihn jetzt sieht, wie er jeden Tag in die Kabine kommt – er ist ein anderer Mensch. Er ist jetzt in Bochum angekommen. Und er hat ein brutales Potenzial.
Mit Pierre Kunde Malong hat der VfL zudem kurzfristig einen neuen Mann fürs Mittelfeld geholt. Haben Sie dort Bedarf ausgemacht?
Wir haben im Mittelfeld mit Osterhage, Förster, Stöger und Losilla nominell eigentlich nur vier Spieler. Stafylidis kann dort spielen, es ist aber nicht seine angestammte Position. Und Goralski ist für uns ein Blue Chip – wir wissen bei seiner bisherigen Verletzungshistorie nicht genau, was passiert und wie fit er sein wird. Pierre Kunde erweitert unser Spektrum im Mittelfeld. Er kennt die Bundesliga, das ist wichtig.
Die Verpflichtung eines zweikampfstarken Mittelfeldspielers ist aber nicht als Misstrauensvotum für Anthony Losilla zu werten?
Auf keinen Fall! Anthony ist ein Spieler, der aktuell aus dieser Mannschaft nicht wegzudenken ist. Eine Neuverpflichtung wäre also alles andere als ein Misstrauensvotum.
Gibt es junge Spieler aus dem Talentwerk, denen Sie den Sprung in die Bundesliga kurzfristig zutrauen?
Wir nehmen Mats Pannewig mit ins Trainingslager, er bringt körperlich Top-Voraussetzungen mit. Mo Tolba hat schon regelmäßig mit uns trainiert, ist aber derzeit leider verletzt. Das sind derzeit die Spieler aus dem Talentbereich, die am weitesten sind. Aber auch Jean-Philippe Njike Nana und Flo Berisha sind interessant. Wenn einer aus unserem eigenen Nachwuchs den Sprung schafft, wäre es natürlich das Schönste.
Werden Sie angesichts des großen Kaders jedem Spieler klar die Perspektiven aufzeigen und ihm auch mitteilen, wenn es beim VfL für ihn keine Zukunft gibt? Und was wird aus Lys Mousset? Bislang stand der Neuzugang in keiner Minute auf dem Platz.
Ich gehe mit den Spielern immer ehrlich um. Wenn es sich abzeichnet, dass es jemand schwer haben wird, werde ich ihm das mit auf den Weg geben. So wie bei Tarsis Bonga. Lys Mousset hatte das Problem, dass er in einem sehr schlechten körperlichen Zustand zu uns gekommen ist. Und er hat es bislang noch nicht geschafft, sich auf ein Fitnesslevel zu bringen, das einen Einsatz rechtfertigen würde. Das hat sich jetzt allerdings geändert. Aber wir haben gerade in der Offensive auch extreme Konkurrenz. Er muss das Trainingslager jetzt nutzen, um zu zeigen, dass er für uns einen Mehrwert hat. Sonst müssen wir auch mit Lys Mousset reden. Noch ist unser Geduldsfaden nicht endgültig gerissen, aber die Schnur ist kürzer geworden.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch auf das Spiel gegen Hertha BSC am 21. Januar blicken. Sie haben es schon angesprochen: Mit einem Sieg könnte der VfL die Berliner überholen. Ist es für Sie ein Gegner auf Augenhöhe?
Vom Tabellenstand her auf jeden Fall, zumal wir im eigenen Stadion spielen. Wir haben unsere letzten drei Heimspiele gewonnen und daher das Selbstbewusstsein, hier auch gegen Hertha gewinnen zu können. Aber wir wissen trotzdem um die Qualitäten der Berliner. Von den Möglichkeiten dieses Vereins und vom Kader her könnte Hertha ganz woanders sehen. Für uns kann es ein richtungsweisendes Spiel sein. Wir haben uns diese Ausgangssituation erarbeitet und wollen sie jetzt nutzen. Wir haben es selbst in der Hand, endlich mal über den Strich zu kommen. Das hat uns zu Saisonbeginn niemand mehr zugetraut.
Anfang Februar steigt zudem an der Castroper Straße das Pokal-Achtelfinale gegen den Revierrivalen Borussia Dortmund. Fällt diese Partie für Sie in den Bereich Bonusspiel?
Auch wenn es sich platt anhört: Im Pokal geht es darum, das Ding zu gewinnen. Die Rollen sind vor diesem Duell klar verteilt, der BVB ist einer der Pokalfavoriten. Aber ich denke nicht, dass sie glücklich sind, uns gezogen zu haben. Ich freue mich riesig auf das Spiel. Und ich möchte schon gerne noch eine Weile im Pokal dabei sein – am liebsten bis Berlin.
- Gespräch mit Thomas Letsch, Trainer VfL Bochum