Nach Irans Angriff auf Israel Es droht ein geopolitisches Erdbeben
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Irans direkter Angriff auf Israel könnte nicht nur die ganze Region in einen Krieg stürzen, sondern auch zu globalen Verwerfungen führen. Joe Biden steht vor der schwierigsten Entscheidung seiner Präsidentschaft.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Die wohl einzige gute Nachricht an diesem Samstag war: Israel, die USA, Großbritannien und die anderen Verbündeten schienen gut informiert gewesen zu sein. Schon Tage zuvor wurden die Warnungen der Amerikaner vor einem Schlag Irans gegen Israel konkreter. Und Stunden bevor in Washington die ersten Meldungen zu den iranischen Drohnen- und Raketenangriffen eintrafen, kündigte das Weiße Haus an, der US-Präsident werde seinen Wochenendurlaub in Rehoboth Beach im nahegelegenen Bundesstaat Delaware vorzeitig abbrechen.
Noch während die iranischen Drohnen in der Luft waren, landete Joe Biden mit seinem Helikopter "Marine One" an seinem Amtssitz in Washington. Im sogenannten "Situation Room" traf er sofort mit seinen wichtigsten Sicherheitsberatern zusammen. Anwesend waren sein Verteidigungsminister Lloyd Austin, Außenminister Antony Blinken, aber auch CIA-Chef Bill Burns und sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die Vizepräsidentin Kamala Harris schaltete sich per Videoanruf dazu. Zwei Stunden dauerte die Sitzung.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Noch in der Nacht sickerte von Bidens Sicherheitsteam nach dessen Telefonat mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu durch: "Der US-Präsident wird weiterhin mit Partnern in der Region zusammenarbeiten, um eine weitere Eskalation zu verhindern." Das klingt zwar reichlich dünn, aber es ist das erste wichtige Ziel der amerikanischen Regierung: einen Flächenbrand im politisch hochexplosiven und instabilen Nahen Osten zu verhindern.
Denn was das iranische Regime in dieser Nacht getan hat, könnte eine Kettenreaktion auslösen, die globale Folgen haben würde. Wie eine Antwort der USA aussehen könnte, darüber müssen sich Joe Biden und seine Sicherheitsberater jetzt den Kopf zerbrechen.
Die Regierung in Teheran bemühte sich, ihren massiven Angriff gegen Israel als "eine Reaktion auf die Aggression des zionistischen Regimes" gegen die eigenen "diplomatischen Räumlichkeiten in Damaskus" zu etikettieren. "Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden", ließ die iranische UN-Vertretung die Öffentlichkeit wissen.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Der politische Druck auf Biden wird immer größer
Der politische Druck auf Biden, sowohl in Israel als auch in den USA, ist extrem hoch. Die Republikaner und ihr Anführer Donald Trump verbreiteten, noch während der iranische Angriff und die massiven Abwehrbemühungen der Israelis, Briten und Amerikaner liefen, eine einfache Lesart der Situation im Nahen Osten. "Das wäre niemals passiert, wenn ich Präsident gewesen wäre", veröffentlichte Trump in einer Stellungnahme.
Es ist ein Argument, das niemand überprüfen kann, das bei Trumps Anhängern aber Anklang findet. Der Ex-Präsident nutzte es schon bei Putins Angriff gegen die Ukraine und bei der Terror-Attacke der Hamas gegen israelische Zivilisten. Aber auch Republikaner, die längst mit Trump gebrochen haben, wie sein ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton, sehen die Biden-Regierung als verantwortlich für den iranischen Angriff an.
Eine Perversion dieser Lesart war noch am Samstagabend bei einem Wahlkampfauftritt von Donald Trump in Pennsylvania zu beobachten. Dort riefen seine Anhänger lauthals "Genozid-Joe, Genozid-Joe". Die Parole ist eigentlich ein Schlachtruf der linken Biden-Kritiker, die seit Monaten gegen dessen Israel-Politik und die vielen toten Zivilisten im Gazastreifen demonstrieren. Trumps Anhänger instrumentalisieren diesen "Völkermord-Ruf" nun als Vorwurf gegen Biden, der angeblich Israel in Gefahr bringe. Trump schien jedenfalls dankbar für die Reaktion seiner Anhänger. "Sie liegen nicht falsch, sie liegen nicht falsch", lobte er vom Podium aus.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Immer mehr schwerwiegende Kriege und Konflikte sind in der Tat während Joe Bidens Präsidentschaft entstanden. Ob verantwortlich oder nicht – die Warnungen der US-Regierung, ob an Putin, die Hamas oder an den Iran, sind wirkungslos geblieben. Mitten im Wahlkampf müssen Joe Biden und sein Regierungsteam nicht nur die ganz realen Kriege und ihre Eskalation fürchten, sondern auch ein öffentliches Bild, das ihr Handeln als schwach aussehen lässt.
Die Angst vor einem geopolitischen Erdbeben
Noch in der Washingtoner Nacht trat Bidens Sicherheitskabinett ein zweites Mal im "Situation Room" zusammen. Obwohl es zwischenzeitlich hieß, der US-Präsident werde sich aus seinem Oval Office mit einer Rede an die Nation wenden, geschah bis Mitternacht nichts mehr. Es ist zumindest ein Indiz dafür, wie unklar der amerikanischen Regierung derzeit noch ist, wie sie rhetorisch und mit welchen Konsequenzen reagieren soll.
Zu viel steht innen- und außenpolitisch auf dem Spiel, als dass jetzt Fehler passieren dürfen. Die massiven Proteste in den USA gegen die humanitäre Lage im Gazastreifen könnten dann nur ein Vorbote gewesen sein. (Mehr dazu lesen Sie hier). Sollten Irans Verbündete, die Nuklearmächte Nordkorea, Russland und womöglich auch China, im Nahen Osten wegen einer US-Reaktion auf den Plan treten, wären die Folgen unabsehbar und womöglich kaum noch kontrollierbar. Es droht ein geopolitisches Erdbeben.
Die israelische Regierung kann auf die unumstößliche Unterstützung aus Washington bauen. "Vielen Dank Potus für dein eisernes Engagement. Das Volk Israel hat keinen größeren Freund als die Vereinigten Staaten", schrieb sie auf der Plattform X. Das erste Statement des Weißen Hauses lautete dementsprechend: "Unsere Unterstützung für die Sicherheit Israels ist unerschütterlich. Die Vereinigten Staaten werden dem israelischen Volk zur Seite stehen und es bei der Verteidigung gegen diese Bedrohungen aus dem Iran unterstützen."
Laut dem US-Fernsehsender NBC soll Joe Biden in dem Telefonat mit Israels Benjamin Netanjahu seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht haben, dass der israelische Premierminister versuchen würde, die USA immer tiefer in einen größeren Konflikt hineinzuziehen. Der US-Präsident kann damit nur den israelischen Luftangriff gegen das iranische Konsulat vor rund einer Woche im syrischen Damaskus meinen.
Wie die USA reagieren werden, ist zur Stunde unklar. Joe Biden steht mit dem unerwartet umfassenden Angriff gegen Israel vor der wohl schwersten Entscheidung seiner Präsidentschaft. Jeder Schritt könnte der falsche sein. Eine Reaktion könnte darum noch ein wenig auf sich warten lassen. Dass es aber eine geben wird, das steht in Washington außer Frage. In der Nacht gab Joe Biden ein Statement heraus, indem er mitteilte, dass er sich am Sonntag mit den übrigen Partnern der G7 zusammenschalten wird, um die weiteren Schritte abzustimmen.
- Eigene Recherchen
- Briefings des Weißen Hauses (Englisch)
- Truth-Profil von Donald Trump (Englisch)
- Livestream zur Trump-Wahlkampfrallye in Pennsylvania