Riskante Rohstoff-Geschäfte "Es droht ein unkontrollierter Finanzkollaps"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die letzte große Bankenrettung verschlang Milliarden an Steuergeldern. Eine Studie warnt vor noch höheren Kosten durch riskante Geschäfte mit Kohle, Öl und Gas.
Hunderttausende Jobs lösen sich in Luft auf, die Bundesregierung muss Milliarden an Steuergeldern aufwenden, um Banken und Versicherungsunternehmen zu retten: Was klingt wie eine Rückschau auf die Folgen der Finanzkrise von 2008, ist ein Blick in die Zukunft.
Laut einer neuen Studie der Klimaschutzorganisation Sunrise Project droht ein Zusammenbruch der Finanzmärkte, der jenen vor 15 Jahren noch übertreffen könnte. Statt der faulen Immobilienkredite, die damals erst die USA und dann die ganze Weltwirtschaft ins Wanken brachten, soll möglicherweise nun der Wertverlust von Öl-, Gas- und Kohleprojekten den Kollaps der Märkte herbeiführen.
Denn fossile technische Anlagen wie Kohlekraftwerke, Ölvorkommen und andere Rohstoffvorräte sowie Anteile an Unternehmen in der fossilen Brennstoffbranche werden demnach nicht die erwarteten Profite abwerfen. Im Gegenteil: Die Studie prognostiziert, dass sie in wenigen Jahren wertlos werden und Investoren und Kreditgeber mit in den Abgrund ziehen. Auslöser dieser Entwicklung: der Boom der erneuerbaren Energien, der steigende CO2-Preis, der technische Fortschritt bei sauberen Brennstoffen.
13,6 Millionen Jobs stehen auf dem Spiel
Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass die Geschäfte mit fossilen Energieträgern dadurch bereits 2030 so unrentabel werden dürften, dass Finanzmärkte und Kreditinstitute kollabieren könnten. Und nicht nur die Banken würden darunter leiden. Die gesamtgesellschaftlichen Folgen seien enorm, falls Versicherer und Banken – die in diesem Bereich vielfach noch immer stark investieren – nicht dringend einlenken, mahnt die Studie.
Konkret führe ein "Weiter so" bis 2030 dazu, dass Finanzinstitutionen weltweit auf riskanten fossilen Vermögenswerten in Höhe von 2 Billionen Euro säßen. Platze die Blase dann, würde eine staatliche Rettung der Banken die Steuerzahler global 4,6 Billionen Euro kosten. Das ist mehr als doppelt so viel Geld, wie notwendig war, um die Folgen der Weltfinanzkrise 2008 abzumildern.
Weltweit stünden demnach 13,6 Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel, davon rund 160.000 in Deutschland. Die Bundesregierung müsste einen Rettungsschirm über 190 Milliarden Euro aus Steuergeldern finanzieren – Kosten von etwa 2.400 Euro pro Person.
Steuerfinanzierte Rettungsmaßnahmen
"Wenn der Markt für fossile Brennstoffe zusammenbricht, müssen am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Rechnung tragen – mit schwerwiegenden sozio-ökonomischen Folgen", kritisiert Hilal Atici vom Sunrise Project, das neben dem WWF, der europäischen Fridays-for-Future-Bewegung und anderen die sogenannte One-for-one-Kampage mitträgt. "Ohne eine angemessene Regulierung für Investitionen in fossile Energien drohen ein unkontrollierter Finanzkollaps und steuerfinanzierter Rettungsmaßnahmen."
Geht es nach ihnen, sollen Finanzunternehmen für jeden US-Dollar, den sie in fossile Brennstoffe pumpen, einen Dollar zurückhalten – "one for one". Die Logik dahinter: Mit den Summen, die sie so ansparen müssen, können sie sich selbst vor der Insolvenz retten, statt die Kosten auf die Gesellschaft abzuwälzen, wenn die Blase platzt. Außerdem fordern die Organisationen einen ernsthaften und damit deutlich schnelleren Ausstieg der Banken und Versicherer aus diesem Geschäftsfeld.
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Widerspruch: Papier vs. Realität
Obwohl viele Banken und Versicherer sich inzwischen verpflichtet haben, mittel- bis langfristig klimaneutral zu werden, finanzieren sie weiterhin fossile Energievorhaben und -unternehmen, besonders Öl und Gas. Laut einer Auswertung des Think-Tanks Influence Map, legen vor allem US-amerikanische Großbanken mit gewaltigen Krediten ihre Hand für die Branche ins Feuer: J.P. Morgan, Citigroup und die Bank of America ließen zuletzt die höchsten Summen in klimaschädliche Projekte fließen. Aber auch deutsche Finanzunternehmen mischen mit.
In einem Ranking der US-Umweltorganisation Rainforest Action Network zu diesem Thema taucht die Deutsche Bank ebenso auf wie die Commerzbank: Sie belegen Platz 22 und Platz 46 unter den weltweit 60 größten Finanziers der Klimakrise.
Während die Investitionen der Deutschen Bank im Auswertungszeitraum von 2016 bis 2021 immerhin zurückgegangen seien, habe die Commerzbank stetig zugelegt. Das Fazit von Influence Map: Solange sich mit fossilen Brennstoffen Profite machen lassen, wird der Finanzsektor sich nicht abkehren.
- Studie der One-for-One-Kampagne (2022): "Banking on Bailouts: Sizing the social costs when the fossil fuel bubble bursts"
- Pressemitteilung der One-for-One-Kampagne: "EU could face 3.7 million job losses in fossil fuel market crash"
- Influence Map (2022): "Finance and Climate Change"
- Rainforest Action Network (2022): "Banking on Climate Chaos"