Hoeneß' Kritik an Tuchel Unangenehm sind solche Äußerungen immer
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Julian Nagelsmanns Debüt als Bundestrainer ist geglückt. Beim FC Bayern irritiert Hoeneß mit seiner Kritik an Tuchel. Und im Fall Boateng hält sich der Rekordmeister ein Hintertürchen offen.
Nach der USA-Reise der deutschen Nationalmannschaft kann man schon ein erstes positives Fazit ziehen. Gefallen hat mir, dass es – anders als zuvor befürchtet wurde – keine Spieler-Absagen gab, obwohl es ja am Freitag schon wieder in der Bundesliga weitergeht. Daran kann man schon einen gewissen Zusammenhalt der Mannschaft erkennen. Andernfalls wäre das aber auch wieder einmal ein fatales Zeichen gewesen.
Positiv war auch die Art und Weise, wie die Nationalmannschaft gespielt hat. Das Spiel gegen die USA zu drehen und mit 3:1 zu gewinnen, spricht für die Moral. Beim 2:2 gegen Mexiko hat man hier und da Defizite gesehen. Trotzdem war es ein guter Start unter Nagelsmann. Ich bin aber weit weg davon zu sagen, dass Deutschland jetzt wieder zu den Favoriten bei der Europameisterschaft 2024 gehört. Dafür ist noch ein weiter Weg zu gehen.
Das Potenzial in der Offensive war aber klar zu sehen. Nagelsmann hat ja gesagt, dass er Jamal Musiala und Florian Wirtz gemeinsam spielen lassen und das weiter verfolgen will. Das ist ein richtiges Zeichen. Wie wichtig Niclas Füllkrug als richtiger Neuner für diese Mannschaft ist, war ebenfalls klar erkennbar.
Das ist Nagelsmanns Problemzone
Die einzige sportliche Problemzone ist aber nach wie vor die Abwehr. Ich bin kein Freund davon, einen gelernten Innenverteidiger auf die rechte Seite zu stellen. Man hat auch gesehen, dass sich da keiner so richtig wohlfühlt und sowohl Niklas Süle als auch Jonathan Tah auf dieser Position in der Offensive und Defensive Defizite haben. Sie sind eben in der Zentrale zu Hause.
Deshalb ist für mich auch der Gewinner der USA-Reise jemand, der verletzungsbedingt überhaupt nicht dabei war: Benjamin Henrichs. Der formstarke Außenverteidiger von RB Leipzig hat in den nächsten Länderspielen im November die eine riesengroße Möglichkeit, sich da festzuspielen. Denn man hat gesehen, dass genau das die Problemposition ist.
Kimmich und Gündoğan sind gesetzt
Dass Joshua Kimmich noch mal auf der rechten Seite spielen muss, ist unter Nagelsmann nahezu auszuschließen. Wenn er wieder fit ist und seine Leistung bringt, wird Kimmich bei ihm im zentralen Mittelfeld gesetzt sein.
Daran haben auch die guten Auftritte von Pascal Groß nichts geändert. Er hat Deutschland gezeigt, dass er extreme Fortschritte gemacht hat. Als Profi von Brighton & Hove Albion in der englischen Premier League ist er hierzulande bislang unterm Radar gelaufen. Jetzt hat er bewiesen, dass er immer eine Alternative sein kann. Ihn und Leon Goretzka als solche in der Hinterhand zu haben, ist doch wunderbar.
Neben Kimmich wird aber auch İlkay Gündoğan im zentralen Mittelfeld klar gesetzt sein. Nagelsmann hat ihn nun zu seinem Kapitän für die Heim-EM erklärt. Das macht auch Sinn. Denn das war er schon bei Manchester City und hat dort die Champions League gewonnen. Er weiß also, wie man eine Mannschaft führt.
Nagelsmann kann nicht auf Neuer warten
Dass Nagelsmann sich mit dieser Entscheidung festgelegt hat, ist richtig. Du kannst nicht auf irgendetwas oder irgendjemanden warten in der Nationalmannschaft – auch nicht auf Manuel Neuer. Für ihn ist es jetzt extrem wichtig, zunächst im Verein zurückzukommen. Der nächste Schritt wäre dann eventuell die Nationalelf. Aber erst mal muss er bei Bayern wieder performen, konstant seine Leistung bringen und wieder an seine alte Stärke anknüpfen.
Ich wünsche es ihm, dass ihm das schnell gelingt. Das wird aber ein Prozess sein, denn er hat eine schwere Verletzung und eine extrem lange Ausfallzeit hinter sich. Das Wichtigste für Neuer ist jetzt aber der FC Bayern. Wenn da alles gut läuft, können wir in einem halben Jahr dann vielleicht über die Nationalmannschaft reden. Die Länderspiele im November werden aber noch zu früh für ihn kommen. Sein Vertrag läuft ja auch nach dieser Saison aus. Darauf muss er sich jetzt konzentrieren und fokussieren.
Hoeneß widerspricht dem Familiengedanken
Die kritischen Äußerungen von Uli Hoeneß in Richtung Thomas Tuchel haben mich zuletzt ein wenig verwundert. Ob Tuchel deshalb nun gewarnt sein muss, hängt als Trainer des FC Bayern immer davon ab, ob er Erfolge und Siege erzielt. Und ob im Umgang mit der Mannschaft alles passt und harmoniert. Wenn das gegeben ist, dann muss er sich keine Gedanken oder Sorgen machen.
Unangenehm sind solche Äußerungen aber immer. Es betrifft ja Tuchel direkt, der jetzt möglicherweise wieder darauf antworten muss. Normalerweise sagt man beim FC Bayern ja immer: "Wir sind eine Familie." Das hat man bei diesen Äußerungen von Hoeneß nicht wirklich gesehen. Er hat ja auch Oliver Kahn noch mal attackiert und kritisiert. Das ist eigentlich nicht das, was auch mir beim FC Bayern immer gepredigt wurde: Dass man eine große Familie ist, die zusammenhält. Das macht man mit solchen Aussagen nämlich nicht.
9. Spieltag
Das Thema muss aus Bayern-Sicht jetzt aber auch mal erledigt sein. Ansonsten spielt man sich da die Bälle immer weiter hin und her. Damit muss Schluss sein. Denn das Allerwichtigste, um erfolgreichen und guten Fußball zu spielen, ist es, Ruhe im Klub, der Mannschaft und dem Umfeld zu haben. Deshalb würde Tuchel am besten einfach mit Siegen antworten.
Boateng? Bayern hält sich ein Hintertürchen offen
Im Kern des Zwists zwischen Hoeneß und Tuchel geht es ja um die Frage, ob der Bayern-Kader zu dünn besetzt ist oder nicht. Wenn man auf die Innenverteidigerposition blickt, könnte die defensive Zentrale schon zum Problem werden – vor allem, wenn es im April dann in die entscheidende Phase der Saison geht. Deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass Bayern da überlegt, im Winter noch mal etwas zu machen. Auch wenn das nicht der Zeitpunkt ist, an dem der Rekordmeister seinen Kader normalerweise plant.
Es gab ja schon die Überlegung mit Jérôme Boateng, da hat man sich aber dagegen entschieden. Jetzt trainiert er trotzdem wieder mit. Jérôme erhöht zweifellos die Qualität im Training und profitiert selbst extrem davon, sich auf höchstem Niveau weiter fit zu halten. Und Bayern hält sich damit doch noch zumindest ein Hintertürchen offen.
Ein Thema, das auch die Bundesligaklubs beschäftigt, ist der Nahostkonflikt. Einige Spieler haben sich bereits dazu geäußert und die Vereine wissen um die besondere Brisanz dabei. Die Spieler haben sich persönlich und auch den Vereinen keinen Gefallen getan. Es ist Aufgabe und die Pflicht der Verantwortlichen, dazu klar Stellung zu beziehen und eventuelle Konsequenzen zu ziehen.
Mainz hat Anwar El Ghazi bereits freigestellt, die Reaktion des FC Bayern im Fall Noussair Mazraoui steht noch aus. Darüber will ich aber nicht urteilen müssen. Ich bin Experte im Fußball und nicht in der Politik.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
- Eigene Beobachtungen