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Ukraine-Krieg: Diese Leute kommen besser nicht in die Nähe von Putin


Kolumne "Russendisko"
Diese Leute kommen besser nicht in Putins Nähe

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 25.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Das Kreml-Regime feindet russische Exilanten an, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Das Kreml-Regime feindet russische Exilanten an, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Sofya Sandurskaya/dpa)

Wer wollte und konnte, verließ Russland nach Wladimir Putins Attacke auf die Ukraine. Während der Kreml die Exilanten verstößt, hegen diese Menschen einen großen Wunsch, meint Wladimir Kaminer.

Überall in den deutschen Städten höre ich die russische Sprache. Es sind nicht nur Geflüchtete aus der Ostukraine, die Russisch sprechen. Nein, die meisten sind meine Landsleute, die aus Russland geflüchtet sind. Berlin ist in dieser Hinsicht ein besonders begehrenswertes Ziel dieser neuen Migranten. Im vorigen Jahrhundert retteten sich viele Russen vor der Oktoberrevolution in die deutsche Hauptstadt, vor allem die Kulturschaffenden ließen sich hier nieder.

Die meisten dieser Dichter und Denker siedelten sich damals in Charlottenburg und Tiergarten an. Viele berühmte Bücher von russischen Autoren wurden damals in Berlin geschrieben und gedruckt. In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wurden in Berlin mehr Bücher und Zeitschriften in russischer Sprache gedruckt als in der Sprache der hiesigen Leserinnen und Leser. Mein Lieblingsbuch aus dieser Zeit heißt "Zoo. Briefe nicht über Liebe".

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" ist im August 2023 erschienen.

Sein Autor lebte in Charlottenburg, in der Nähe des Zoos, er konnte nachts nicht schlafen, weil die Elefanten in ihrem Gehege zu laut schnarchten und nachtaktive Vögel wie verrückt schrien. "Wir sind wie exotische Tiere in unserem Berliner Gehege, wir sitzen fest im goldenen Käfig des Auslands, aber unsere Gedanken sind in der Heimat“, schrieb er. Bald darauf gingen er und etliche andere Künstler zurück in die Sowjetunion. Die meisten wurden verhaftet, ins Lager gesteckt, gefoltert und ermordet.

Der Autor der "Zoo"-Geschichte hatte Glück, er überlebte Stalin, und beinahe überlebte er die Sowjetunion, so steinalt wurde er. Sein Buch, das die Geschichte der damaligen Migration schildert, ist inzwischen hundert Jahre alt – und was haben wir aus der Geschichte gelernt? Das fragen sich die Russen. Gar nichts, so lautet die Antwort.

Exodus gen Westen

Die Geschichte der plötzlich erzwungenen Auswanderung wiederholt sich. Tausende Russen mussten 2022 ihre Heimat schnell, quasi über Nacht, verlassen, weil sie dem autoritären Staat zu gefährlich waren. Sie sind vor Putins Regime, vor Repressalien und Mobilisierung geflüchtet. Neben jungen Studenten, die nicht in die Armee eingezogen werden wollten, sind es politische Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler, vor allem meine Kollegen, die Schriftsteller.

Beinahe alle russischen Bestsellerautoren sind in Europa gestrandet, nicht wenige in Berlin. Was machen sie? Diese Menschen schreiben weiter Bücher, sie veröffentlichen Anthologien und produzieren Zeitschriften, andere eröffnen Buchläden, veranstalten Lesungen und Kongresse ohne Zahl, doch Berlin bleibt für sie ein Zoo, in dem sie wie exotische Tiere in einem Käfig sitzen. Ihre Gedanken sind in der Heimat.

Zwei Jahre des Krieges sind schnell vorübergegangen, jeden Tag suchte man gute Nachrichten aus der Heimat, nach jeder kleinsten Protestaktion titelten die oppositionellen Blätter – die alle selbst längst im sicheren Ausland sitzen –, dass Putins Regime am Ende sei. Es schien tatsächlich so: Der faschisierte Kreml könne sich nicht mehr lange halten, ob unter Sanktionen oder durch Sabotage würde das Regime bald nachgeben müssen. Die Migranten könnten zurück nach Hause fahren.

Schließlich wissen wir aus Hollywoodfilmen, dass das Gute am Ende immer über das Böse siegt. Manchmal dauert es unerträglich lange, doch selbst der längste Film ist in der Regel nach drei Stunden zu Ende. Unser "Kriegsfilm" hat sich nun bereits über zwei Jahre hingezogen, und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Lange Zeit gehörte es zum schlechten Ton in diesem russischen Milieu in Deutschland, sich als "Migrant" zu bezeichnen. Man hat sich als "Relokant" bezeichnet, "Relokation" verstanden als vorübergehenden Platzwechsel.

Anleihen bei den Nazis

Inzwischen packen immer mehr "Relokanten" ihre Koffer aus und werden zu Migranten. Sie schauen sich um – und versuchen einen Neuanfang, in ihren Gedanken bleiben sie trotzdem in der Heimat, ihr Tag beginnt mit Nachrichten aus Russland. Sie sind untröstlich. Letztes Jahr haben 195.500 Lehrer und Lehrerinnen in Russland gekündigt, sie werden durch neue "Erzieher" ersetzt.

Präsident Putin, der in der letzten Zeit gerne als Lehrer und Erzieher auftritt, hat einen Wettbewerb für diese neuen "Erzieher" ausgerufen unter dem Motto "Mehr sein als scheinen". Dieser Wettbewerb soll laut Ankündigung "breite Bevölkerungsschichten in patriotische Erziehungsmaßnahmen einbeziehen". Die Tatsache, dass der Spruch von den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten des NS-Regimes übernommen wurde, die zur Zeit des Nationalsozialismus Nachwuchskader ausbildeten, wird schlicht ausgeblendet.

Die weggegangenen Relokanten werden in der Heimat mittlerweile als Staatsfeinde gebrandmarkt, als Heimatverräter und "ausländische Agenten". Was bedeutet, dass sie kein Geld mehr aus Russland beziehen dürfen. Ihr Besitz wird enteignet, sie selbst werden mit einer Art Fatwa belegt, es sind Gesetzlose, zum Abschuss Freigegebene, sollten sie jemals dem russischen Staat wieder zu nahe kommen. Immer mehr erinnern mich die Russen an die Iraner, die ich in Deutschland kenne.

Ich kenne sogar einige in Berlin, die noch vor der Islamischen Revolution 1979 geflüchtet sind und auch Jahre, gar Jahrzehnte mit dem Gedanken einer baldigen Rückkehr geliebäugelt hatten. Inzwischen sind sie sehr alt geworden, veranstalten trotzdem immer noch jedes Jahr ihren Kongress der "liberalen iranischen Kräfte" im Mauerpark, grillen Würstchen und hören Musik. Von Weitem sind sie leicht mit einer türkischen Hochzeitsgesellschaft zu verwechseln. Ihre Kinder kommen aus Höflichkeit zu den Kongressen mit.

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