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Zukunft der Arbeit: "Schreiner haben ein sehr hohes Risiko, ersetzt zu werden"


Zukunft des Arbeitslebens
"Wir werden keine 40-Stunden-Woche mehr haben"

InterviewVon Camille Haldner

Aktualisiert am 05.05.2023Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Ein Tischler am Bau: In Zukunft könnten besonders Handwerksberufe durch Automatisierung bedroht sein. (Quelle: IMAGO/Vira Simon)

Eine neue Studie zeigt, welche Berufe von Maschinen übernommen werden. Ein Ökonom erklärt, welche Risiken und Möglichkeiten die Automatisierung schafft.

Roboter und Künstliche Intelligenz (KI) übernehmen mehr und mehr Aufgaben in der Arbeitswelt. Doch welche Arbeitsplätze gehen dadurch verloren? Schweizer Robotiker der technischen Hochschule EPFL und Ökonominnen der Universität Lausanne haben 1.000 Berufe auf deren jeweiliges Risiko untersucht, in naher Zukunft automatisiert zu werden. Das Ergebnis der Studie: eine Rangliste, die zeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Job künftig von einer Maschine erledigt wird.

Basierend darauf haben die Forscherinnen und Forscher eine Software entwickelt. Diese zeigt den Nutzerinnen und Nutzern das Automatisierungsrisiko ihres Berufes und schlägt Berufe mit tieferem Risiko und geringem Umschulungsaufwand vor. (Mehr dazu lesen Sie im hier verlinkten Artikel.)

t-online hat mit einem der Co-Autoren der Studie, Rafael Lalive, über weniger und stärker gefährdete Berufe gesprochen. Der Schweizer Ökonom erklärt, warum selbst Models künftig durch Maschinen ersetzt werden könnten und wo Menschen ansetzen sollten, um ihre beruflichen Perspektiven zu stärken.

t-online: Herr Lalive, Sie sagen, am ehesten fallen Metzger und Fleischverarbeiter der KI zum Opfer, also klassische Handwerksberufe. Wie kann das sein?

Rafael Lalive: Damit ist nicht der Fleischverkäufer an der Metzgertheke gemeint, der die Ware schön aufbereitet oder Kundinnen und Kunden individuell berät. Gemeint sind Menschen, die in der verarbeitenden Fleischindustrie und in Schlachtbetrieben arbeiten.

Weshalb braucht es die Menschen in den Schlachtbetrieben und in der Fleischverarbeitung nicht mehr?

Die Grundlage unserer Studie ist ein Katalog an Fähigkeiten und Tätigkeiten, die in einem Beruf ausgeübt werden müssen: Je geringer diese Anforderungen, desto höher das Risiko, von einer KI oder einem Roboter ersetzt zu werden. Und dann haben wir für die Studie auch auf Informationen zurückgegriffen, inwiefern die Beschäftigung in bestimmten Berufen in den vergangenen Jahren gewachsen oder geschrumpft ist.

Was bedeutet das?

Das heißt, dass unsere Studie nicht nur Aussagen darüber trifft, wie hoch das Risiko eines Berufes ist, künftig automatisiert zu werden, sondern auch, ob das bereits geschehen ist. Am einen Ende der Tabelle – bei den Jobs mit hohem Automatisierungsrisiko – sehen Sie also auch Berufe, die teilweise bereits wegrationalisiert wurden. Das betrifft neben Angestellten in der Fleischindustrie beispielsweise auch Kassiererinnen und Kassierer in Supermärkten.

Laut der Studie sind auch Models einem hohen Risiko ausgesetzt, durch KI oder Roboter ersetzt zu werden. Kann Heidi Klum also ihre Topmodel-Show einstellen?

So weit würde ich nicht gehen. Ausgenommen von diesem Befund sind echte Supermodels, die als prominente Persönlichkeiten Bezugspunkte für Menschen bieten.

Aber?

Klassische Models sind stark durch Maschinen bedroht. Menschen, die in ihrer Funktion und Tätigkeit Kleider ausstellen, haben ein enorm hohes Automatisierungspotenzial. Ohne das despektierlich zu meinen: Die kognitiven Anforderungen an Models sind relativ gering, deshalb ist das Automatisierungspotenzial hoch. Ein Avatar kann einfacher und flexibler zahlreiche Körperformen abbilden und Kleider modeln als ein Mensch in einem Werbefilm. Das irritiert erst mal. Aber: Der Gedanke dahinter ist konsistent mit dem Ansatz unserer Studie.

Rafael Lalive ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne (Schweiz).
Rafael Lalive ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne (Schweiz). (Quelle: Universität Lausanne )

Rafael Lalive ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne (Schweiz). Er beschäftigt sich mit Fragen der Arbeitsmarktpolitik, der Familienpolitik und der Sozialökonomie. Lalive ist Teil des Schweizer Forschungsteams, das 1.000 Berufe auf ihr Automatisierungsrisiko untersucht hat.

Spannend ist auch das andere Ende des Risikospektrums: Jobs, die laut Ihrer Studie nicht so stark gefährdet sind, sind etwa Chirurgen. Dabei werden diese doch bereits heute von Computern und Robotern bei ihrer Arbeit unterstützt?

Unsere Studie zeigt den Anteil eines Berufes, der automatisiert werden kann. Wenn dieser unter 65 Prozent liegt, wächst ein Berufszweig. Das ist beispielsweise bei Chirurginnen und Chirurgen der Fall. Diese werden von KI und Robotern bei Tätigkeiten unterstützt, die einem Menschen schwerfallen. KI reduzieren die Fehlerquote und Menschen können produktiver eingesetzt werden.

Laut Ihrer Studie sind Taxifahrer stark von Automatisierung gefährdet, nicht aber Piloten, die bereits heute an vielen Stellen von Bordcomputern unterstützt werden. Weshalb?

Die Anforderungen an den Beruf des Piloten sind deutlich höher als die an einen Taxifahrer. Dies mag erstaunen, da Piloten mit einigen technischen Hilfsmitteln arbeiten und eigentlich das Flugzeug gar nicht mehr selbst fliegen. Aber: Piloten werden durch technische Hilfsmittel unterstützt und das Fliegen wird so sicherer, was auch deren Jobs sichert. Taxifahrer werden potenziell durch Selbstfahrtechnologie ersetzt, deshalb ist hier das Risiko des Jobverlustes höher.

Sind denn Handwerks- und Kreativberufe auf der sicheren Seite, weil deren Arbeit und Ergebnisse höchst individuell sind?

Schriftsteller, Maler oder Dichter befinden sich im Mittelfeld und können zumindest in Teilen ebenfalls von KI ersetzt werden. Am Ende hängt es von den individuellen Anforderungen an die Arbeiten der Personen ab. Beispielsweise Schreiner haben ein sehr hohes Risiko, ersetzt zu werden. Allerdings muss man dabei erwähnen, dass der Datenkatalog aus den USA stammt und die für die Studie genutzten Fähigkeiten nicht unbedingt jenen hierzulande entsprechen.

Inwiefern?

In der Schweiz, aber auch in Deutschland, haben wir ein sehr ausgereiftes Ausbildungssystem bei Berufslehren. Menschen werden dort über Jahre in vielen Fertigkeiten geschult. Ein Schreiner aus den USA ist oftmals weniger qualifiziert als einer aus Deutschland, weil da eine ganz andere Ausbildung zugrunde liegt. Ein deutscher Schreiner hat also vermutlich ein geringeres Automatisierungspotenzial als ein Schreiner in den USA.

Sind denn Berufe, in denen individuell auf Menschen eingegangen werden muss, sicher?

Da liegt definitiv Zukunftspotenzial. Auch, weil die Nachfrage in diesen Bereichen zunimmt. Hinzu kommen mit Blick auf unsere Kultur Barrieren, aufgrund derer wir uns hierzulande noch kaum vorstellen können, dass Roboter zwischenmenschliche Aufgaben übernehmen und empathisch sein können. Aber auch das kann sich ändern. Auf der sicheren Seite ist man in kaum einem Beruf. Wir leben in einer Zeit, in der sich Technologie und Ökonomie stark wandeln.

Wie blicken Sie nach Auswertung der Studie auf die Zukunft der Arbeitswelt?

Das hängt stark vom individuellen Lebenszyklus einer berufstätigen Person ab. In den Schulen muss über Automatisierung gesprochen werden und diese bei der Ausbildung mitgedacht werden, aber da ist dementsprechend viel für die Menschen möglich.

Und wie sieht es mit Menschen aus, die bereits berufstätig sind?

Je älter eine Person ist, desto weniger Möglichkeiten bieten sich an. Personen, die Mitte bis Ende zwanzig sind, haben noch viele Berufsjahre vor sich und genügend Zeit, sich entsprechend umschulen zu lassen oder weiterzubilden. Schwierig wird es bei Menschen über 55 Jahren, die auf die Rente zugehen. Dort lohnt sich eine mehrjährige Umschulung weniger. Allerdings lassen sich einmal gelernte Fähigkeiten oft auch in anderen Berufsfeldern einsetzen. Ein von uns entwickeltes, interaktives Tool zeigt Menschen auf, in welchen Beruf sie nach Automatisierung ihres aktuellen Jobs wechseln könnten.

Was raten Sie denn Menschen, die die Studienergebnisse mit Bauchgrummeln lesen, in Bezug auf ihren beruflichen Weg?

Wichtig ist, sich genau anzuschauen, welcher Bestandteil des eigenen Berufs automatisiert werden kann. Da liegt die Gefahr, ersetzt zu werden. Gleichzeitig sollten die Menschen auch auf die Bereiche blicken, in denen Roboter oder KI sie dabei unterstützen können, ihren Beruf noch besser auszuüben. Darin liegt viel Potenzial für das Individuum und die Gesellschaft. Fragen Sie sich, was ist das Essenzielle an meinem Beruf und macht eine Technologie das besser als ich oder kann da Hand in Hand etwas entstehen? Zudem haben wir aktuell die Situation, dass der Arbeitsmarkt so ausgetrocknet ist, dass wir die Menschen möglichst in der Berufstätigkeit halten möchten und müssen.

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Wie wird sich denn unsere Arbeitsweise verändern?

Wir werden künftig besser lernen, mit künstlicher Intelligenz und Robotern zusammenzuarbeiten. Das ist gar nicht so leicht. Wir wissen nämlich heute oft nicht, wie ein Algorithmus zu einem Vorschlag kommt. Wenn wir das nicht besser verstehen, dann sind wir auch oft nicht bereit, einen Vorschlag umzusetzen. Neue Technologien werden uns aber helfen, weniger zu arbeiten. Der Trend zur Arbeitszeitreduzierung hat längst eingesetzt. Ich bin mir sicher, dass wir künftig keine 40-Stunden-Woche mehr haben werden.

Herr Lalive, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit dem Ökonomen und Forscher Rafael Lalive am 3. Mai 2023
  • actu.epfl.ch: "Im Wettstreit mit Robotern"
  • science.org: "How to compete with robots by assessing job automation risks and resilient alternatives" (englisch)
  • lis2.epfl.ch: "Robots, jobs, and resilience" (englisch)
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