Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Friedrich Merz und die K-Frage Dann kommt es zum Knall
Friedrich Merz will erst seine Familie fragen, ob er Kanzlerkandidat werden darf. Oder ob er zu alt dafür ist. Eine clevere Finte des CDU-Chefs über die Feiertage.
Die stillen Tage zwischen den Jahren sind ein idealer Moment, um einen politischen Pflock in den Boden zu rammen. Alle sind entweder damit beschäftigt, das Völlegefühl im Bauch abzubauen, Umtausche unpassender Geschenke zu erledigen. Oder sich den bestimmenden Nachrichten dieser wirklichen fünften Jahreszeit hinzugeben: der Skischam, also dem schlechten Öko-Gewissen auf der Piste, den vermehrten Penisbrüchen über die Feiertage, der finalen Abkehr eines ballonlippigen weiblichen Dschungelstars vom männlichen Geschlecht und einschlägigen Verkehr mit diesem. Den Geständnissen einer Pornosüchtigen. Dem Dauerregen und dessen zwangsläufigen Folgen.
Wenn in diesem ablenkenden Umfeld ein politischer Pflock eingeschlagen wird, dann hat das zwei unschlagbare Vorteile: Erstens hört man das Hämmern kaum. Und zweitens steht der Pflock auch dann noch sperrig in der Landschaft, wenn der politische Betrieb mit den diversen Klausuren an und nach Dreikönig wieder seine Arbeit aufnimmt.
Einen solchen Pflock hat Friedrich Merz über die Feiertage in der Frage des Kanzlerkandidaten der Union eingeschlagen. Der Verlauf war wie folgt: Schon vor Weihnachten tat Markus Söder, der CSU-Chef aus Bayern das, was er am besten kann: a bisserl schmutzeln. Von München aus empfahl er mit Blick auf das Chaos in der Ampel vorgezogene Neuwahlen – freilich ohne diesen Vorstoß mit Merz abgesprochen zu haben. Auf eine Weise war das auch ein Pflock, eine Art Marterpfahl, denn an diesen hätte Söder zu einem späteren Zeitpunkt, etwa nach den Ostwahlen im kommenden Herbst, Merz binden können. Dann hätte er um ihn herumzutanzen und sagen können, Merz habe den idealen Zeitpunkt für den Machtwechsel verpasst – weshalb er natürlich auch wenig geeignet sei, Kanzlerkandidat der Union zu werden.
Merz hat diesen Plot durchkreuzt, indem er sich halbgar der Neuwahlforderung anschloss – wohl wissend, dass das im Moment ohnehin kein ernsthaftes Thema ist und auch nicht in den Händen der Union liegt.
Um Weihnachten herum meldete sich dann der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zu Wort und sprach sich vorzeitig für Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten der Union für die nächste Bundestagswahl aus. Mehr noch: Er erklärte die Frage für intern geklärt, weil die meisten, auf die es ankommt, hinter Merz stünden.
Kretschmer überrascht mit einem Zwischenruf
Das ließ insofern besonders aufhorchen, als sich Kretschmer meistens eher pointiert (und oft vom CDU-Mainstream abweichend) zu Sachthemen äußert - und seltener zu innerparteilichen Prozessen. Außerdem kann man nicht sagen, dass Kretschmer als ausgesprochener Merzianer markiert wäre. Umso hilfreicher dieser Vorstoß aus Dresden für Merz.
Ob nun abgesprochen oder den Ball aus dem Osten einfach voll volley nehmend, gab Merz der Nachrichtenagentur dpa (über die Feiertage immer noch der beste Kanal, eine Botschaft flächendeckend zu verbreiten) ein Interview. Darin verfügte er erstens, dass es dieses Mal keinen Streit in dieser Frage gebe und auch keine Schmutzeleien (er hat ein anderes Wort dafür verwandt, aber Söder gemeint). Er hat zweitens seinen Respekt und seine Demut vor dem wichtigsten politischen Amt in Deutschland bekundet. Und er hat drittens hinterlegt, dass er nichts mache, was nicht von seiner Familie abgesegnet sei, und dass er wohl wisse, kurz nach der regulären Bundestagswahl 2025 seinen 70. Geburtstag zu begehen.
Nicht ohne meine Familie, und bin ich vielleicht zu alt? Beim ersten Hinhören klingt das wie eine doppelte Reserve, wie eine mögliche Vorankündigung, auf die Kanzlerkandidatur entgegen allen Vermutungen des Berliner Kommentariats zu verzichten.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel und das Politmagazin Cicero, dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Mit dem zweiten Ohr hört man besser
Aber mit dem zweiten Ohr hört man besser: Tatsächlich legt Merz die Entscheidung damit ausschließlich in sein Ermessen. Denn wenn seine Familie zustimmt (davon können wir mal ausgehen) und er sich so fit fühlt, wie er aussieht, dann wird er eben auch Kanzlerkandidat. Diese doppelte Kondition (Familie, Fitness) dient nur dem Nachweis, dass er darüber nachdenkt. Das wirkt respektabel. Und obendrein nimmt sie denen, die sein Alter gegen ihn ins Feld führen, den Wind aus dem Segel. Wie Söder bei dessen Neuwahl-Alleingang.
Die Union ist in den Umfragen derzeit weit entfernt von den 40 Prozent, die für sie in richtig guten Zeiten einmal normal waren. Aber sie steht immer noch mindestens zehn Prozentpunkte vor der zweitplatzierten AfD, und ihre 32 bis 34 Prozent bilden in etwa die Summe der Prozentpunkte der amtierenden Ampel zusammen. Anfang Mai wird die CDU dann in Berlin bei ihrem ordentlichen Bundesparteitag die Führung neu wählen. Also auch Friedrich Merz als Parteivorsitzenden. Aus heutiger Sicht nicht vorstellbar, dass die Delegierten ihm ein gutes Ergebnis verweigern. Warum sollten sie? Und ebenso wenig vorstellbar, dass einem Parteivorsitzenden nach einer solchen Wiederwahl der Wunsch versagt wird, Kanzlerkandidat und dann auch möglicherweise Kanzler zu werden. Die Frage liegt mithin ausschließlich in seinem Ermessen.
Und wie es dann zum Knall kommt? Aller Voraussicht nach gar nicht. Ich wollte nur sehen, ob Sie diese Kolumne bis zu Ende durchlesen.
- Agenturen, eigene Überlegungen