Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ende der Regierung? Aus für die Ampel? Wenn, dann so
Ein schwacher Kanzler, zwei spinnefeinde Vizes: Mit der Ampel wird das nichts mehr. Ihr Ende ist trotzdem nicht in Sicht. Oder doch? Unser Kolumnist hat einen kühnen Vorschlag.
Der Groschen ist kein Sturzbomber, sagt man im Schwäbischen, wenn jemand länger braucht, bis es endlich bei ihm Klick macht im Kopf.
So wie bei mir die ganzen letzten Wochen. Hat das gedauert, bis ich mir auf das seltsame aktuelle Gebaren und die aktuellen Äußerungen von Robert Habeck und Christian Lindner einen Reim machen konnte! Die beiden gehören einer amtierenden Bundesregierung an, sitzen als Finanzminister und Wirtschaftsminister auf zentralen und zuständigen Positionen und beklagen den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, als hätten sie damit nichts zu tun.
Gespickt sind ihre Kassandrarufe mit Kraftausdrücken, wie sie sonst Oppositionsführer im Munde führen. "Peinlich", fand zuletzt Finanzminister Lindner den Zustand des Standortes Deutschland und dessen Wirtschaftsdaten. "Dramatisch schlecht", echote Habeck.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Wen meinen die denn mit ihren Attacken? Ist das eine Form von politischer Persönlichkeitsspaltung oder Autoaggression, Wut auf sich selbst? Das fragte ich mich jedes Mal, wenn entweder der eine oder der andere eine seiner Salven abfeuerte.
Bis dann endlich besagter Groschen fiel: Die meinen sich! Also natürlich nicht sich selbst, sondern jeweils den anderen. Ohne Namensnennung macht der eine den anderen für die Misere verantwortlich. Weil Habeck gerne den Geldhahn aufdrehen und die Wirtschaft mit Staatsgeld fluten würde, während Lindner auf der Schuldenbremse steht und findet, dass die Grünen und die Roten das Geld einfach nur für die falschen Sachen ausgeben, statt die Wirtschaft von den Schikanen der rot-grünen Überregulierung zu befreien.
Eine perfekte Selbstblockade zweier politischer Kontrahenten und Ideologen, die gekrönt wird von einem Bundeskanzler, dem in den Reihen seiner eigenen Ampel jede Autorität und jeglicher Respekt fehlt – und die Kraft, diesem Ampel-Gehampel der beiden Streithähne Lindner und Habeck ein Ende zu bereiten.
Steinbrück greift Scholz frontal an
Als erster namhafter Sozialdemokrat hat sich dieser Tage der frühere NRW-Ministerpräsident und spätere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die Freiheit genommen, dieses Führungsversagen seines Parteifreundes im Kanzleramt anzusprechen. Und er hat recht: Niemals, niemals hätten sich weder Angela Merkel noch Gerhard Schröder von ihren Koalitionären derart auf der Nase herumtanzen lassen. Beide hätten dem Treiben auf die jeweils eigene Weise ein Ende bereitet.
Unvergessen, als Rot-Grün rumpelig regierte und zum Rumpeln nicht zuletzt der Grüne Jürgen Trittin in seinem Machtkampf mit Joschka Fischer beitrug. In einem Interview verfügte Schröder damals schlicht: "mehr Fischer und weniger Trittin". Alsbald war an der Front Ruhe und Trittin handzahm.
Heute derweil ist der Gedanke schwer zu ertragen, dass dieser führungsschwache Kanzler und seine beiden spinnefeinden Vizes dieses Land in dieser inneren und äußeren Lage noch bis zur nächsten regulären Bundestagswahl im September kommenden Jahres regieren sollen. Zugleich ist aber auch kaum vorstellbar, wie ein vorzeitiges Ende dieses dysfunktionalen Bündnisses herbeigeführt werden könnte.
Aber einen Weg gäbe es vielleicht doch. Dazu müssten die Interessenlagen von SPD, FDP und Union einigermaßen in Einklang gebracht werden. Das heißt, alle drei müssten von einem Wechsel profitieren. Und so könnte das aussehen:
Auf die FDP kommt es an
Ausgangspunkt sind dabei die Liberalen. Für die FDP ist der Zeitpunkt erreicht, an dem das Risiko eines Verbleibs in der Ampel mit den für sie toxischen Grünen größer ist als das Wagnis, einen Koalitionswechsel anzugehen. Dafür müsste sie, analog zum Prolog des konstruktiven Misstrauensvotums gegen den SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt, einen inhaltlichen Grund für einen Bruch finden.
Den gäbe es sowohl auf dem Terrain der Wirtschaftspolitik wie auf dem Terrain der Ukraine-Politik, Stichwort Taurus-Lieferungen. Noch besser geeignet auf den ersten Blick, weil ihr angestammtes Politikfeld, wäre eine Markierung an der Sollbruchstelle der Wirtschaftspolitik. Alle Wirtschaftsverbände, alle Unternehmer hätte die FDP bei diesem Move auf ihrer Seite.
Die Scheidungsurkunde von 1982, das sogenannte Lambsdorff-Papier des damaligen FDP-Wirtschaftsministers, war im gleichen Geiste einer Unvereinbarkeit ordoliberaler FDP-Vorstellungen mit jenen der SPD geschrieben worden. Dennoch könnte in diesem Fall der Taurus-Weg der gebotene sein. Auflösung später.
Ähnlich wie 1982 – und doch anders
Problem: In einem ungleich stärker zersplitterten Fraktionsgefüge im Bundestag könnte die FDP danach nicht einfach einen Unions-Bundeskanzler wählen. Es reicht hinten und vorne nicht für Schwarz-Gelb. Was zur Frage führt, weshalb nach einem konstruktiven Misstrauensvotum die Union in eine Koalition unter einem SPD-Bundeskanzler eintreten sollte, wo das Kanzleramt doch bei diesem Zustand der Ampel 2025 aus heutiger Sicht beinahe automatisch winkt. Und: Warum sollte die SPD-Bundestagsfraktion bei einer solchen Operation mitspielen?
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Fangen wir hinten an. Mindestens die Hälfte der derzeit im Bundestag sitzenden Abgeordneten muss in der aktuell regierenden Ampel-Konstellation unter einem Kanzler Scholz damit rechnen, ihr Mandat zu verlieren. Man unterschätze nie den Eigennutz der Gene. Denn sie alle wissen: Ein stärkerer Bundeskanzler aus ihren Reihen würde die Aussichten schlagartig erhöhen.
Boris Pistorius – ein Mann für alle Fälle
Diesen Mann gibt es: Er heißt Boris Pistorius und hat sich als Bundesverteidigungsminister einen Namen gemacht. Ein Machertyp, führungsstark und innerhalb kürzester Zeit auf Bundesebene der beliebteste Politiker. Mit einem Wort: Ein Mann aus Kanzlerholz, langsam und in Ruhe auf niedersächsischem Boden gewachsen, im Bund dann ausgehärtet. Mit ihm wäre auch eine Taurus-Lieferung an die Ukraine sofort vorstellbar. Deshalb Taurus als Bruchstelle für die FDP.
Bleiben zwei Fragen: Warum sollte Unionsfraktionschef Friedrich Merz als zweiter Mann in eine Koalition unter einem SPD-Kanzler gehen, zumal der Neue ein ungleich schwererer Gegner würde als der enttäuschende Scholz? Und wer bräuchte dann noch eine FDP, wo es doch für Rot und Schwarz auch so reichte?
Die Erwägungen des Friedrich Merz
Antwort eins: Weil bei Merz zu einem guten Stück unterstellt werden darf, dass er die Lage des Landes und dessen akute Not einer schlechten Regierung höher einstuft als taktische Erwägungen. Außerdem könnte eine in die Regierung eingetretene Union von Stund an sagen: Seit wann ist es besser geworden? Seit wir mit am Ruder sind! Das ist kein schlechtes Pfund für den Wahlkampf zur Bundestagswahl, die dann regulär im September 2025 stattfände.
Warum aber die FDP ohne Not mit an Bord nehmen, warum also eine Deutschlandkoalition aus Rot, Schwarz und Gelb? Weil das Teil des Deals aller drei Beteiligten sein müsste und der Lohn für die Liberalen wäre, die Selbstblockade von Grün-Gelb unter einem schwachen Kanzler initiativ beendet zu haben. Obendrein, Politik ist auch Marketing: Und Deutschlandkoalition mit einer Mehrheit weit über den Durst hört sich nicht so schlecht an in einer Lage, in der Deutschland tatsächlich politische Hilfe von ganz oben braucht. Eine Koalition zugunsten Deutschlands gewissermaßen.
Eine Variante, allerdings für die Liberalen ohne Seil und Karabiner, wäre, dass die FDP für die Restlaufzeit der Legislatur die Groko in der Opposition erduldet – von der Union aber für 2025 die stillschweigende Zusage für Schwarz-Gelb (wenn es reichen sollte) oder eine Deutschlandkoalition hätte, in der die FDP der engere Verbündete der Union wäre als die SPD.
Alles Fantasien im Fieberwahn? Kann sein. Aber Verzweiflung macht erfinderisch. Und die Lage ist zu ernst, um nicht jede noch so kleine Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Immerhin ein klitzekleiner lichter Spalt, dem dunklen Verlies der Ampel zu entfliehen.
- Eigene Überlegungen