Terroralarm in Deutschland "Dann sind wir weitestgehend hilflos"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach der Festnahme von vier mutmaßlichen Hamas-Terroristen sind viele Menschen in Sorge. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind weiter auf ausländische Kollegen angewiesen, bemängelt Experte Guido Steinberg.
Vor der steigenden Terrorgefahr in Deutschland wurde zuletzt immer wieder gewarnt. Trotzdem war die Mitteilung der Bundesanwaltschaft vom Donnerstag ungewöhnlich: Festnahmen gegen mutmaßliche Terroristen kommen immer wieder vor. Dass Angehörige der Hamas allerdings in Deutschland und den Niederlanden gefasst werden, ist dagegen sehr ungewöhnlich.
Guido Steinberg kennt sich nicht nur mit den Gefahren des Terrorismus bestens aus, sondern auch mit dem Nahen Osten. Im Gespräch mit t-online spricht er über die Defizite deutscher Sicherheitsbehörden, die Gefahren für Jüdinnen und Juden in Deutschland und, warum die Hamas möglicherweise auch in Europa Fuß fassen könnte.
t-online: Herr Steinberg, die Bundesanwaltschaft hat vier mutmaßliche Hamas-Mitglieder in Deutschland und den Niederlanden wegen Terrorverdachts festnehmen lassen. Was haben Sie gefühlt, als Sie davon gehört haben: eher Erleichterung, weil ein Anschlag verhindert werden konnte, oder Angst vor einer steigenden Terrorgefahr?
Guido Steinberg: Weder noch, ich war überrascht. Bisher war die Hamas als strikt nationalistische Organisation bekannt und nur in Israel und den palästinensischen Gebieten aktiv. Sollte sich also das bewahrheiten, was die Behörden mitgeteilt haben, wäre das eine ganz neue Entwicklung.
Deutschland muss sich also auf eine gänzlich neue Gefährdungslage einstellen?
Ja. Denn es würde bedeuten, dass die Hamas nicht nur einen Anschlagsplan gefasst hat. Die Hamas hat sich mutmaßlich schon seit Jahren auf Anschläge in Deutschland vorbereitet. Dafür spricht etwa, dass die Gruppe sich ein Waffendepot eingerichtet haben soll. Das bedeutet auch, dass die Hamas-Anschläge vom 7. Oktober möglicherweise gar nicht der Auslöser waren.
Zur Person
Guido Steinberg arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsgebieten gehören unter anderen Terrorismus, der Nahe und Mittlere Osten sowie Islamismus. Zuvor war er unter anderem Referent im Referat für internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt.
Die Hamas will also schon seit Längerem in Europa Fuß fassen?
Die Vorgehensweise erinnert sehr an die Hisbollah. Die Gruppe hatte lange Zeit keine Absicht, Anschläge in Europa durchzuführen. Sie war aber immer für den Fall der Fälle darauf vorbereitet. Ein Auslöser könnte etwa eine direkte Konfrontation zwischen den USA und dem Iran sein. Die Hamas scheint nun eine ähnliche Vorgehensweise zu verfolgen. Dann wäre die Hamas als internationale Terrorgruppe zu betrachten.
Welche Gründe könnte sie dafür haben?
Terrorgruppen werden international, wenn sie sich dadurch Vorteile versprechen. Das Kalkül der Hamas dürfte ähnlich sein: Sie will eine Führungsrolle, nicht nur im palästinensischen Terrorismus, sondern auch in der Politik. Scheinbar glaubt die Gruppe, dass das durch Anschläge möglich ist.
In den zurückliegenden Jahren waren andere islamistische Strömungen wie der Islamische Staat in Deutschland präsenter. Kann es sein, dass die Hamas auf andere Dschihadisten zurückgreifen kann, die sich ihr bisher nicht zugehörig gefühlt haben?
Das sind zwei getrennte Phänomene. Al-Kaida oder der IS haben kaum Sympathien für die Hamas. Wir sollten auch davon ausgehen, dass die Hamas nahezu ausschließlich Palästinenser rekrutiert. Ein Zusammenwachsen mehrerer Gruppen ist nicht realistisch. Die Hamas wollte auch nie, dass jemand aus dem Ausland in den Gazastreifen reist und sich ihr anschließt, so wie es beim IS häufig der Fall ist.
Trotzdem: Sind die deutschen Sicherheitsbehörden auf die Hamas ausreichend eingestellt?
Unsere Dienste scheinen insgesamt ein sehr komplettes Bild der Hamas und der Hisbollah in Deutschland zu haben. Der Verfassungsschutz beobachtet sie seit Jahrzehnten, auch in Zeiten, als sie nicht unmittelbar als gefährlich galten. In anderen Ländern wird die Hamas nicht so strikt überwacht.
Man hat allerdings oft den Eindruck, dass bei einem solchen Erfolg die ersten Hinweise von ausländischen Geheimdiensten kommen. Sind die deutschen Geheimdienste zu schlecht informiert oder arbeiten sie einfach gut mit ihren Partnerdiensten zusammen?
Beides trifft zu. Ich würde allerdings noch deutlicher sagen: Der erste Hinweis kommt immer aus dem Ausland. Wir haben starke Partner, die uns gerne helfen. Das sind in erster Linie die USA. Deutschland ist aber auch finanziell und politisch nicht bereit, die eigenen Behörden zu modernisieren. Das wird dann problematisch, wenn etwa eine neue US-Regierung nicht mehr bereit ist, ihre Informationen mit uns zu teilen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten.
Das könnte etwa passieren, wenn der nächste US-Präsident wieder Donald Trump heißt.
Trump hat in der Vergangenheit gesagt, dass eine solche Kooperation nicht auf ewig bestehen muss. Das ist ein Warnzeichen. Unsere Sicherheitspolitik ist darauf angelegt, dass die Amerikaner uns beistehen. Ansonsten haben wir ein Problem: Dann sind wir weitestgehend hilflos.
Wir müssten also unsere Sicherheitsbehörden weiter stärken?
Rechtlich und finanziell muss vor allem die Überwachung der Telekommunikation verbessert werden. Da liegen wir weit zurück. Aber das Problem liegt tiefer: Deutschland ist nicht auf diese Epoche eingestellt, in der wir es mit zahlreichen Gegnern zu tun haben. Ich sehe auch keine Zeitenwende bei den Geheimdiensten. Sicherheit hat bei uns nicht oberste Priorität.
Nach dem 7. Oktober verkündete der Kanzler allerdings, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt werden soll. Genau dort wollten die vier Männer offenbar Anschläge verüben. War es seit dem Zweiten Weltkrieg für Jüdinnen und Juden schon mal gefährlicher in Deutschland als heute?
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Situation deutlich verschlechtert. Damals konnten Juden noch mit einer Kippa durch viele Berliner Bezirke laufen und hebräisch sprechen. Das ist heute nicht mehr so. Daher muss ich ihre Frage bejahen: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs war es noch nie so gefährlich für Juden in Deutschland wie heute.
- Interview mit Guido Steinberg