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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reform der Bundeswehr "Das Heer ist der große Verlierer"
Verteidigungsminister Pistorius hat seine lang erwartete Strukturreform der Streitkräfte vorgestellt. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel kann ihr nur wenig Positives abgewinnen – und nennt sie eine "vertane Chance".
Mit Spannung wurde sie erwartet, nun hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sie vorgestellt: die Strukturreform der Bundeswehr, die die Truppe effizienter, schneller und kriegstüchtiger machen soll. Im Kern besteht sie aus drei Säulen: der Bildung eines operativen Führungskommandos, der Aufwertung des Cyber- und Informationsraumes (CIR) zur vierten Teilstreitkraft (neben Heer, Luftwaffe und Marine) und der Schaffung eines Unterstützungskommandos, in dem unter anderem die bisherige Streitkräftebasis aufgeht.
Hält Verteidigungsminister Pistorius, was er verspricht? Im Gespräch mit t-online analysiert der Militärhistoriker Sönke Neitzel die Reform. Sein Fazit: Ein Schritt nach vorne, doch habe Pistorius der Mut gefehlt, an die "institutionelle Schmerzgrenze" zu gehen.
t-online: Herr Neitzel, die von Verteidigungsminister Pistorius heute vorgestellte Bundeswehrreform soll die Truppe kriegstüchtiger machen. Hält sie das Versprechen?
Sönke Neitzel: Mit so einer Strukturreform lässt sich die Bundeswehr nicht kriegstüchtig machen. Dazu braucht man bessere Ausstattung, mehr Personal, mehr Geld. Aber die Reform ist ein Schritt nach vorne. Mehr aber auch nicht. Dass Pistorius und Breuer dafür ein Jahr gebraucht haben, erschließt sich mir allerdings nicht. Nichts davon war neu oder überraschend.
Was finden Sie gut an der Reform?
Die Bildung eines operativen Führungskommandos, in dem das bisherige Territoriale Führungskommando und das Einsatzführungskommando verschmelzen sollen. Hier könnte tatsächlich etwas Neues entstehen. Aber es kommt darauf an, wie das konkret umgesetzt wird und ob Pistorius das durch seinen Apparat bekommt.
Wer sollte den Minister aufhalten?
Die Beharrungskräfte sind enorm. Was mich schon skeptisch macht: dass der Minister nicht sagt, wie viele Generalsstellen er streichen will. Aus meiner Sicht dürfte es in dem neuen Kommando nur noch einen Generalleutnant und vielleicht zwei Generalmajore geben. Damit hätte man weniger B9-Stellen. Im schlechtesten Fall bleibt es de facto, wie es ist: zwei Standorte, zwei Führungskommandos, zwei Generalleutnante und man setzt noch einen weiteren obendrauf.
Sönke Neitzel (55) ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Sein Schwerpunkt liegt auf der internationalen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie auf der Geschichte der Bundeswehr. In seinem letzten Buch beschäftigt sich Neitzel mit der Militärgeschichte der deutschen Streitkräfte. Titel: "Deutsche Krieger: Vom Kaiserreich zur Berliner Republik", Berlin 2022.
Die nächste Säule der Reform betrifft die drei Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe. Nun kommt eine vierte hinzu, der Cyber- und Informationsraum (CIR). Ein sinnvoller Schritt?
Warum der CIR mit 14.000 Mann unbedingt zu einer eigenen Teilstreitkraft aufgewertet wird und nicht etwa in der Luftwaffe aufgeht, ist meines Erachtens nicht zwingend. Mein größter Kritikpunkt ist aber ein anderer.
Welcher?
Das Heer, die wichtigste Teilstreitkraft, kommt kaum vor. Die ursprüngliche Planung der Projektgruppe sah vor, die Feldjäger, ABC-Kräfte und die CIMIC (zivil-militärische Zusammenarbeit) dem Heer zuzuschieben. Nur Sanität und Logistik sollten im neu geschaffenen Unterstützungskommando bleiben. Also eine echte Veränderung zur bisherigen Streitkräftebasis. Doch das hat intern massive Kritik hervorgerufen – und der Generalinspekteur ist eingeknickt. Das Heer ist der große Verlierer der Reform.
Pistorius argumentierte bei der Pressekonferenz, dass das Heer einerseits schon mit zu vielen Aufgaben belastet sei.
Das ist Unsinn.
Andererseits seien die Fähigkeiten so begrenzt, dass sie besser beim neuen Unterstützungskommando aufgehoben seien.
Das ist ein altes Argument. Aber zugleich ist es so, dass Feldjäger und ABC-Kräfte vor allem vom Heer benötigt werden und eigentlich auch dorthin gehören. So hatte es ja auch die interne Projektgruppe im Ministerium vorgeschlagen, so war es auch im Kalten Krieg. Aber die internen Kämpfe in der Bundeswehr haben dazu geführt, dass der eigentliche Vorschlag nicht umgesetzt wurde. Man kann sagen: Der Heeresinspekteur Alfons Mais hat verloren, der Inspekteur der Streitkräftebasis, Martin Schelleis, hat gewonnen, weil er die Sanität dazubekommt. Er ist zwar nicht mehr im Rang einer Teilstreitkraft, aber ich würde eine Wette abgeben, dass der B9-Posten dort bleibt.
Wie schwer wirkt sich diese Richtungsentscheidung aus?
Pistorius hat das Signal der Reform abgeschwächt. Das ist sicher ein Fehler. Denn darum geht es ja zentral: der Truppe und der Bevölkerung zu signalisieren, dass sich wirklich etwas verändert, dass sich ein Reformgedanke durchsetzt. Ich hätte mir mehr Mut von Pistorius gewünscht. Ich will das aber auch nicht unnötig schlechtreden. Es ist sicherlich besser als gar nichts. Aber der große Wurf ist das nicht. Viel wichtiger als die Frage, wohin die ABC-Kräfte gehen, ist ohnehin eine andere.
Welche?
Ob es dem Minister gelingt, eine politische Entscheidung zu erwirken, die Wehr- oder Dienstpflicht einzuführen. Man sollte daher die Strukturfrage auch nicht überbewerten. Dadurch wird kein einziger Panzer oder kein einziger Schuss Munition mehr geschaffen.
Pistorius sagte, die Reform denkt eine mögliche Wehr- und Dienstpflicht mit, kann aber auch ohne sie funktionieren.
Das ist sicher so. Es bleibt aber immens wichtig, dass die Bundeswehr bald eine Form des personellen Aufwuchses bekommt. Sonst wird es mit der Kriegstüchtigkeit nichts.
Sie haben mal gesagt, Pistorius vermeidet es, messbar zu werden. Ist das Ihrer Auffassung nach auch hier der Fall?
Ja. Er hat jetzt auch wieder gesagt, er wolle nicht die Generalstellen reduzieren. Dann frage ich mich: Warum eigentlich nicht? Die Bundeswehr hat viel zu viele Stellen im älteren Stabsoffiziersbereich. Pistorius hätte eine Reduzierung der Altersgrenze für Generale von 65 auf 62 oder besser 60 Jahre erwirken müssen, um die Überalterung abzubauen.
Wie bewerten Sie die Reform insgesamt?
Besser als Kramp-Karrenbauer, besser als Lambrecht. Aber an die institutionelle Schmerzgrenze geht auch Pistorius nicht. Eine echte Strukturreform hätte das Heer kriegstüchtiger und kaltstartfähig gemacht. Mit dieser Reform sind wir diesem Ziel leider kein Stück nähergekommen. Sie ist letztlich eine vertane Chance, die Bundeswehr ist unter ihren Ansprüchen geblieben.
Herr Neitzel, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Sönke Neitzel