Umkämpfte Brokerlandschaft Warum ich bei einer Kreditkarte an Helmut Kohl denke
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die deutsche Brokerlandschaft ist hart umkämpft. Platzhirsche wie ING oder Consorsbank müssen sich neuer, agiler Konkurrenz stellen. Mittlerweile wirkt das jedoch teils absurd.
Vor einigen Wochen sah ich sonntagabends mehr zufällig als gewollt einen Tatort aus Köln. Es ging dort um den Vertrieb von Finanzprodukten und die Kundenakquise unter Familie und Freunden. Dieser "Strukturvertrieb", wie ihn Firmen wie Deutsche Vermögensberatung anbieten, ist sicher vielen ein Begriff.
Mitarbeiter der Branche berichten immer wieder, wie aggressiv die Akquise teils ablaufe: Um auf der internen Karriereleiter nach oben zu kommen, müsse man Freunde und Familie beackern und immer wieder neue Kontakte suchen, denen man Finanzprodukte verkaufen könne. Es ging um Margen, um Provision. Die Deutsche Vermögensberatung entspann sich im Übrigen aus dem engen Freundeskreis von Altkanzler Helmut Kohl, er saß dort einst sogar im Beirat.
An Kohl denke ich derzeit fast täglich, wenn ich auf die Wartenummer bei der neuen Bezahlkarte des Neo-Brokers Trade Republic blicke. Warum?
Zur Person
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen Daniel auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
Broker im Konkurrenzkampf
Mit dem Jahr 2020 brach in der deutschen Brokerszene Goldgräberstimmung aus. Während der Corona-Pandemie fanden viele junge Menschen den Weg zu Aktien und zum Trading, was primär erst mal eine gute Nachricht ist. Doch Ende 2022 endete der Boom und die Konkurrenz um bestehende und neue Kunden wurde größer. ING, Consorsbank oder Comdirect gehören ebenso wie Flatex zu den etablierten Adressen in Deutschland.
Zu den Neo-Brokern zählt beispielsweise Smartbroker, der zuletzt eine frische App auf den Markt brachte und sein Angebot mehr auf junge Menschen zuschnitt. Und eben Trade Republic. Dort lockt man mit hohen Zinsen aufs Tagesgeld und einer neuen Kreditkarte. Diese ist offenbar ein knappes Gut, denn Trade Republic suggeriert Kunden wie mir, dass sie nur auf Warteposition 584.799 stehen. Die recht günstige Kreditkarte scheint also in weiter Ferne.
Penetrantes Marketing
Mir ist das erst einmal egal, denn ich nutze seit Jahrzehnten im Ausland Produkte von Consors oder DKB und bin damit sehr gut gefahren.
Was allerdings irritiert, ist die Penetranz, mit der der Neo-Broker mich locken möchte, Freunden und Bekannten Trade Republic zu empfehlen. Ich rücke dann auf der Warteliste für meine Kreditkarte nach vorne, so lese ich, sobald diese ein Konto eröffnet haben. Und diese Penetranz erinnert mich an die Deutsche Vermögensberatung.
Dazu kommt ein weiterer Punkt: Bei X und Facebook haben findige Kunden in einer Stichprobe herausgefunden, dass offenbar kein einziger Kunde eine Wartenummer zwischen 100.000 und 400.000 bekommen hat. Man könnte auf die Idee kommen, dass der Broker hier eine Nachfrage suggeriert, die so gar nicht da ist.
Kurzum – dass der Kampf unter den Brokern hart geführt wird, ist keine Neuigkeit. Consorsbank bietet 3,5 Prozent auf Tagesgeld, die ING 3,3 Prozent, und Smartbroker wirbt mit dem Aktienkauf für nur einen Euro. Konkurrenz belebt das Geschäft. Doch der Neo-Broker Trade Republic fällt negativ auf.
Bei Marketingveranstaltungen spricht die Führungsmannschaft stets davon, dass man Kunden Geldanlage und vor allem das Sparen näherbringen wolle. Schaue ich bei Trade Republic aber auf die Suche nach den beliebtesten gehandelten Aktien, so erschien in der ersten Februarwoche stets die Aktie von Dolfines SA mit einem Firmenwert von 2,7 Millionen Euro und einem Aktienkurs von 0,0008 Euro!
Augen auf bei verrückten Top-Titeln
Auch Synbiotic ist häufig dabei – mit einem Firmenwert von 38 Millionen Euro. Die Liste derartiger Mini-Firmen ließe sich beliebig fortsetzen. Beim Smartbroker lautete die Auswahl der letzten Tage: Morphosys, Biontech, Bayer, Tesla, Nvidia oder TUI. Schaut man sich bei der Plattform Onvista um, so findet man unter den Top-Aktien Microsoft, Meta, Tesla oder Porsche. Das ist alles völlig in Ordnung. Dies sind keine Titel, die markteng sind oder mit einer absurden Volatilität und unberechenbaren Kursverläufen daherkommen.
Drei Jahre nach Corona hat sich der Brokermarkt gesetzt und die Ellenbogen werden ausgefahren. Dass dabei jeder um sein Geschäft kämpft, ist völlig normal und auch Prämien für die eigene Kontoeröffnung oder das Werben neuer Kunden ist normal. Dass man aber auf einer Leiter nur dann nach oben klettert, wenn man Freunde und Familie akquiriert und bei Top-Aktien regelmäßig Mikro-Stocks auftauchen – das sollte nicht sein und ist der Aktienkultur nicht zuträglich.
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