AfD gegen Verfassungsschutz Jetzt ist klar, vor welchem Datum die AfD zittern muss
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lange spielte die AfD in Münster auf Zeit, am Dienstag dann geht alles ganz schnell. Die Partei erwartet ein Urteil mit massiven Folgen.
Sieben Verhandlungstage hat die AfD mit dem Verfassungsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster gestritten, auf Zeit gespielt, Hunderte von Beweisanträgen und rund ein halbes Dutzend Befangenheitsanträge gestellt. Am Dienstag aber geht alles ganz schnell: Man sei bereit für die Schlussplädoyers, verkündet AfD-Anwalt Christian Conrad von der Kölner Kanzlei Höcker am Mittag. "Dat woor et dann."
Betont locker leitet Conrad so das Ende eines Verfahrens ein, das für die AfD höchste Bedeutung hat. Sie wehrt sich in Münster dagegen, dass der Verfassungsschutz die gesamte Partei als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" einstuft und beobachtet.
In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Köln vor zwei Jahren dem Inlandsnachrichtendienst recht gegeben: Es gebe ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD. Damals war das Verfahren rasch abgeschlossen worden – in Münster wehrte sich die AfD wesentlich vehementer.
Papierschlacht hinter den Kulissen
Tausende neue Seiten Schriftsatz haben Verfassungsschutz und AfD seit 2022 in ihrer Korrespondenz generiert. Eine Papierschlacht hinter den Kulissen, die ganze Büroräume mit Aktenordnern füllt. Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD sind darin enthalten ebenso wie der Protest der Partei. Sie sind wichtiger für das Verfahren als das meiste, was vor Gericht gesagt wird.
Die abschließenden Statements im mündlichen Verfahren seien dennoch relevant, hatte Thomas Jacob, einer der drei hauptberuflichen Richter im Verfahren, vorab angemahnt. "Gute Worte" seien notwendig, "wie durch ein Prisma" könnten AfD wie Verfassungsschutz noch einmal ihre Positionen darlegen. Doch beide Seiten brauchen dafür nur wenige Minuten – und wiederholen pointiert, was sie vor Gericht zuvor stundenlang ausgewalzt haben.
AfD-Anwalt: "Entgleisungen Einzelner"
AfD-Anwalt Conrad behauptet: Die vielen, vielen vom Verfassungsschutz angeführten Belege für rassistisches, völkisches, verfassungsfeindliches Denken in den Reihen der AfD seien "nicht mehr als Einzelmeinungen, allenfalls Entgleisungen Einzelner". Auch AfD-Bundesvorstand und Ex-Oberstaatsanwalt Roman Reusch wird kurz darauf erneut betonen: Der Verfassungsschutz führe Belege von 750 AfDlern an – die Partei aber habe inzwischen 45.000 Mitglieder. "Diese Äußerungen sollen geeignet sein, all diese 45.000 Mitglieder einem – wie ich finde – ehrenrührigen Verdacht zu unterziehen?"
Politisch instrumentalisiert sei das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die so erfolgreiche Oppositionspartei außerdem, sagt Conrad. Er bittet den Senat um eine "Kontrollüberlegung": Was, wenn im Bundesinnenministerium oder im Verfassungsschutz auf Geheiß eines AfD-Politikers agiert würde, gegen eine andere Partei? "Wenn es den Senat bei diesem Gedankenspiel gruselt, dann kann die Entscheidung nur zugunsten der Klägerinnen ausfallen." Vor dem Gericht schließlich seien alle gleich.
Verfassungsschutz: "Beeinflusst politisches Leben deutlich"
Der Anwalt des Verfassungsschutzes, Wolfgang Roth, bestätigt den letztgenannten Punkt in seinem Plädoyer kurz darauf: Natürlich, für alle Parteien würden dieselben rechtsstaatlichen Grundsätze gelten. Aber die Parteien seien eben inhaltlich nicht gleich. Die AfD liefere im Gegensatz zu anderen Parteien ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Und die rechtfertigten die Beobachtung und Einstufung als Verdachtsfall.
Dabei gehe es eben nicht um Einzelmeinungen, wie von der AfD-Seite immer wieder behauptet, sagt Roth. Der Verfassungsschutz führe mannigfaltige Äußerungen von hohen Funktions- und Mandatsträgern in der AfD als Belege an, die über "erheblichen politischen Einfluss" innerhalb wie außerhalb der Partei verfügten.
"Das beeinflusst natürlich das politische Leben in Deutschland sehr deutlich", so Roth. Deswegen werde die Partei beobachtet, deswegen werde die Öffentlichkeit entsprechend informiert.
Urteil am Montag – mit massiven Folgen
Um 12.46 Uhr schließt Richter Gerald Buck am Dienstag die mündliche Verhandlung. Für diesen Tag sei Schluss, der Senat wolle sich beraten, die AfD-Seite habe außerdem um ein Ende des Verfahrens um 16 Uhr gebeten. Das Urteil will der Senat am nächsten Montag, dem ohnehin angesetzten nächsten Verhandlungstag, verkünden.
Roman Reusch, einziger Vertreter des AfD-Bundesvorstands am Dienstag in Münster, will sich nach Ende des Verfahrens nicht äußern, lieber keine Prognose abgeben. In den Reihen der AfD aber rechnet man schon lange mit dem schlechtestmöglichen Ausgang – und mit einem Urteil, das massive Folgen für die Partei haben dürfte.
Denn in den zwei Jahren seit dem Urteil aus Köln ist viel passiert, die Partei hat sich weiter radikalisiert, Belege dafür gibt es mannigfaltig. Ein deutliches Aushängeschild für die Entwicklung, die ihre Anwälte vor Gericht so standhaft leugnen, hat die Partei selbst geschaffen: Im Juli vergangenen Jahres hat sie mit Maximilian Krah und Petr Bystron prominente Köpfe des rechtsextremen Flügels zu ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt. Spitzenkandidaten, die seit einigen Wochen auch im Zentrum von Spionage- und Bestechungsskandalen stehen.
Im Verfahren in Münster geht es wegen dieser Entwicklung nicht nur um die aktuelle Einstufung, es geht um wesentlich mehr. Der Verfassungsschutz könnte die AfD nach dem Urteil in Münster rasch schon in die höchste Kategorie "gesichert rechtsextrem" einstufen – und die Partei damit noch enger mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Die Vorbereitungen dazu laufen in der Behörde laut Medienberichten schon.
"Machen bereits vieles für die nächste Instanz"
Im Bundestag warten so einige auf die Entscheidung aus Münster, um ein Verfahren anzustrengen, mit dem die AfD ganz verboten werden könnte. Der frühere Hamburger Justizsenator und Grünen-Politiker Till Steffen sagte t-online im April: Die Grundlage für einen Verbotsantrag müssten sehr gründliche Untersuchungen sein, die rechtlich stichfest seien. "Dafür ist das Urteil in Münster absolut notwendig."
Den Anwälten der AfD ist das wohl bewusst. "Wir sprechen von einem kleinen Parteiverbotsverfahren", sagt Conrad am Dienstag und meint das Verfahren in Münster. So erklärt sich auch die Strategie der AfD in den vergangenen Verhandlungstagen: Da wurden immer wieder Befangenheitsanträge gegen einzelne Richter oder den gesamten Senat gestellt sowie rund 470 Beweisanträge, mit denen Zeugen aus Partei wie Verfassungsschutz zur Entlastung herbeigerufen werden sollten.
Ein Vorgehen, das nicht nur der Anwalt des Verfassungsschutzes, sondern auch die Richter des Oberverwaltungsgerichts immer wieder als "rechtsmissbräuchlich" und als "Prozessverschleppung" kritisierten.
Die AfD-Anwälte entschuldigten das mit Blick auf die nahende Zukunft. Conrad sagt: "Wir machen hier bereits vieles für die nächste Instanz."
- Eigene Beobachtungen bei Gericht in Münster