Nele Neuhaus über Herzprobleme "Ein Albtraum, der jederzeit tödlich enden kann"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nele Neuhaus (56) lebt seit zwölf Jahren mit der Herzklappe eines Schweines. Dass sie schwer herzkrank war, wusste die Krimiautorin schon als Teenager.
Ob "Schneewittchen muss sterben", "Böser Wolf" oder "Mordfreunde": Die Romane von Nele Neuhaus sind packend und erzeugen Herzklopfen. Ihr spannendster Krimi ist jedoch die eigene Lebensgeschichte. Im Interview mit t-online berichtet die Bestseller-Autorin und Botschafterin der Deutschen Herzstiftung über ihre Krankheit und wie diese ihre Sicht aufs Leben verändert hat.
t-online: Sie wurden bereits mit 44 Jahren am Herzen operiert. Wie kam es dazu?
Nele Neuhaus: Die Geschichte fing an, als ich 19 Jahre alt war und mit Kopfschmerzen zum Hausarzt ging. Er hörte mich ab und stellte fest, dass ich eine Aortenklappeninsuffizienz hatte. Das bedeutete, dass ich zwar nicht sofort, aber irgendwann später eine neue Herzklappe brauchen würde. Wann genau, konnte mir keiner sagen.
Für einen Teenager eine schlimme Vorstellung. Wie war Ihre Reaktion?
Ich war geschockt. Die Diagnose kam aus heiterem Himmel. Ich hatte keine Beschwerden und war nur wegen einer Routineuntersuchung beim Arzt gewesen. Mit 19 denkt man ja über viele Dinge nach, aber nicht darüber, dass das Herz kaputt sein könnte und irgendwann eine schwere OP ansteht.
Wie lebt es sich mit solch einem Damoklesschwert?
Eine solche Diagnose nimmt einem jungen Menschen ein Stück weit seine Unbeschwertheit. Andererseits gewöhnt man sich aber im Laufe der Zeit auch an die Situation, zumal ich keinerlei Einschränkungen hatte. Es ging mir körperlich immer gut. Ich musste nur einmal pro Jahr zur kardiologischen Untersuchung, bei der ein Herz-Echo gemacht wurde, um die Funktion meiner Herzklappe zu prüfen.
Zur Person
Nele Neuhaus gehört zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen Deutschlands. Ihre "Taunuskrimis" mit dem Ermittler-Duo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein wurden millionenfach verkauft, in mehr als 30 Sprachen übersetzt und verfilmt. In der Reihe "Taunuskrimi" ist jetzt der 11. Roman im Ullstein-Verlag erschienen. Er trägt den Titel "Monster" und ist auch als Hörbuch erhältlich.
Was wissen Sie über die Ursache Ihres Herzklappenfehlers?
Ich hatte als Jugendliche öfter eine Angina, die ich aber nie ernst genommen habe. Der Arzt, der damals die Aortenklappeninsuffizienz entdeckte, vermutete, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Denn bei einer Angina bildet sich Eiter, der auch ins Herz wandern und es schädigen kann. Doch das ist nur eine Vermutung. Es wurde nie eine Untersuchung gemacht, die diesen Verdacht bestätigte. Es könnte auch sein, dass der Herzklappenfehler angeboren ist.
Wann erfuhren Sie, dass Sie operiert werden müssen?
Das war 2011. In diesem Jahr kam vieles zusammen. Ich hatte sehr viel Stress, hatte meine ersten Erfolge als Schriftstellerin und gleichzeitig ging meine Ehe in die Brüche. Irgendwann merkte ich: Ich kann nicht mehr richtig Luft holen. In der Magnetresonanztomografie (MRT) zeigte sich, dass meine Herzklappe quasi aufgehört hatte zu funktionieren. Die Ärzte empfahlen mir, mich in drei Monaten operieren zu lassen. Doch dann gab es eine dramatische Wende.
Was war passiert?
Bei der Voruntersuchung zu der geplanten Herzklappen-OP entdeckten die Ärzte zufällig ein Aneurysma über meinem Herzen. Es war schon sehr groß und es hätte jeden Moment reißen können. Daher entschied man, schon am darauffolgenden Tag zu operieren.
Wie verkraftet man das psychisch?
Ich hatte nicht viel Zeit, um nachzudenken und lange Angst zu haben. Ein Aneurysma ist ein Albtraum, der jederzeit tödlich enden kann. Daher war es gut, dass ich mich nicht lange damit beschäftigen musste. Es gab ohnehin keine Alternative. Mir persönlich ist in dieser Zeit auch mein starker Glaube zur Hilfe gekommen, der mir das nötige Vertrauen gegeben hat.
Was bedeutet es, am Herzen operiert zu werden?
Eine Herz-OP ist immer eine sehr emotionale Sache. Das Herz als unser Motor ist ein ganz besonderes Organ. Bei einer Herzklappen-OP wird es angehalten und man wird an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Das bewirkt etwas in einem. Ich bin in meinem Leben schon oft operiert worden, aber die Herz-OP war nicht vergleichbar mit anderen Eingriffen.
Was raten Sie Menschen, die eine Herz-OP vor sich haben?
Mein Tipp ist der gleiche, den mir damals auch meine Ärzte gaben: Schauen Sie sich vorher keine Videos mehr zu dem Thema an und hören Sie auf, im Internet zu recherchieren. Auch wenn es schwerfällt, sein Leben in die Hände der Ärzte zu legen, sollte man Vertrauen in sie haben, denn sie sind Spezialisten auf ihrem Gebiet. Alles andere macht einen wahnsinnig.
Wie haben Sie die Operation überstanden?
Alles lief glatt und ich habe die fünfstündige OP gut überstanden. Anfangs hatte ich allerdings starkes Herzrasen, was aber normal ist. Es hatte damit zu tun, dass mir eine Bio-Herzklappe vom Schwein eingesetzt worden war, an die sich der Körper erst gewöhnen musste. Bis das Brustbein wieder zusammengewachsen war, die Narbe wieder verheilt war und ich mich wieder richtig bewegen konnte, dauerte es mehrere Wochen. Ich war lange Zeit nicht in der Lage, im Supermarkt etwas aus einem Regal zu holen und durfte nur auf dem Rücken schlafen, was ich als sehr unangenehm empfand.
Es gibt auch mechanische Herzklappen. Warum haben Sie sich für eine vom Schwein entschieden?
Eine mechanische Herzklappe hält zwar ein Leben lang, man hört jedoch dauerhaft ein Klicken. Außerdem muss man lebenslang den Blutgerinnungshemmer Marcumar einnehmen. Mit einer Bio-Klappe gibt es diese Einschränkungen nicht. Sie hält allerdings im Durchschnitt nur zehn Jahre. Bei mir sind bereits 12 Jahre vergangen. Es kann daher sein, dass ich bald wieder unters Messer muss. Diese Vorstellung belastet mich natürlich.
Haben Sie jemals mit Ihrem Leben gehadert?
Ja. Und das mache ich immer noch. Bei mir kommt hinzu, dass ich bereits als Kind einen schweren Verkehrsunfall hatte und wochenlang im Krankenhaus lag. Und als ich Ende 20 war, wurde festgestellt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Da fragt man sich schon manchmal: "Warum gerade ich?"
Ich finde, ein wenig Selbstmitleid kann man sich ruhig mal gestatten. Trotzdem ist es wichtig, positiv zu bleiben. Man sollte auch unbedingt darauf achten, dass die Lebensqualität erhalten bleibt. Dazu gehört, dass man sich ab und zu mit Dingen belohnt, die eigentlich nicht so gesund sind, wie zum Beispiel Schokolade oder das eine oder andere Gläschen Wein. Das Leben soll weitergehen. Und es soll mit vielen schönen Momenten weitergehen. Sonst wird man unglücklich.
Hat sich das Erlebte auch auf Ihre Arbeit als Autorin ausgewirkt?
Ich habe viel mehr Ernsthaftigkeit gewonnen. Früher habe ich mehr aus Spaß an der Freude geschrieben. Mit der OP, bei der man schon ganz kurz dem Tod ins Auge blickt, hat sich etwas verändert. Das heißt nicht, dass ich jeden Tag so lebe, als könnte er der letzte sein. Aber ich tue viele Dinge bewusster als vorher.
Die Krankheit hat also Ihre Sicht auf die Dinge verändert?
Ja. Als junger Mensch glaubt man ja immer, dass man unsterblich sei. Später merkt man, dass das Leben endlich ist. Wenn man eine chronische Krankheit hat, ist das offensichtlich. Die Zeit, die ich habe, möchte ich daher positiv gestalten und so meinem Leben einen Sinn geben. Dazu gehört für mich auch soziales Engagement. Unter anderem habe ich eine Stiftung zur Förderung der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz von Kindern und Jugendlichen gegründet.
Sie sind auch Botschafterin der Deutschen Herzstiftung. Was ist Ihr Anliegen?
Ich möchte mit meiner Geschichte Menschen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich. Meine Bekanntheit als Schriftstellerin hilft mir, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Mein Beispiel zeigt: Die Chancen, eine Herzklappen-OP zu überleben und danach gesund und ohne größere Einschränkungen weiterzuleben, sind hoch. Seit meiner OP sind nun schon 12 Jahre vergangen. Und die waren wunderbar.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Neuhaus.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Nele Neuhaus