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Schleswig-Holstein: Neue Details im Waffenskandal


Neue Details in Waffenskandal
"Absolut tödlich"


07.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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Waffenständer in Waffenkammer mit zahlreichen Karabiner 98Vergrößern des Bildes
Die Polizei hat offenbar scharfe Waffen nicht als solche erkannt. (Quelle: privat)

Seit Monaten berichtet t-online über schwere Versäumnisse einer Waffenbehörde und der Polizei in Schleswig-Holstein. Nun gibt es offenbar weitere, beunruhigende Fehler der Behörden. Wer übernimmt die Verantwortung für das Chaos der Ermittler?

Für die Behörden ist der Fall klar. Peter Frank aus Schwesing bei Husum hat gegen das Waffenrecht verstoßen. Der Waffensammler hatte mehr als 900 Waffen bei sich zu Hause gelagert. Die meisten Waffen waren Karabiner 98. Frank war seit seiner Kindheit von den Waffen fasziniert und galt eigentlich als zuverlässiger Sammler, von dem keine Gefahr ausgeht. In internen Mails wird er sogar als "überpenibel" beschrieben.

Doch als eine neue Sachbearbeiterin in der Waffenbehörde anfängt, unterstellt sie Frank, er stelle illegal Waffen her. Ein Vorwurf, der sich in Luft aufgelöst hat. Aber die Waffen wurden Frank daraufhin weggenommen. Bei dieser umstrittenen Ausräumaktion kam es offenbar zu Fehlern der Waffenbehörde und des Landeskriminalamtes, wie Recherchen von t-online und des NDR-Politikmagazins Panorama 3 belegen.

Denn die Polizei hat offenbar scharfe Waffen nicht als solche erkannt und die Behörden haben diese in die Hände Dritter gegeben. Wer übernimmt die Verantwortung für die Fehler der Behörden?

Scharfe Waffe nicht als solche erkannt

Schießstand im bayrischen Kulmbach. Der Schütze nimmt das Gewehr mit der Bezeichnung K98 in die Hand. K98 steht für Karabiner 98, ein Gewehr, das in zwei Weltkriegen zum Einsatz kam. Er zieht den Verschluss der Waffe in die letzte Stellung nach hinten und legt damit die Mehrladeeinrichtung der Waffe frei. Dort kann er nun die Patrone des Kaliber 8x57 IS hineindrücken. IS steht für Infanterie Spitz, also Patronen, die für das Schlachtfeld konstruiert wurden, nicht für die Jagd.

Mit dem linken Daumen drückt er die golden schimmernde Patrone in die Einrichtung, bis sie einrastet. Dann führt er den Verschluss mit einem satten metallenen Geräusch wieder nach vorn, verriegelt ihn und die Patrone ist damit in das Patronenlager verschoben. Die Waffe ist schussbereit. Der Schütze sucht den Druckpunkt am Abzug, dann zieht er ihn und der Schuss geht los. Mit mehr als 2.700 km/h verlässt das Geschoss den Lauf. "Diese Waffe ist eine scharfe Waffe, keine Deko-Waffe", sagt der Büchsenmacher aus Bayern.

t-online und Panorama 3 testen Waffe

Bei dem Test als Zuschauer dabei war auch Peter Frank selbst. "Bei einem guten Schützen ist dieser Schuss absolut tödlich", sagt Peter Frank, der mit Erstaunen die Szene beobachtete.

Erstaunt ist Frank, weil diese Waffe, mit der soeben geschossen wurde, eigentlich eine Deko-Waffe sein soll. So hat es die Waffenbehörde des Kreises Nordfriesland zumindest behauptet. Bei der Ausräumaktion im Februar 2021, bei der ihm alle Waffen abgenommen wurden, hatten Experten des Landeskriminalamtes seine Waffen nach Deko- und Salutwaffen, also unbrauchbar gemachten Waffen, und scharfen Waffen sortiert. Die scharfen Waffen sollen laut Behörden vernichtet worden sein, die Deko- und Salutwaffen lagerten eine ganze Zeit in der Waffenbehörde, bevor sie an einen Waffenhändler aus Bayern übergeben wurden. Auch diese Waffe, ein Karabiner 98, war bei diesen angeblichen Deko-Waffen dabei.

Fehler über Fehler der Behörden

Frank war sich von Anfang an sicher, dass den Behörden hier ein Fehler unterlaufen sein muss. Und dieser Fehler ist nicht der Einzige. t-online berichtet schon seit Monaten darüber, welche Pannen bei der Ausräumaktion passiert sind; dass Behörden nicht belegen können, ob die Waffen wirklich vernichtet wurden; dass gut 150 Waffen einfach weggekommen sind; dass die Richterin, die über Frank urteilen soll, befangen ist; und dass Akten von LKA-Mitarbeitern nachträglich verändert wurden.

Lesen sie hier die vorherigen Teile der Berichterstattung

Und jetzt zeigen die neuen, gemeinsam mit dem Politikmagazin Panorama 3 vom NDR unternommenen Recherchen, dass Experten offenbar den Unterschied zwischen scharfen Waffen und Dekowaffen nicht erkannt haben. Die Polizei und auch die Waffenbehörde nahmen es offenbar nicht so genau, als sie im Februar 2021 die Waffen von Frank abholten. Oder sie haben es einfach übersehen.

Das ist brisant, denn die Behörden werfen Frank vor, ein Chaos in seiner Waffenkammer vorgefunden zu haben. Angeblich habe Frank Waffen unerlaubt zusammengebaut. Das ergebe sich daraus, dass die Waffen nicht "nummerngleich" seien – also der Lauf eine andere Seriennummer als die Systemhülse oder der Verschluss habe.

Zu Unrecht kriminalisiert

"Dieser Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen", sagt Frank. Die Waffen, die er aus Leidenschaft sammelte, waren teilweise tatsächlich in den zwei Weltkriegen im Einsatz. Waffenexperte Ralph Herrmann, der erst durch die Berichterstattung auf den Fall von Peter Frank aufmerksam wurde, stützt dessen Auffassung. "Häufig war es so, dass diese ganzen Reparaturwerkstätten im Krieg aus unterschiedlichen Waffen wieder eine funktionstüchtige gebaut haben", sagt er. "Da jetzt eine Strafbarkeit festzumachen, sehe ich als überhaupt nicht gegeben." Frank fühlt sich zu Unrecht kriminalisiert. "Die Behörde versucht, von eigenen Fehlern abzulenken", sagt er. Der Vorwurf musste auch sehr früh fallen gelassen werden, es gibt dafür keine Belege.

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Der bislang bedeutendste Fehler, der dem LKA und der Waffenbehörde passierte, ist wohl nun, dass sie scharfe Waffen nicht als solche erkannt haben. Doch wie konnte es dazu kommen?

Sachverständige ohne Sachverstand?

Am Tag der Abholung der Waffen aus der Waffenkammer von Peter Frank kam die Waffenbehörde auf das Grundstück von Frank. Weil es sich um mehr als 900 Waffen handelte, nahm sie das Landeskriminalamt in Amtshilfe mit. Und die Polizei brachte eigene Gutachter mit, Waffenexperten.

In einem eigens dafür aufgebauten Zelt in Franks Garten wurden die Waffen unter die Lupe genommen, eine nach der anderen. Scharfe Waffen sollten von "erlaubnisfreien" und Dekowaffen getrennt werden. Dies ist eigentlich für Experten kein Problem. Deko- oder Salutwaffen sind unbrauchbar gemachte Waffen. So ist etwa der Lauf zugeschweißt, damit kein Geschoss abgefeuert werden kann. Das kann man einfach kontrollieren, indem man durch den Lauf schaut. Sieht man am Ende Licht, dann ist er nicht zugeschweißt.

Belege für Fehler

t-online und Panorama 3 konnten nun zeigen, dass die Sachverständigen der Polizei und die Waffenbehörde das mindestens bei einer Waffe nicht erkannt haben. Eine Waffe, die eigentlich scharf war, wurde nicht mit zur Polizei genommen, um sie später zu vernichten. Stattdessen wurde sie im Kreishaus des Kreises Nordfriesland gelagert, damit Frank sie zu einem späteren Zeitpunkt an einen anderen Berechtigten übergeben oder verkaufen kann. Frank übergab alle Waffen später tatsächlich einem Waffenhändler aus Bayern.

Auf Anfrage behauptet die Waffenbehörde, dass diese eigentlich nicht gefährlichen Waffen bis dahin in einem Tresor der Waffenbehörde gelagert wurden. Damit widerspricht sie allerdings ihrem eigenen Juristen.

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Der hatte in einem Schreiben im März 2022 noch eingeräumt, dass die Waffen aufgrund der Menge – es waren noch gut 200 Waffen – im Katastrophenschutzraum der Behörde gelagert wurden. Wer Zugriff auf diesen Raum hatte: völlig unklar. Klar ist nur, dass hier offensichtlich auch scharfe Waffen gelagert wurden. Und Bilder von der Abholung der Waffen durch den Waffenhändler aus Bayern belegen, dass Teile der Waffen fehlen und ausgebaut wurden. Mehrere Waffen waren noch schussfähig.

Waffen unsachgemäß gelagert?

Die Waffe, die t-online und das NDR-Politikmagazin Panorama 3 in einem Schießstand in Bayern auf seine Funktionsfähigkeit überprüfen konnten, hatte Frank korrekt angemeldet. Sie hat die Nummer 2222g. Aus der Waffenbesitzkarte geht hervor, dass sie scharf ist. Auch im nationalen Waffenregister stand sie bis zur Ausräumung bei Frank als scharfe Waffe. Doch nach der Ausräumung wurde der Status im Nationalen Waffenregister (NWR) durch die Waffenbehörde geändert, in "erlaubnisfrei". Warum, ist unklar.

LKA kann Fehler "nicht nachvollziehen"

Das LKA hat keine eindeutige Erklärung dafür. Eine Sprecherin teilt mit: "Im Rahmen der Einziehung der Waffen im Februar 2021 wurden alle Waffen durch einen Mitarbeiter des LKA hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit (funktionsfähige Waffe bzw. Deko-/Salutwaffe) überprüft. Die Behauptung, es wurden diverse scharfe und beschussfähige Waffen ausgehändigt, kann von hier aus nicht nachvollzogen werden."

Irrtum mit der Waffe?

Ein Sprecher der Waffenbehörde sieht die Verantwortung aber beim LKA und nimmt die Sachverständigen dort in die Pflicht: "Wenn das LKA eine Waffe als Deko- oder Salutwaffe und damit als erlaubnisfrei einstuft, dann gehen wir davon aus, dass das stimmt. Wir selbst schießen nicht mit den Waffen." Und: "Sollte tatsächlich ein Irrtum passiert sein, ist er verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Eintrag im NWR korrigiert wird." Warum die Waffenbehörde im Kreis Nordfriesland die Waffe im Nationalen Waffenregister nach der Ausräumaktion von einer scharfen Waffe in eine Deko-Waffe abänderte, beantwortet der Sprecher nicht.

Logo NDR Panorama 3
NDR Panorama 3 (Quelle: NDR)

Mehr dazu im NDR Fernsehen

Das NDR Politikmagazin Panorama 3 zeigt heute um 21.45 Uhr im NDR Fernsehen die gemeinsame Recherche mit t-online. Link zur Sendung.

Der Vorsitzende des Innen- und Rechtsausschusses, Jan Kürschner (Grüne), ist irritiert über den Waffenfund. "Ich dachte, Dekowaffen und scharfe Waffen kann man nicht verwechseln", sagt er. "Bis jetzt." Er fordert, dass dieser mögliche Fehler nun genauer betrachtet werden muss. "Und dann muss man dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passiert."

Der ehemalige Waffensammler Peter Frank hat offensichtlich wenig Verständnis. "Legale Waffensammler müssen regelmäßig ihre Sachkunde nachweisen und immer alles zu 100 Prozent korrekt machen", sagt er. Und ergänzt: "Das ist richtig und wichtig. Aber vielleicht sollten die Mitarbeiter auch zu einer identischen Sachkundeprüfung verpflichtet werden." So könnte man solch ein Chaos bei den Behörden verhindern, ist er überzeugt. "Für mich kommt das aber leider zu spät."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Bilder von der Waffenrückgabe
  • Interview mit Ralph Herrmann, Waffensachverständiger
  • Interview mit Jürgen Punke, Verwaltungsrechtler
  • Eigener Dreh beim Waffenhändler
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