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Verlust der Einigkeit: Warum wir in der Corona-Krise nicht mehr zusammenhalten


Verlust der Einigkeit
Warum wir in der Corona-Krise nicht mehr an einem Strang ziehen

MeinungEine Kolumne von Ulrike Scheuermann

Aktualisiert am 31.05.2020Lesedauer: 4 Min.
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Teilnehmerin einer "Hygiene-Demo": Einige Menschen haben sich mit den Veränderungen der Corona-Krise abgefunden, andere hadern damit, protestieren gegen die Maßnahmen oder suchen Antworten in Verschwörungsmythen..Vergrößern des Bildes
Teilnehmerin einer "Hygiene-Demo": Einige Menschen haben sich mit den Veränderungen der Corona-Krise abgefunden, andere hadern damit, protestieren gegen die Maßnahmen oder suchen Antworten in Verschwörungsmythen. (Quelle: imago-images-bilder)

Manche halten die Corona-Regeln weiter ein und befürworten den Kurs der Regierung, andere finden den teilweisen Shutdown unverhältnismäßig und protestieren dagegen. Was hilft in dieser Situation?

Die Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann erklärt, was die psychologischen Hintergründe für die verlorene Einigkeit sind – und was uns jetzt psychologisch hilft, um uns weiterzuentwickeln.

Ein wichtiger Grund für die verlorene Einigkeit ist, dass wir nun die Folgen des teilweisen Shutdowns mit voller Wucht realisieren und sie dem Nutzen der Maßnahmen entgegenstellen: "Ist es das wert?" Anfangs konnte man sich noch sagen – und auch ich habe hier wiederholt betont – dass wir eine zeitbegrenzte Ausnahmesituation haben: "Ein paar Wochen durchhalten, das schaffen wir". Wir hatten ein gemeinsames Ziel, das erreichbar schien: die Verbreitung des Virus eindämmen – Stichwort "Flatten the curve".

Dauer- statt Ausnahmezustand – ein fundamentaler Unterschied

Nun aber werden aus den Wochen Monate, viele sprechen von der zweiten Welle im Herbst, Veranstalter planen erst wieder ab 2022 – aus dem Ausnahmezustand wird wahrscheinlich ein Dauerzustand. Und das macht im persönlichen Empfinden einen Unterschied wie Tag und Nacht.

Die psychischen Auswirkungen einer kurzfristigen Kontaktbeschränkung lassen sich ganz gut überstehen, längerfristig wirken sich der Berührungsmangel und die reduzierten Kontakte zu anderen Menschen dramatisch auf die Psyche aus, wie die erste repräsentative Studie in unserem Nachbarland Österreich zeigt. So haben sich unter anderem depressive Symptome und Angstzustände verfünffacht. Auch ich merke nach zweieinhalb Monaten zunehmend, wie massiv die Kontaktbeschränkungen sich auf meine Stimmung auswirken, obwohl ich sehr gut dran bin – mit Mann und bereits jugendlichem Sohn in friedlichem Zusammensein in einem Haushalt.

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Die weltweiten Folgen sind unfassbar weitreichend

Hinzu kommt, dass wir jetzt immer mehr realisieren, wie weitreichend die Folgen für alle Bereiche des Lebens weltweit sind. Als ich vor ein paar Wochen die Stellungnahme des Entwicklungsministers Gerd Müller und des UN-Sicherheitsrates zur drohenden Hunger-Pandemie las, verfiel ich in tiefe Traurigkeit und fühlte mich hilflos. Allein in Afrika hungern 250 Millionen Menschen, von denen viele nicht am Virus, sondern am Hunger sterben, den das Virus schafft.

Andere reagieren auf das Ausmaß der Zerstörung anders, je nach Charakter und Vorerfahrungen: Viele sind nun wütend und demonstrieren, andere verbreiten Verschwörungstheorien, um zumindest irgendetwas zu tun, die Komplexität der Lage zu reduzieren und sich nicht ohne Einfluss zu fühlen.

Wir treten in eine neue Phase der Krisenentwicklung ein

Eine weitere Erklärung für die Uneinigkeit ist die neue Phase, in die wir innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung gerade eingetreten sind. Krisen wie auch alle möglichen anderen Prozesse verlaufen in Phasen: persönliche Lebenskrisen, Trauer, Teamentwicklung, Lebensverläufe. Jeder Mensch, jede Gruppe, alles Lebendige durchläuft diese Phasen.

Meine zehnjährige Tätigkeit als Psychologin im Berliner Krisendienst hat mich gelehrt, dass wir als Einzelne und als Gruppe durch die Krisenphasen durchmüssen – wir können nicht abkürzen: Schock – Verneinung – Realisieren – Anpassen – Integrieren. Ich denke, wir sind gerade bei "Verneinung" und "Realisieren". Insbesondere diese Phasen sind mit starken Gefühlen verbunden: Wut, Ärger, Angst, Kummer, Hoffnung, Depression, Resignation, Verzweiflung und Trauer. Die Gedanken und Gefühle ordnen sich erst nach und nach neu.

Keine einheitliche Linie mehr

Noch etwas erschwert die Einigkeit: Es gibt keine einheitliche Linie mehr, nicht einmal die Experten sind sich einig. Jeder macht es anders: Die Länder der Welt, die Bundesländer, die Nachbarn. Je mehr Unterschiedlichkeit, desto geringer die Motivation und die Möglichkeiten, einig zusammenzustehen. Klar guckt man beim Nachbarn: "Der hält sich nicht dran, warum soll ich mich dann abmühen?"

Das können wir tun:

  • Bleiben Sie nachsichtig mit anderen und sich selbst, indem Sie das, was geschieht, im größeren Kontext eines Krisengeschehens sehen. Wir stecken noch mittendrin und es greift uns eben auch psychisch mehr an, als wir anfangs ahnen konnten. Der Blick auf die großen Virus-Pandemien der letzten 100 Jahre kann dabei helfen.
  • Verharren Sie nicht nur bei Ihrer Position, sondern versetzen Sie sich in andere mit vielleicht ganz anderen Ansteckungsängsten, Sicherheits- und Distanzbedürfnissen als Sie selbst. Das Tragen der Masken vermittelt, dass Sie Rücksicht nehmen und Respekt gegenüber den anderen haben und sollte nicht als Möglichkeit missbraucht werden, seine Meinung kundzutun.
  • Versetzen Sie sich in Politiker, um nicht gleich aufgrund der eigenen, oft begrenzteren Perspektive "draufzuhauen". Ich höre oft den Satz "Ich möchte im Moment kein Politiker sein". Entscheidungstragende haben einen extrem schweren Job zurzeit. Experten forschen und empfehlen – Politiker müssen dagegen zurzeit unfassbar viele Perspektiven und Argumente bedenken und auf dieser Grundlage entscheiden – bei teils weiterhin unsicherem Wissensstand. Nicht nur im Kontext des eigenen Landes, sondern weltweit. Das ist schwer.

Unzulänglichkeit realisieren

Ich finde, wir können uns ruhig auch sehr umfassende Fragen stellen: Zum Beispiel geht es mit der Corona-Pandemie im Kern ja um Tod und Sterben. Für einen guten Umgang mit der Krise müssen wir auch realisieren, dass wir den Tod nie besiegen werden, auch nicht mit den besten medizinischen Mitteln und einer weltweiten Strategie gegen die Ausbreitung des Virus. Immer werden Menschen sterben. Wir bleiben als Menschen und als Gesellschaft verletzlich und fehlbar. Gegenüber Krankheiten, Epi- und Pandemien, wirtschaftlichen Tiefs und den Auswirkungen von Klima- und Umweltschäden.

Wir sind nicht im Krieg gegen das Virus und wir werden nicht siegen. Nach diesem Virus wird irgendwann ein neues kommen. Das können wir realisieren und dann ohne Allmachtsvorstellungen bestmögliche Entscheidungen treffen.

Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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