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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Putin besucht Xi Jinping "Damit würde eine wichtige Schwelle übertreten"
Es ist ein Treffen der Giganten: Wladimir Putins erste Auslandsreise nach der Wahl führt ihn nach China. Dort betont er mit Xi Jinping die "tiefe Freundschaft". Doch was steckt wirklich dahinter?
Die Sonne steigt gerade erst über der chinesischen Hauptstadt auf, als das Flugzeug des russischen Präsidenten am Donnerstagmorgen auf dem Flughafen von Peking landet. Nach einer kurzen Begrüßung durch die Staatsrätin Shen Yiqin, der mächtigsten und einzigen Frau in Chinas Regierung, geht es für Wladimir Putin sogleich weiter. Er steigt in eine Limousine ein und braust in einer Kolonne mit Polizeischutz in Richtung Stadtzentrum davon.
Der Kremlchef hat keine Zeit zu verlieren, denn vor dem Osttor der Großen Halle des Volkes am Pekinger Tian'anmen-Platz wartet bereits Chinas Staatschef Xi Jinping. Dieser begrüßt Putin, der von Kindern umjubelt wird, und gratuliert seinem "alten Freund" zur Wiederwahl. Dann schreiten die beiden Staatschefs eine Ehrenformation des chinesischen Militärs ab. Solch ein Empfang wurde Putin schon lange nicht mehr zuteil. Im Anschluss geht es direkt in Konsultationen mit Xi. Es soll bereits das 40. Treffen der beiden Staatenlenker sein. Für Putin gibt es viel zu besprechen.
Der zweitägige Besuch des Kremlchefs in China ist die erste Auslandsreise seit Beginn seiner fünften Amtszeit in der vergangenen Woche. Der russische Präsident sendet damit ein klares Signal: China ist und bleibt Russlands wichtigster Partner – und Putin möchte diese Beziehungen weiter vertiefen sowie möglichst zu Moskaus Vorteil nutzen. "Die Russland-China-Beziehungen haben das höchste Niveau erreicht, und trotz der schwierigen weltweiten Lage werden sie stärker", sagte der russische Präsident vorab Chinas Staatsagentur Xinhua.
Putin hat die "Crème de la crème" der russischen Politik und Wirtschaft im Schlepptau
Auch der China-Experte Klaus Mühlhahn sagt im Gespräch mit t-online, dass Putins Besuch in Peking zeige, wie wichtig China für ihn ist – "vor allem angesichts der komplexen internationalen Lage", sagt der Sinologe. "Dass Putin mit einer großen Delegation angereist ist, unterstreicht das nochmals."
Zur Person
Klaus Mühlhahn (*1963) ist ein deutscher Sinologe, Gesellschafts- und Kulturwissenschaftler. Seit 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität (ZU) in Friedrichshafen. Mühlhahn lehrte an Universitäten in den USA, Finnland und Deutschland. 2021 erschien sein Buch "Geschichte des modernen Chinas. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart" in deutscher Sprache.
Der Kremlchef hat bei seinem Besuch das "Who is who" der russischen Politik und Wirtschaft im Schlepptau. Neben dem kürzlich abgesetzten Verteidigungsminister und neuen Sekretär des Sicherheitsrates, Sergei Schoigu, ist auch dessen Nachfolger im Verteidigungsministerium, Andrej Beloussow, angereist. Dem Wirtschaftsexperten werden beste Kontakte in China nachgesagt. Mehr zu seiner Person lesen Sie hier. Mit von der Partie sind auch Außenminister Sergej Lawrow, Kremlsprecher Dmitri Peskow sowie eine Riege von Oligarchen und Wirtschaftslenkern, etwa der Rosneft-Geschäftsführer Igor Setschin und die Chefs der Sberbank und VTB Bank, Herman Gref und Andrej Kostin.
Tatsächlich ist die globale Lage komplex. Russland führt seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, dessen Verlauf sich Putin zumindest zu Beginn wohl anders vorgestellt hat. Nun fechten die ukrainischen und russischen Truppen einen Abnutzungskrieg aus, der täglich Hunderte Soldaten und Zivilisten das Leben kostet. Russland ächzt zudem unter Wirtschaftssanktionen des Westens, die Putin zwar noch nicht zwingen konnten, den Feldzug zu beenden, ihm die Kriegsführung jedoch erschweren.
Hier kommt China ins Spiel. Der Riese im Fernen Osten steht trotz des Kriegs wacker an der Seite Russlands. Peking versorgt die Armee des Kremls zwar nicht direkt mit Waffen, jedoch mit sogenannten Dual-Use-Gütern, also Gütern, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können.
Auch auf anderen Ebenen hilft China Moskau, das Defizit durch den eingebrochenen Handel mit dem Westen auszugleichen: Im vergangenen Jahr stieg das Handelsvolumen zwischen Russland und China um 26 Prozent auf 240 Milliarden Dollar (umgerechnet mehr als 220 Milliarden Euro). Die Tendenz hielt auch im ersten Quartal 2024 an. Knapp 77 Milliarden Dollar bedeuten ein Plus von 4,7 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Wobei Russland vor allem Öl, Gas und Kohle, Kupfererz, Holz und Meeresfrüchte verkauft, während es aus China die Waren bezieht, die es zuvor großteils im Westen erworben hatte, also Maschinen, Autos, Smartphones und Computer.
Doch die Importe aus China gehen seit Beginn des Jahres zurück. Das liegt vor allem am Sanktionsdruck aus dem Westen. Zudem haben chinesische Banken jüngst die Forderungen an russische Klienten verschärft, um sich gegen Folgesanktionen der USA abzusichern. Die Einschränkungen im Zahlungsverkehr sind für Moskau extrem lästig. Einige der größten Banken haben seit Beginn des Jahres ihre Geschäfte mit Russland sogar ganz eingestellt.
Wie viel ist dran an der "tiefen Freundschaft"?
Vermutlich soll Putins große Delegation dabei helfen, die Chinesen weichzuklopfen. Denn die Beziehungen zu China sind keineswegs ohne Komplikationen. Putin ist auf Waffenlieferungen aus dem Ausland angewiesen, um den Krieg in der Ukraine mit der derzeitigen Intensität fortsetzen zu können. Noch liefert China keine Waffen, doch Russland will das wohl ändern. Gleichzeitig ist das Land vom Handel mit China abhängig.
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"Wie eng die Partnerschaft der beiden Länder tatsächlich ist, lässt sich schwer beurteilen", erklärt Experte Mühlhahn. "Sicherlich sind die Aussagen Pekings über eine 'tiefe Freundschaft' mit Russland eher als Etikette, als chinesische Höflichkeit einzuordnen. Man sollte das nicht überbewerten."
Die Unterstützung Chinas für Russland sei dennoch real. "Eigentlich ist das paradox, denn die Partnerschaft ist kaum ein Bündnis gleichgesinnter Staaten", sagt Mühlhahn. "Das Verhältnis der beiden Staaten beruht vor allem auf einer Partnerschaft zwischen Xi und Putin, nicht jedoch auf einer engen Beziehung beider Staaten als Ganzes."
Denn vor allem ideologisch und politisch teilten China und Russland bis auf die Ablehnung des Westens wenig. "Russland ist ein postkommunistischer Staat, während China sich klar dem Kommunismus verschrieben hat", so Mühlhahn. Beide Staatschefs seien zwar Alleinherrscher, doch dürfe man den Einfluss des Politbüros, das Xi hinter sich hat, auch nicht unterschätzen. "Daher handelt es sich eher um eine Zweckgemeinschaft. Dass Putin und Xi das geschafft haben, ist schon bemerkenswert."
"Viele Länder fürchten ein aggressiv auftretendes China"
Mühlhahn geht davon aus, dass sich die Partnerschaft in Zukunft durchaus vertiefen werden. Das habe auch mit den horrenden Strafzöllen zu tun, mit denen die USA einige chinesische Exporte – besonders Elektroautos und Produkte der Solarindustrie – belegen wollen. "Das wird China weiter in die Arme Russlands treiben", sagt Mühlhahn.
Dennoch: Eine direkte militärische Unterstützung Russlands von chinesischer Seite hält der Sinologe für unwahrscheinlich. "China würde damit eine wichtige Schwelle übertreten." Denn auch hier hindert wieder die komplexe internationale Lage China an einem größeren Engagement. "Vor allem die Beziehungen zum globalen Süden, der für China wirtschaftlich immer bedeutender wird, könnten darunter leiden", erklärt Mühlhahn. China betone stets die territoriale Integrität von Staaten. "Eine militärische Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg würde das unterlaufen", führt der Experte aus. "Viele Länder fürchten ein aggressiv auftretendes China und würden sich dann abwenden."
- Militärexperte Gustav Gressel im Interview: "Putin will Waffen aus China"
Anders könnte das bei der indirekten Unterstützung des russischen Militärs aussehen. Dass China diese ausbaue, liege im Bereich des Möglichen, meint Mühlhahn. Dazu könnte eine Anhebung des Exportes von Dual-Use-Gütern gehören, oder aber die Unterstützung von Russlands Militär mit Satellitenbildern. "Denn China will nicht, dass Putin in der Ukraine eine Niederlage erleidet", sagt der China-Experte. "Ein Rückzug Russlands aus den besetzten Gebieten käme dem aus Sicht Pekings schon gleich."
- In der Sonderfolge des t-online-Podcasts "Tagesanbruch-Amerika-Update" spricht auch Expertin Constanze Stelzenmüller über die Beziehungen zwischen Russland und China. Die gesamte Folge können Sie hier nachhören:
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Putin und Xi wollen politische Lösung des Kriegs in der Ukraine
Xi wolle, dass Putin möglichst gesichtswahrend aus dem Ukraine-Krieg herauskommt, so Mühlhahn. Innenpolitisch würde der Kremlchef eine Niederlage in der Ukraine jedoch nicht überstehen. "Daher unterstützt Xi eine 'politische Lösung' für den Krieg." China setze dabei wohl vor allem auf eine internationale Lösung. "Wie diese aussehen könnte, lässt man in Peking aber noch offen."
"Beide Seiten sehen eine politische Einigung als den richtigen Weg, um die Ukraine-Krise zu lösen", sagte Xi am Donnerstag in Peking. China hoffe, dass Frieden und Stabilität in Europa bald wiederhergestellt seien. Peking sei bereit, eine konstruktive Rolle zu spielen, so Xi.
Putin unterstützt Xi dabei. Demonstrativ hat er vor dem Treffen die chinesische "Friedensinitiative" gelobt, in der von "legitimen Sicherheitsinteressen" aller Staaten die Rede ist. China hatte vor mehr als einem Jahr einen Zwölf-Punkte-Plan zur Beilegung der "Ukraine-Krise" veröffentlicht. Darin forderte Peking, die Bedenken aller Länder ernst zu nehmen. Detaillierte Lösungsvorschläge gab es jedoch nicht, weshalb der Plan international auf Kritik stieß.
- Telefoninterview mit Klaus Mühlhahn
- ft.com: "Why growing China-Russia military ties worry the west" (englisch, kostenpflichtig)
- fr.de: "Schwerer Schlag für Moskau: Chinesische Banken wenden sich zunehmend von Putin ab"
- tagesschau.de: "Zwei Autokraten in der Zweckgemeinschaft"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa