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Berlin: Russland-Fan lässt Drohne über Reichstag fliegen


Eigentlich Flugverbotszone
Fanatischer Russland-Fan lässt Drohne über Reichstag fliegen


18.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Russlandfahne über dem Reichstag: Von der weniger bekannten Seite des Gebäudes aus ließ der Ukrainer die Drohne aufsteigen und filmte. (Quelle: t-online)

Minutenlang hat ein Mann eine Drohne mit einer Russland-Fahne über dem Reichstag fliegen lassen – da, wo der Flugverkehr eigentlich eingeschränkt ist.

Ein fanatischer Russland-Unterstützer hat über mehrere Minuten eine Drohne mit einer Russland-Fahne über dem Reichstag fliegen lassen, sich dabei gefilmt und mit Passanten gescherzt. Was in russischen sozialen Netzwerken gefeiert wird, wirft ein schlechtes Licht auf die Sicherheitsvorkehrungen am Parlament: Aus Sorge vor politisch oder terroristisch motivierter Kriminalität ist in der Nähe von Gebäuden der Bundesregierung, ihrer Ministerien und Behörden der Betrieb von Drohnen verboten, es gibt ein Flugbeschränkungsgebiet.

Rund um den Reichstag gibt es diese Zone mit einem Radius von 5,6 Kilometern. Ausnahmegenehmigungen werden ausschließlich für kommerzielle Nutzer erteilt, und auch die dürfen nicht in den inneren Kreis fliegen – eine nautische Meile (1,85 Kilometer) um den Reichstag. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) behält sich hier die seltene Erlaubnis vor: Benötigt wird dazu eine Bestätigung von Bundes- oder Senatsverwaltung, dass es besonderes Interesse am Drohnenflug in der inneren Zone gibt. Auch dann muss das Lagezentrum der Polizei vor dem Aufsteigen informiert werden.

Am 9. Mai, dem Tag des Sieges, sah das ganze so aus: Iwan T. war offenbar von Potsdam in Berlins Mitte gefahren, spazierte zur Ostseite des Gebäudes, baute seine Kamera auf, stellte sie an und ließ die DJI-Drohne neben sich aufsteigen. Zunächst ist kurz nur die Drohne zu sehen, dann kommt auch die weiß-blau-rote Flagge mit Adler ins Bild. Zielgerichtet steuert er die Drohne Richtung Dach. Als die über dem Reichstag angekommen ist, folgt ihr Iwan T. mit der Kamera und zoomt zeitweise rein. Die immer weniger zu erkennende Drohne und die Flagge fliegen die volle Breite des Gebäudes ab.

Eigentlich Flugbeschränkungsgebiet über Reichstag

Aus dem Ukrainekrieg tauchen immer wieder Bilder solcher Drohnen auf, an denen keine Fahnen hängen, sondern Sprengsätze, die über einem Ziel ausgeklinkt werden. Die kleinen Flugobjekte können leichte Gewichte transportieren. Sie können aber auch mit hochauflösenden Kameras ausgestattet sein.

Aus diesen Gründen wurde im Regierungsviertel das Flugbeschränkungsgebiet ED-R146 eingerichtet. Wie das überwacht wird, darüber schwieg sich die Regierung aus: Aus Gründen des Geheimschutzes und zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden könnten dazu keine näheren Angaben gemacht werden. Potenzielle Angreifer könnten sonst Abwehr- bzw. Angriffsstrategien entwickeln, heißt es in einer Antwort von 2020.

Die FDP hatte angesichts der zunehmenden Verbreitung und des Risikos wissen wollen, ob und welche Systeme zum Aufspüren – wie Radar oder Funkfrequenzsensoren – eingesetzt werden. Teil der Frage war auch, ob Störsender Drohnenflüge in unmittelbarer Nähe zu Gebäuden abwehren.

Iwan T. machte offenbar keine Bekanntschaft mit Störsendern. Während die Drohne ihre Bahnen über dem Bundestag zog, freute er sich über Zuspruch eines Deutschen, der ihn nach der Fahne fragte und ignorierte den Hinweis eines anderen Mannes, das sei provozierend. In Seelenruhe ließ er nach Minuten die Drohne zurückkommen, griff nach der Fahne, zog sie nach unten und pflückte den Quadrokopter aus der Luft.

Polizisten nahmen Personalien auf

Erst danach entstanden von ihm noch Bilder, die um ihn herum zehn Beamte von der Polizei Berlin und der Polizei des Bundestags zeigen. Die Polizisten hatten ihn zumindest noch angetroffen und konnten seine Personalien feststellen. Die Drohne, drei Flaggen und vier Georgs-Bänder wurden beschlagnahmt.

Gegen ihn wird ermittelt: Im Luftverkehrsgesetz sieht Paragraf 62 bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe vor, wenn ein Führer eines Luftfahrzeugs dort fliegt, wo er das nach den Anordnungen für Gebiete mit Flugbeschränkungen nicht darf – und wenn nicht andere Delikte hinzukommen.

Für T. könnte das sogar zu Haft führen: Er ist im Mai 2023 laut Berichten von "Märkischer Allgemeiner" und "Tagesspiegel" zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden – wegen Sachbeschädigungen für russische Propaganda und Billigung eines Angriffskriegs.

Verdächtiger bereits einschlägig bekannt

Am weithin sichtbaren Turm des alten Landtagsgebäudes in Potsdam, auch "Kreml" genannt, hatte er in der Höhe Z-Symbole auf das Gemäuer gemalt und die russische Flagge auf dem Dach befestigt. Die Bilder schafften es in russische Nachrichtensendungen. Wenige Tage später hatte er an der Potsdamer Garnisonkirche* aus einem 20 Meter hohen Plakat mit dem Porträtfoto einer ukrainischen Mutter das Gesicht herausgeschnitten und durch einen ukrainischen Text ersetzt: "Die Ukraine existiert nicht."

Der 41-Jährige ist selbst Ukrainer aus Odessa. Er war im Sommer 2022 nach Deutschland gekommen. Mit seinen Aktionen habe er zeigen wollen, dass es auch Ukrainer gebe, die sich als Teil einer großen russischen Nation betrachteten. Die Gesetzesverstöße seien ihm bewusst gewesen, "aber es gibt Taten, für die man sich mit Vergnügen verantworten will". Er sei stolz.

Nach der Aktion fiel er unter anderem damit auf, dass er in Hamburg durch den Hauptbahnhof Beleidigungen gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schrie. In München filmte sich T. als er auf der Grabstätte des 1959 vom KGB ermordeten ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera mit heruntergelassener Hose in die Knie ging. Bandera wird als Vorkämpfer einer von der Sowjetunion unabhängigen Ukraine vor allem in der Westukraine verehrt, er war aber auch mitverantwortlich für Verbrechen an Juden und weiteren polnischen und ukrainischen Zivilisten und Amtsträgern und arbeitete mit der Wehrmacht zusammen. Deshalb spielt er eine wichtige Rolle in russischer Propaganda, der Angriffskrieg diene der der angeblichen "Entnazifierung" der Ukraine.

Die Aktion am Reichstag hatte T. eigentlich sogar schon im Prozess im Amtsgericht Potsdam in Aussicht gestellt. "Ich bin an meine Grenzen gestoßen", sagte er dort im Mai 2023 laut "Märkischer Allgemeiner Zeitung". "Es wäre mir nur noch übrig geblieben, meine Flagge am Reichstag zu hissen."

Die eigene Flagge über dem Reichstag genießt in Russland große Symbolkraft dank eines ikonischen Bildes von Rotarmisten, die nach der Eroberung Berlins die sowjetische Fahne auf dem Reichstagsgebäude hissten. Im vergangenen Jahr wurden aus Russland zum Tag des Sieges am 9. Mai gefälschte Aufnahmen veröffentlicht, die eine sowjetische Flagge an einem der Fahnenmasten zeigen. Diesmal lieferte Iwan T. echte Bilder.

*Wir hatten hier zunächst geschrieben, er habe an einer Kirche in Berlin das Plakat zerschnitten.

Verwendete Quellen
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