Problematisch? Tiere nach Massenmördern benannt
Die wissenschaftlichen Namen vieler Tiere haben Referenzen an historisch belastete Personen. Über den Umgang mit diesen streitet die Wissenschaft.
Eine hitzige Diskussion hat in der Wissenschaftsgemeinde begonnen über die Benennung von Tieren, insbesondere wenn diese mit umstrittenen Personen in Verbindung gebracht werden. Beispiele gibt es viele, wie den Käfer Anophthalmus hitleri, benannt nach Adolf Hitler, den Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, benannt nach einem deutschen Kolonialoffizier, der am Völkermord an den Nama und Herero beteiligt war, oder einen Falter, der nach Benito Mussolini benannt wurde. Die Kritik an diesen Namen wächst, vor allem in Zeiten, in denen Straßennamen geändert und Denkmäler abgerissen werden.
Die Fragestellung ist jedoch komplex: Wird durch die Namensgebung die betreffende Person geehrt? Ist es ethisch vertretbar, ein Tier nach einer umstrittenen Persönlichkeit zu benennen? Und was passiert, wenn eine bis dahin akzeptierte Figur plötzlich in Verruf gerät?
Umstrittene Taufen in der Tierwelt
Jeden Tag werden weltweit tausende neue Arten entdeckt und gemäß internationaler Regeln für zoologische Nomenklatur benannt. Inhaltliche Vorgaben für die Namensgebung macht jedoch die Nomenklatur nicht. So steht es den Forschenden frei, Namen zu wählen – oft geschieht dies als Ehrung für bestimmte Personen. Doch gerade dieses Prinzip wird jetzt infrage gestellt.
Entsprechende Kritik findet sich beispielsweise in einer Studie von Emma Dunne, Paläobiologin von der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie hat die Namen aller bekannten – etwa 1500 – Dinosaurier untersucht und dabei auf kritische Aspekte hingewiesen.
Wie groß ist das Problem?
Laut Schätzungen der internationalen Kommission für zoologische Nomenklatur sind etwa 20 Prozent der Tiernamen Eponyme, das heißt, sie sollen Personen ehren. Diese stellen die größte Gruppe von Namen dar, die Anstoß erregen könnten. Aber auch Ortsnamen, die rund 10 Prozent der Tiernamen ausmachen, könnten als beleidigend empfunden werden.
Bei den Dinosaurier-Namen bewerteten die Forschenden weniger als drei Prozent als problematisch. Trotzdem betont Mitautor Evangelos Vlachos vom Paläontologischen Museum in Argentinien, dass es notwendig sei, die bisherige Praxis kritisch zu überprüfen und mögliche Fehler zu korrigieren.
Was sagt die internationale Kommission dazu?
Die Kommission lehnt eine Umbenennung von Tieren aus ethischen Gründen ab. Daniel Whitmore vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und Mitglied der Kommission erläutert: "Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen, ob Namen beleidigend oder ethisch nicht vertretbar sind." Die Priorität liege bei einer universellen und stabilen Nomenklatur.
Diese Position wird jedoch nicht von allen Wissenschaftlern geteilt. Der Berliner Zoologie-Professor Michael Ohl fordert beispielsweise Kriterien für den Umgang mit ethisch fragwürdigen Namen und betont den Druck aus der Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft.
Kritik von nicht westlichen Wissenschaftlern
Kritik an möglichen Namensänderungen kommt aber auch von nicht westlichen Wissenschaftlern. So findet der Taxanomist Rohan Pethiyagoda aus Sri Lanka, dass wenn Tierarten umbenannt werden würden, es aus seiner Sicht zur Folge hätte, dass Forschende wie er von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt würden, nämlich die biologische Vielfalt der Erde zu beschreiben.
Stattdessen müssten sie sich mit Themen beschäftigen, die in Ländern wie Sri Lanka keine Rolle spielten, schreibt Pethiyagoda im Fachjournal "Megataxa". Wissenschaftliche Namen zu ändern hält er nicht für sinnvoll: Die meisten Arten haben ihm zufolge Alltagsnamen, die wissenschaftlichen Namen verwendeten in der Regel nur Fachleute.
Gibt es Lösungen?
Mögliche Lösungsansätze sind kompliziert. Eine Umbenennung würde laut Ohl zum Beispiel beim "Hitler-Käfer" nicht viel ändern, da der Name nicht vollständig verschwinden würde. Eine andere Möglichkeit wäre, umstrittene Tiernamen in Museen zu thematisieren und somit zur kritischen Reflexion anzuregen. So hat es das Berliner Naturkundemuseum bei dem Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki bereits getan.
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- Nachrichtenagentur dpa