Offensive in Rafah Das ist brandgefährlich
Noch gibt es keine Großoffensive in Rafah, Netanjahu steht aber schon jetzt gewaltig unter Druck. Die Armee ist unzufrieden, und auch international wächst der Unmut.
Was passiert in Rafah? Diese Frage schwebt derzeit über dem Konflikt in Nahost. Seit Wochen droht Israel mit einer Großoffensive in der Stadt im südlichen Gazastreifen, in der sich mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aufhalten. Bislang galt die Stadt als sicherer Zufluchtsort.
In dieser Woche aber überschlugen sich die Ereignisse. Am Montag wurde bekannt, dass die Hamas angeblich einer von Vermittlern vorgelegten Waffenruhe zugestimmt habe. Die Terrororganisation habe die Garantie erhalten, dass Israel nach dem Waffenstillstandsabkommen keine weiteren Operationen im Gazastreifen durchführen werde, wurde aus Hamas-Kreisen berichtet. Israel dementierte. Der Vorschlag sei weit davon entfernt, die israelischen Forderungen zu erfüllen, die Gespräche würden aber fortgesetzt.
Kommt die Großoffensive oder nicht?
Kurz darauf rollten israelische Panzer in Richtung Rafah, die Armee übernahm die Kontrolle über den Grenzübergang zu Ägypten und führte nach eigenen Angaben Präzisionsschläge durch. Die Stadt sei die letzte verbliebene Bastion der Hamas, die Angriffe seien laut Israel nötig, um den Terror zu beenden. Wie zum Beweis griff die Hamas immer wieder aus Rafah heraus den Grenzübergang Kerem Schalom zwischen dem Gazastreifen und Israel an, über den Hilfslieferungen in die Region geschickt werden.
Die USA sehen darin noch keinen Beginn einer Großoffensive, die israelische Regierung hingegen sendet unklare Signale: Startet sie nun die Großoffensive oder nicht?
US-Präsident Biden droht Israel
Über diese Frage droht der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nun bei allen in Ungnade zu fallen, die ihm eigentlich wohlgesonnen sind. In der Armee gibt es offenbar großen Unmut über Netanjahus Schlingerkurs und die noch nicht begonnene Operation in Rafah. Die USA lehnen eine Großoffensive vollkommen ab und äußern ihre Kritik nicht mehr nur in internen Gesprächen, sondern ganz öffentlich über die Presse.
Präsident Joe Biden kritisiert Israel dabei nicht nur, er droht: Greift Israel Rafah an, werden die USA die Waffenlieferungen einschränken. Für eine großangelegte Invasion in Rafah, wo Hunderttausende Zivilisten Schutz suchen, werde seine Regierung nicht die Waffen bereitstellen. Auch Deutschland sendet öffentlich Appelle an Israel. Zu einer Einschränkung der Waffenlieferung äußert sich die Bundesregierung bislang aber nicht.
"Wir hoffen, dass es nicht dazu kommt"
Doch Israel will sich offenbar auch durch wachsenden Druck seines engsten Verbündeten USA nicht von seinem Kriegskurs im Gazastreifen abbringen lassen. "Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen", sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft.
"Wie ich bereits gesagt habe, werden wir, wenn es sein muss, mit unseren Fingernägeln kämpfen". Sein Armeesprecher Daniel Hagari sagte, man verfüge über genügend Waffen und Munition, um den Einsatz in der Stadt Rafah fortzusetzen.
Israel will Aufruf zur Evakuierung nicht ausweiten
In einer US-Sendung allerdings betonte Netanjahu die Bedeutung der Beziehungen zu den USA: Er hoffe, Biden und er könnten ihre Meinungsverschiedenheiten über den Krieg im Gazastreifen überwinden, sagte Netanjahu in einem Interview in der Sendung "Dr. Phil Primetime". "Wir hatten oft unsere Vereinbarungen, aber wir hatten auch unsere Meinungsverschiedenheiten. Wir waren in der Lage, sie zu überwinden. Ich hoffe, wir können sie auch jetzt überwinden, aber wir werden tun, was wir tun müssen, um unser Land zu schützen".
Israels Einsatz in Rafah dauert derweil an. Seit Beginn des Vormarsches im östlichen Teil der Stadt in der Nacht zum Dienstag seien etwa 50 bewaffnete Männer von Israels Truppen getötet worden, berichtete die "Times of Israel". Das Militär bestätigte den Bericht. Nach Armee-Schätzungen haben etwa 150.000 Menschen den Ostteil Rafahs verlassen. Die "Times of Israel" berichtete, dass die Armee angesichts der laufenden Geiselverhandlungen derzeit nicht vorhabe, ihren Aufruf zur Evakuierung auf andere Gebiete von Rafah auszuweiten.
Ein Zeichen dafür, dass eine komplette Offensive auf die Stadt so schnell noch nicht ansteht. Experten zufolge würde eine vollständige Räumung mehr als zwei Wochen dauern.
Verhandlungen über Waffenruhe sollen weitergehen
Die Verhandlungen in Kairo über eine Waffenruhe und eine Freilassung von Geiseln scheinen also bislang eine Großoffensive zumindest hinauszuzögern. Derzeit sind sie allerdings unterbrochen. Die "New York Times" sprach von einem Rückschlag. Beamte sagten der Zeitung, unter Teilnehmern der Gespräche habe es wütende Reaktionen über den Vorstoß der israelischen Armee in Rafah gegeben.
Gleichwohl gingen die Unterhändler davon aus, dass weder die Hamas noch Israel die über die Vermittler Ägypten, Katar und die USA laufenden Gespräche abbrechen werden. Davon gehen auch die USA aus. Der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, sei zwar abgereist, hieß es aus den USA. Das sei jedoch so geplant gewesen. Auch das Team der Hamas verließ Kairo nach eigenen Angaben Richtung Katar. Wie und wann es weitergeht, ist derzeit unklar.
Palästinenser wollen Rückhalt für UN-Mitgliedschaft
Fakten könnten an diesem Freitag hingegen die Vereinten Nationen schaffen. Die Vollversammlung wird über eine Resolution abstimmen, die die Rechte der Palästinenser innerhalb des größten UN-Gremiums stärken soll. Geht der Entwurf durch, wird der bisherige Beobachter Palästina aktiv an den Sitzungen teilnehmen dürfen, allerdings ohne reguläres Stimmrecht.
Praktisch nur eine kleine Veränderung, ist die symbolische Bedeutung dieser Abstimmung groß. Sie wird nun zum Stimmungstest für Israel. Diplomaten gehen davon aus, dass die Resolution die notwendige Mehrheit von zwei Dritteln aller abgegebenen Stimmen locker erreicht. Das wäre eine internationale Rückendeckung für die Palästinenser – und gegen die Politik Israels. Besonders interessant für Netanjahu dürfte werden, wie die engsten Verbündeten, wie die USA und Deutschland, sich verhalten werden.
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters