Deutscher Oscar-Kandidat Woher kommt der Hass auf diesen Film?
Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Ein deutscher Film schreibt Oscargeschichte. Vier Preise konnte "Im Westen nichts Neues" holen, damit steht die historische Dimension des Kriegsdramas. Doch die Kritik aus der Heimat verstummt nicht.
Vier Oscars! Und bei den Nominierungen in fast allen wichtigen Bereichen vertreten, darunter in der Königsdisziplin Bester Film. "Im Westen nichts Neues" räumte bei den diesjährigen Oscars ab. Die Buchverfilmung des Erich Maria Remarque Klassikers hat damit geschafft, was ihr kaum jemand zugetraut hätte. Deutschlands Kino ist auch international wieder auf der Bildfläche und beim bedeutendsten Filmpreis der Welt erfolgreich.
Dennoch mischt sich vor allem hierzulande immer wieder ein "Aber" in die Erfolgsgeschichte. Aus Deutschland wird Wasser in den Wein gekippt. Denn die für Netflix umgesetzte Romanadaption von Edward Berger gilt als umstritten. Ist diese Kritik berechtigt? Christoph Cöln, Chef vom Dienst, und Steven Sowa, Unterhaltungsredakteur, diskutieren diese Frage im Pro und Kontra.
Ja, die Kritik ist berechtigt, denn der Film scheitert an seinem Anspruch.
Wenn der Soundtrack düster grollt und sich der Schrecken auf die Mienen der Soldaten legt, dann wissen wir, es passiert gleich was. Und wie. Geschosse schlagen reihenweise in deutschen Uniformen ein, Panzer pressen junge Rekruten zu Brei, Bajonette flutschen in Brustkörbe und rosige Franzosenköpfe werden notfalls mit dem Klappspaten zerhackt. Ja, diese Verfilmung des Remarque-Klassikers ist harter Unterhaltungsstoff. Regisseur Edward Berger mutet dem Publikum einiges zu.
Aber sein Film will ja auch was. Ganz großes Kino sein. Ein episches Kriegsdrama von Spielbergscher Güte, ein einfühlsames Antihelden-Porträt, das sich auch der literarischen Vorlage verpflichtet fühlt, zugleich ein visuell überwältigendes Schlachtengemälde, und obendrein auch noch ein politisch korrektes, pazifistisches Klagelied, das irgendwie zum Zeitgeist passt. Und so spricht aus beinahe jeder Sequenz der Wille zum Bedeutsamen, zum Monumentalen, als müsse der Film ständig beweisen, dass auch das deutsche Kino ein Opus magnum wie "Apocalypse Now" oder "Der Soldat James Ryan" hervorbringen kann. Leider löst der Film diesen Anspruch nicht ein.
Nicht nur wegen grotesk überzeichneter Nebenfiguren wie dem Preußengeneral Friedrich. Devid Striesow spielt ihn als nihilistischen Todesboten, pausbäckig, mit Zwirbelbart und einem gewaltigen Schmiss an der Backe. Eine Karikatur wie aus einem Weltkriegs-Comic. Auch die Protagonisten bleiben holzschnittartig und seltsam entrückt, anstatt Mitgefühl für ihre höllische Tour de force aufzubringen, schaut man ihnen mehr oder weniger gebannt dabei zu, wie sie dem Ende entgegentorkeln, und selbst die blutigsten Schlachtszenen, in die sie geworfen werden, erzeugen keinen existenziellen Schauer.
Überhaupt scheint in der äußerst brutalen Inszenierung selten mehr auf als der Versuch, die Gewalt des Krieges historisch korrekt wiederzugeben. Mag die Kamera die gequälten Soldatenmienen noch so sehr ins Unerträgliche verzerren und die optischen Filter all das rohe Fleisch, das die Militärmaschinerie erbarmungslos zermalmt, noch so lebensecht erscheinen lassen. Allein, es berührt einen kaum.
Berger spielt die Genreklaviatur des Kriegsfilms fehlerlos, keine Frage. Aber er schafft es nicht, die Partitur zum Schweben zu bringen. Nichts weist in diesem Film über sich selbst hinaus, nichts fügt er seinem Thema hinzu. "Im Westen nichts Neues" ist schlicht, was er ist. Ein sehr aufwändiges Stück deutsches Mainstreamkino. Mehr nicht.
Nein, die Kritik zeigt nur Deutschlands schlimmsten Fetisch.
"Ein Museum voller guter Absichten", "Kriegskitsch" und sowieso: Was erlaubt sich Edward Berger, einen Klassiker wie Remarque derart neu zu interpretieren? Die deutsche Kritik an der Verfilmung von "Im Westen nichts Neues" war hart, überhart. Auch mein Kollege Christoph Cöln schließt sich dem Tenor an: Dieser Streifen mag tolles Blockbuster-Kino sein, ein guter Film ist es nicht.
Es zeigt einmal mehr, wie verbohrt, streng und rigoros die deutsche Kritik mit Stoffen aus dem eigenen Land umgeht. Deutschlands schlimmster Fetisch kommt zum Vorschein: der Selbsthass. Der Hang dazu, "made in Germany"-Titel mit Argusaugen unter die Lupe zu nehmen, die Erwartungshaltung schon im Vorhinein in die Höhe zu schrauben – nur um dann umso heftiger aus dem Elfenbeinturm des Feuilletons auf das Werk herniederzurauschen und es in seine Einzelteile zu zerlegen.
Im Ausland wird die Buchverfilmung von Edward Berger gefeiert, mehr noch: Sie wurde von einer international zusammengestellten Jury beim wichtigsten Filmpreis der Welt mit neun Nominierungen geehrt. Deutschlands erster Beitrag beim "Besten Film" sprang heraus, ein Ritterschlag. Und das vollkommen zurecht.
Edward Berger hat Remarques Roman nicht abgefilmt, er hat ihn zu einem zeitgemäßen Epos gemacht. Zuschauende können bei der kraftvollen Inszenierung nicht anders, als sich angewidert abzuwenden. Die körperlichen und seelischen Verwüstungen brennen sich ein. Die pazifistische Botschaft dieser bildgewaltigen Barbarei ist eindrücklich wie schmerzhaft.
"Im Westen nichts Neues" ist mit knapp 20 Millionen Euro gelungen, was Filme wie "Dunkirk" mehr als das sechs- oder siebenfache gekostet hat: Ein wuchtiger Antikriegsfilm voller Relevanz erinnert an die Grauen des Krieges. Auch wenn 1930 schon einmal eine "Im Westen nichts Neues"-Verfilmung "Bester Film" bei den Oscars wurde: Edward Bergers Neuinterpretation hätte den Preis ebenso verdient.
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