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Social-Media-Konsum im Urlaub: Selfies sind die neuen Postkarten


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Urlaub wie früher ist nicht mehr möglich

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 03.08.2022Lesedauer: 5 Min.
Relaxing in the hammock at the beach under a tree, summer day. Barefoot man laying in hammock, looking on a lake, inspiring landscapeVergrößern des Bildes
In der Hängematte am Baggersee: Einfach loslassen können wir nicht mehr. (Quelle: blyjak/getty-images-bilder)

Strandselfie posten und Nachrichten checken: Smartphones sorgen dafür, dass wir auch im Urlaub nie wirklich entspannen. Dahinter steckt eine wohlbekannte Angst.

Diese Zeilen erreichen Sie aus meinem Urlaub. Einem Urlaub, in dessen Verlauf mir eines immer klarer wurde: Urlaub wie früher ist nicht mehr möglich. Weil wir alle uns verankert haben. Weil das Netz uns verändert hat. Das Thema drängte sich mir dermaßen auf, dass ich es nun aufschreibe. Diese Zeilen schicke ich nach Vollendung per Mail an meinen Redakteur. Klar, hier rund ums Hotel ist flächendeckend WLAN vorhanden. Alles andere wäre auch absurd, oder?

Stichwort absurd. Gestern lag ich am Meer. Entspannt, von Wärme und Sonne umgeben und von sehr zufriedenen Menschen. Endlich mal abschalten. Was für ein Vergnügen, was für ein sehnlich herbeigewünschter und mit Blick auf den Kalender im Countdown entgegengezählter Zustand.

Ich nutzte die Zeit, um mich erstmal selbst abzulichten vor dem Meer. Erst richtete ich mein Haar, dann richtete ich das Display meines Smartphones auf mich. Suchte den besten Winkel und dann drückte ich ab. In aller Ruhe. Um mich herum tobte das Touri-Leben, aber ich nahm mir alle Zeit der Welt für das perfekte Bild, um meinem großen Glück Ausdruck in einem fröhlichen Lächeln zu verleihen.

Vor zehn Jahren hätte ich mich noch geschämt für diese Inszenierung und Eitelkeit – aber das machen ja mittlerweile alle, also guckt auch niemand mehr spöttisch. Dieses Foto postete ich dann bei Instagram. Meine Freunde und Follower sollten sehen, dass es hier tippitoppi läuft. Sommerurlaub in Bella Italia – molto fantastico!

Absurd, oder? Warum sollte irgendwer glauben, ich wäre nicht okay? Wohl kaum werden die Leute in Deutschland bangend zusammensitzen, einander die Hand haltend, sich gegenseitig Halt gebend und Kraft spendend, und sich fragen: "Geht es ihr wohl gut? Was, wenn nicht? Wie holen wir sie da sicher wieder raus?"

Wenn wir mal ganz ehrlich sind, wird sich kein Mensch fragen, wie es mir gerade so ergeht. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten, und wenn ich mich mal zwei Wochen gar nicht melde – das wird wahrscheinlich erst dann auffallen, wenn ich es nach diesen zwei Wochen wieder tue. Wenn überhaupt. Ich bin ja nicht die Bundeskanzlerin.

Weil das Gehirn die Ausschüttung von Glückshormonen einfordert

Als dieser Tagesordnungspunkt abgehakt war, legte ich mich entspannt zurück. Verdient, denn ich hatte ja etwas geleistet. Nun widmete ich mich meinem Buch. Mein digital ziemlich verdorbenes Konzentrationsvermögen schafft es inzwischen immerhin wieder, sich zehn Minuten am Stück in ein Buch zu vertiefen. Ich habe hart daran gearbeitet. Dann aber gucke ich wie ferngesteuert aufs Telefon.

Könnte ja sein, dass ich was verpasse. Eine Pushmeldung zur neuesten Wendung im Gasstreit mit Putin zum Beispiel. Eine Debatte auf Twitter, an der ich mich beteiligen möchte. Oder, machen wir uns nichts vor, ein Herz für mein "Guckt mal, wie super entspannt und losgelöst von allen Pflichten ich hier im Urlaub bin!"-Foto auf Instagram. Mein Gehirn hat sich an die daraus folgende Ausschüttung von Glückshormonen gewöhnt und fordert sie ein.

Später dann nutzte ich mein Smartphone für die Suche nach Esszimmerstühlen. Seit elf Jahren besitze ich einen großen, sehr schweren Esszimmertisch, secondhand gekauft auf dem Flohmarkt aus niederländischen Gastro-Beständen. Dazu gehören sechs ebenfalls sehr schwere Stühle. Sie sind klobig, für die Kinder, die ständig bei mir zu Gast sind, nicht ganz ungefährlich, und sie sind unbequem.

Während ich nach etwas leichterem und fröhlicherem Mobiliar forschte (natürlich muss das im Urlaub sein. Elf Jahre lang hatte ich Zeit und fand es anscheinend nicht so dringend, aber jetzt muss es passieren, unbedingt, JETZT schiebe ich diese Aufgabe nicht mehr auf, wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier!), bekam ich ein Telefongespräch auf der Nachbarliege mit. Ein anderer Urlauber versuchte, jemanden aus dem Büro abzuwürgen, der ihn angerufen hatte.

Mit einer klaren Ansage: "Ich bin im Urlaub!" Pause. "Nein, ich kann das Telefon nicht abschalten. Meine Mutter ist 85 und lebt alleine. Ich muss erreichbar sein." Fluch und Segen: Der arme Mann ist erreichbar für den Fall der Fälle – aber leider auch für solche Mitmenschen, die die Grenzen des Urlaubs nicht mehr kennen. Weil wir sie alle ja permanent mitverschulden.

Früher regten wir uns nur dann auf, wenn es angebracht war

Abschalten können wir alle nicht mehr. Vorbei die Zeiten, in denen eine Postkarte reichen musste, im Hotel die Tageszeitung von frühestens gestern zu kaufen war und lediglich im allergrößten Notfall telefoniert wurde. Die Hotels haben ja Telefone. Oma bekam die Nummer aufgeschrieben, bevor wir losfuhren, und rief nur dann an, wenn was Schlimmes passiert war. Wenn Onkel Paul sich ein Bein gebrochen hatte, unser Keller unter Wasser stand oder Prinzessin Diana gestorben war.

Man regte sich nur dann auf, wenn es wirklich angebracht war. Und man musste sich erklären, wenn man sich meldete. Nicht, wenn man es nicht tat. Kurz: Man schaltete ab. Ganz automatisch. Ging auch gar nicht anders, denn Handys und Smartphones waren weltweit noch nicht eingeschaltet.

Nun könnte man sagen: Wenn der 85-jährigen Mutter des Mannes etwas wirklich Akutes passiert, ist er eh nicht vor Ort und kann aus der Ferne nichts machen. Und das stimmt natürlich auch. Aber wir alle wissen: Würde er erst Tage später davon erfahren, hätte niemand Verständnis für ihn. Allen voran er selbst nicht.

Wir dürfen heutzutage nicht mehr unerreichbar sein. Und, machen wir uns nichts vor, wir wollen es auch nicht. Nicht nur aus sehr guten Gründen, sondern auch aus einem Lemming-Gefühl heraus. Die anderen machen es ja auch nicht. "FOMO" nenne die jungen Leute das: Fear of Missing Out. Angst, etwas zu verpassen. Den Anschluss. Kein Anschluss unter dieser Nummer – das geht höchstens noch durch, wenn der Akku leer ist. Der vom Telefon. Im Urlaub, wo wir unseren Akku aufladen wollen.

So. Und nun rufe ich meinen Vater an, denn der hat heute Geburtstag. Per Video werde ich ihm etwas vorsingen und eine Kerze dabei in der Hand halten. Er wird sich sehr freuen, mich wird es nicht in Unkosten stürzen. Wir können entspannt plaudern. Es ist halt nicht alles schlecht. Und wir kriegen den Geist nicht mehr zurück in die Flasche. Wir müssen nur lernen, wie wir die Balance schaffen. Und wir können nur hoffen, dass wir später nicht die Oma oder der Opa sind, der die Familie wegen nichtigerer Anlässe im Urlaub anruft als Lady Dis Tod. Das ist die Benchmark.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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