Massenproteste in China Musk spielt Xi in die Hände – vielleicht sogar mit Absicht
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.China spült regierungskritische Tweets mithilfe von Erotik-Inhalten von der Plattform. Musks Twitter hilft dabei – fraglich ist nur, ob aus Kalkül oder Unfähigkeit.
Reichweite ist gleich Macht. Das wissen Aufständische genauso wie Despoten. Wladimir Putin, die iranischen Mullahs und auch Chinas Präsident Xi Jinping stellen ihre Medienkompetenz nicht zuletzt dadurch unter Beweis, dass sie soziale Netzwerke möglichst stark kontrollieren.
Sie wissen: Aufstände formieren sich im Netz, Bilder umschiffen dort die staatliche Zensur, die Welt erfährt von Revolutionen und unterstützt sie möglicherweise. Soziale Netzwerke bergen ein hohes Risiko für Gewaltherrscher. Der Arabische Frühling wäre ohne Facebook und Twitter nicht möglich gewesen.
Deshalb gehörte es zu den ersten Schritten Putins nach seinem Überfall auf die Ukraine, die westlichen sozialen Netzwerke im Land sperren zu lassen. Deshalb versucht der Iran dasselbe – und deshalb haben Joko und Klaas ihre Instagram-Accounts mit Millionen Followern an Frauen im Iran übertragen.
Der Protest lässt sich nicht dauerhaft unterdrücken
Die digitale Abriegelung eines Staates gelingt immer nur bedingt. Menschen kann man zeitweise massenhaft einsperren, etwa wie China beim Versuch, Covid einzudämmen. Trotzdem lässt sich der Protest dagegen nicht dauerhaft unterdrücken – genauso wenig wie der Zugang zu sozialen Medien, die dann für die Proteste genutzt werden.
Deshalb greift China seit Sonntag offenbar zu einem weiteren beliebten Mittel, um aufflammende Proteste möglichst schnell wieder unter Kontrolle zu kriegen: Twitter-Bots – also kleine Programme, die automatisch vorgefertigte Tweets im Dauerfeuer absetzen.
Seitdem viele Chinesen auf Twitter in ihrer Landessprache nach Informationen zu den Demonstrationen suchen, werden nahezu sekündlich Bilder von spärlich bekleideten Frauen gepostet oder Verweise auf Escort-Services. So wird den Usern erschwert, sich ein Bild von den Massenaufständen in dem mit harter Hand regierten Land zu machen.
Musk und das Bot-Problem
Moment mal – Bots, war da nicht mal was? War Elon Musk nicht mit der Ankündigung angetreten, die Zahl der Bots einzudämmen? Gelingt es ihm etwa nicht? Oder könnte er dem Treiben der chinesischen Regierung auf Twitter doch Einhalt gebieten, es ist ihm aber kein Anliegen?
Es gibt für beide Thesen gute Argumente. Musk hat mit Übernahme der Dienstgeschäfte bei Twitter sehr viele Leute entlassen. (Er hat gleich danach auch wieder Leute eingestellt, teilweise sogar dieselben. Soviel zur Performance von dem Mann, den einige als planvoll taktierendes Genie verehren.)
Entlassen wurden sehr viele Leute, die für die Moderation der Inhalte und für den Kampf gegen Falschmeldungen und Trollfarmen zuständig waren. Es ist also durchaus möglich, dass Twitter diesem Ansturm inzwischen nicht mehr gewachsen ist.
Musk verkauft Autos nach China
Es kann aber auch sein, dass Musk gar kein allzu großes Interesse daran hat, den Chinesen die Stirn zu bieten. Nicht etwa, weil er sich als unparteiisch versteht. Dann hätte Musk sich ja nicht zugunsten der Republikaner ausgesprochen, kurz vor den Midterm-Wahlen in den USA.
Nein. Musk ist ja nicht nur der Chef von Twitter, sondern auch der vom E-Auto-Pionier Tesla. Musk verkauft Autos. Und wohin verkauft er sehr viele Autos? Genau, nach China. Klingt zu konstruiert? Die Erfahrung zeigt: Sowas ist leider allzu oft die Realität.
Der reichste Mann der Welt wäre nicht der Erste, der sich dem Willen des bevölkerungsreichsten Landes der Welt beugt: Auch Tech-Riesen wie Google oder Apple taten das in der Vergangenheit immer wieder. Dies sei der Fairness halber erwähnt.
Ist Musk unwillig oder unfähig?
Die Troll-Aktion bei Twitter macht es nicht besser. Denn egal, welche Annahme stimmt – ob Musk nun unfähig ist oder unwillig –, beide sind schlecht. Beide runden das Bild ab von einem, der auf dem falschen Thron sitzt. Von einem, der zu viel Macht für einen Menschen hat – und mit dieser Macht offenkundig nicht gut umgeht.
Die Chinesen haben das Mantra eines der wichtigsten Berater des damaligen Präsidenten Trump für sich abgewandelt: "Flood the zone with shit", sagte Steve Bannon, Gründer der rechtsradikalen News-Seite "Breitbart". Maximal viel Unsinn verbreiten, um inhaltliche Debatten möglichst zu verhindern, diese Idee steckt dahinter. "Flood the Zone with erotischen Inhalten" beherzigen jetzt die Chinesen.
Apropos Trump: Der darf ja theoretisch zurück auf Twitter. Er war dort gesperrt worden, nachdem seine Anhänger Anfang 2021 das Kapitol gestürmt hatten. Diese Sperre hat Musk aufgehoben – nach einer Umfrage auf Twitter. Mehr denn je fragt man sich nun, wie repräsentativ dieses Umfrage-Ergebnis sein kann – denn die Plattform scheint ja voll von Trollen zu sein. Der größte sitzt womöglich an der Spitze.
- Eigene Recherche