Deutschlands größter Star Hannawald Skispringen ist sein Leben
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Er hat geschafft, was nach ihm keinem deutschen Skispringer mehr gelungen ist: der Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. Inzwischen ist Sven Hannawald TV-Experte – und mehr als das.
"Er hat es geschafft. Der Mythos der Vierschanzentournee ist besiegt", sagte TV-Kommentator Tom Bartels mit Begeisterung in der Stimme und ergänzte: "Sven Hannawald gewinnt mit anderthalb Metern Vorsprung auch in Bischofshofen. 6. Januar 2002, 15.56 Uhr und 55 Sekunden: Sven Hannawald im Jubel mit seiner Familie vereint." Es war der Moment, als dem deutschen Skispringer Hannawald das gelang, was zuvor keiner geschafft hatte: der Tournee-Triumph durch Siege bei allen vier Springen, mit dem er sich einen Eintrag in die Geschichtsbücher sicherte.
Nach seinem Sprung hüpfte er in seinem silbernen Anzug mehrmals hoch und freute sich ausgelassen. 15 Millionen Menschen schauten ihm vor den Fernsehbildschirmen bei seinem historischen Erfolg zu. Bis heute hat dieses Kunststück kein Deutscher nach ihm mehr geschafft, und es sollte 16 Jahre dauern, bis mit dem Polen Kamil Stoch das überhaupt wieder einem Skispringer gelang.
Heute lebt Sven Hannawald mit seiner Frau und seinen Kindern südlich von München und schildert im Gespräch mit t-online: "Ohne Kinder hatten wir in München unsere Wohnung, sind aber jetzt ein Stück rausgezogen. Wir haben ein Haus, und Kindergarten und die Schule sind in der Nähe. Es ist nicht so überlaufen wie eine Großstadt, und dementsprechend ist das Aufwachsen hier normaler als in der Großstadt."
Außer mit der Familie verbringt er noch immer viel Zeit mit Sport. Neben Laufen und Radfahren hat er auch eine Leidenschaft für den Fußball: "Das habe ich aktuell auf Eis gelegt, weil die Bettzeit unserer Kleinen momentan halb acht ist. Da geht ja normalerweise der Altherrenfußball los, auch die Spiele, und das funktioniert gerade nicht." Zudem hat die Familie seit November noch eine kleine Hündin.
Bis heute steht Sven Hannawald in Deutschland für unangefochtenen Erfolg. Tom Bartels erinnert sich für t-online an Hannawalds historischen Moment der Vierschanzentournee und sagt: "Der Tourneesieg von Sven 2002 ist mir als eine fantastische und wahnsinnig intensive Zeit in Erinnerung geblieben. Ich habe mich gefühlt wie mitten in einem großen Abenteuer." Bartels kommentierte damals für einen privaten Sender: "RTL hat seinerzeit übertragen, sehr viel probiert, auch experimentiert. Es wurden so viele Zuschauer erreicht wie seither nie wieder. Skispringen war DAS Thema. Sven, wie Martin Schmitt und Teamkollegen, hatten zeitweise die Popularität von Popstars. Die Arbeit mit ihnen hat großen Spaß gemacht."
Bartels blickt zurück und ergänzt: "Ich hatte einen sehr guten Draht zu allen, auch zu den Trainern Wolfgang Steiert, Reinhard Heß, Henry Glass. Jeder Tourneetag war blauer Himmel. Sven hat jeweils die Quali ausgelassen und immer mit der Nummer 50 als Erster alle vier Springen gewonnen. Bei der 50. Tournee. Mehr geht nicht. Das war eines der absoluten Sporthighlights, bei denen ich dabei sein durfte. Dafür bin ich sehr dankbar."
Und wie hat Hannawald selbst das Ganze damals empfunden? Im Gespräch mit t-online sagt er über seinen größten Karrieremoment: "Das war mein Kindheitstraum. Der Kindheitstraum vom kleinen Sven. Wo man zu Hause mit seinem Papa auf dem Sofa saß, geschaut hat und dann einfach die Tournee gewinnen wollte. Da wusste ich natürlich nicht, dass es nicht ganz so einfach ist." Und dennoch hat der damalige DSV-Springer alle Hürden zum großen Erfolg überwunden. Dass Hannawald rund zwanzig Jahre später mit Bartels und Lea Wagner im Team selbst als ARD-Experte fürs Skispringen unterwegs sein würde, konnte damals noch keiner ahnen.
"Mache ich es so lange, bis ich es erreicht habe"
Hannawald erzählt: "Im Jugendbereich habe ich mich leicht getan und wirklich viel gewonnen. Auch als Kombinierer, der ich am Anfang sein musste, habe ich Spezialspringen gewonnen. Da habe ich schon gemerkt, dass ich allen ein bisschen voran bin. Aber dass es im Männerbereich noch mal eine ganz andere Welt sein würde, musste ich einsehen. Deswegen hat es in einem Fall auch länger gedauert, bis ich es hinbekommen habe. Aber was mich dann auszeichnet, wenn ich überzeugt bin und das Ziel stimmig ist: Dann ordne ich alles rigoros unter und mache es so lange, bis ich es erreicht habe."
Und das wurde damals sichtbar. Nach dem Tourneesieg holte Hannawald Silber bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City von der Normalschanze und Gold mit dem Team. Zudem schaffte er es 2002, als erster Springer seinen Titel bei den Skiflug-Weltmeisterschaften zu verteidigen.
"Was man wirklich erreicht, kann man in dem Moment nicht einschätzen oder einstufen", erzählt Hannawald rückblickend: "Man hat als Sportler so wenig Zeit zum Revue passieren lassen, dass das erst später kommt. Im Nachhinein sehe ich natürlich immer die Massen, die da mitgezogen sind bei der Tournee. Und am Ende, als damals Reinhard (Heß, ehemaliger Skisprung-Bundestrainer, Anm. d. Red.) den Hut vor mir gezogen hat, hat mir das schon bewusst gemacht, dass jetzt etwas Außergewöhnliches passiert ist. Er hatte ja auch mit Jens Weißflog einen der erfolgreichsten Springer unter sich, und dass er den Hut vor mir gezogen hat, hat mich unheimlich beeindruckt, und das ist hängen geblieben."
Hannawald steht zusammen mit Martin Schmitt für eine deutsche Ära im Skispringen. Für Erfolg – aber auch für sportliche Konkurrenz auf höchstem Level. Es war eine Beziehung unter Sportlern, wie es sie nur selten gibt. "Konkurrenz belebt das Geschäft. Das hat man nach uns in der deutschen Mannschaft gesehen, dass es nicht ein, zwei Leute gab, die dominiert haben und sich dementsprechend im Training weiter angespornt haben. Das war natürlich der Vorteil von Martin und mir", so Sven Hannawald.
"Das Positive war aber natürlich, dass wir uns Gott sei Dank vor unserer guten Zeit schon privat kennengelernt hatten, und dementsprechend sind wir nicht mehr in eine Schublade gegangen, wo man sich noch negativ beeinflusst. Bei anderen Nationen hat man den Erfolg mitbekommen, aber auch, dass sich die jeweiligen Springer absolut nicht leiden konnten. Das ist dann unschön. Wir wussten, was wir aneinander haben, weil wir wussten, wo die Weltspitze ist."
Hannawald lebt mit seiner Familie südlich von München
Und zwar, weil sie selbst die Weltspitze prägten. "Wir brauchen keinen täglichen Kontakt, dass wir uns verstehen. Wir wissen ja, wie wir ticken. Und wir müssen nicht immer hinterher telefonieren", erzählt der Ex-Skispringer im Gespräch. Die Beziehung zu Schmitt und deren Ehrgeiz zeigt sich auch heute noch bei Shows wie "Ninja Warrior", an der beide teilnahmen: "Wenn wir uns dann bei solchen Shows sehen, merken wir natürlich auch, dass der eine vor dem anderen sein möchte, und dementsprechend pushen wir uns, sodass es dann einigermaßen funktioniert. Das kennen wir nicht anders vom Springen."
Um an solchen Events teilnehmen zu können, bedarf es einer gewissen Fitness. Hannawald hält diese durch Laufen oder Fahrradfahren aufrecht, "weil es auch den Kreislauf bei Laune hält. Und Krafttraining, weil man schon merkt, dass das eine oder andere Wehwehchen von damals durchkommt: Rücken, Knie oder auch Fußgelenke. Und das kann man dadurch gut vermeiden."
Im Gespräch mit t-online wird deutlich, dass Hannawald ein Typ ist, der – wie er selbst auch sagt – die Dinge angeht und durchzieht. Jemand, der trotz aller Erfolge bodenständig geblieben ist. So geht Hannawald auch mit seinem früheren Burn-out – der 2004 bekannt wurde – offen um. Sein Wissen und seine Erfahrungen mit Themen wie Stress und Druck gibt er heute weiter: "Ich versuche, so weit wie möglich Leuten die Augen zu öffnen, dass sie wieder zurück zu sich kommen und sich nicht gelenkt von Beruf, Apps oder Social Media durchs Leben schlängeln. Das ist meine Hauptaufgabe, weil ich weiß, dass die meisten, die es nicht betrifft, es nicht nachvollziehen können."
Wichtig sei, sich selbst "der Sache zu öffnen, weil das Umfeld überfordert ist und damit nichts anfangen kann. Mir ist wichtig, dass die Betroffenen für sich selber einsehen, dass sie so schnell wie möglich etwas tun müssen. Ansonsten wird es gefährlich." Hannawald begab sich damals in eine Spezialklinik und sagt heute: "Da hab ich gar nicht diskutiert. Ich wusste, dass es meine einzige Chance war, wieder zurückzukommen."
Burn-out: "Kann offen damit umgehen"
Hannawald berichtet: "Ich kann offen damit umgehen, weil ich allen zeigen kann, dass es ein Danach gibt. Die meisten Dinge, was einen Burn-out angeht, kann man wieder regeln, wenn man sich selber wieder neu kennenlernt und einfach weiß, was man zu tun und zu lassen hat. Deswegen versuche ich, Hoffnung zu geben", so der zweifache Skiflug-Weltmeister. Dass heutzutage die mentale Befindlichkeit von Leistungssportlern mehr in den Fokus gerückt wird und es Fortschritte auf diesem Gebiet gibt, sieht Hannawald positiv.
"Die Entwicklung, dass es Mentaltrainer im Sport gibt, ist ein Muss. Es geht immer mehr um kleine Dinge, die darüber entscheiden, ob du am Ende Wettkämpfe gewinnst. Und dies findet im Kopf statt. Es spricht sich rum, in welche Richtung Material gut funktioniert. Es spricht sich rum, inwiefern ein gutes Fitnesstraining funktioniert und effektiv wird. Das hat sich alles durch wissenschaftliche Studien rumgesprochen. Aber am Ende, wenn man dann irgendwo an dem Punkt ist, wo es drauf ankommt, entscheidet der Kopf", bilanziert er.
Das weiß Hannawald auch, weil er es geschafft hat, nach seiner Erkrankung seinen Sport neu zu entdecken – als TV-Experte. Gemeinsam mit Bartels und Wagner ist er das halbe Jahr zur Wintersport-Zeit unterwegs und analysiert für die Zuschauer der ARD die Weltcupspringen und die Tournee.
"Ich bin froh, dass ich die Expertentätigkeit wieder machen kann. Damals, nach meinem gesundheitlichen Tiefpunkt, war es erst mal nicht möglich. Ich wollte da einfach nur weg. Und mittlerweile ist es so, dass ich merke, dass Skispringen einfach nach wie vor mein Leben ist", erzählt Hannawald begeistert und fügt an: "Auch wenn ich es nicht mehr aktiv machen kann. Wenn ich die Jungs heute sehe, kann ich mich da komplett reinversetzen und bekomme teilweise auch selbst – obwohl ich nicht springe oder fliege – Gänsehaut. Ich kann mich dann in meine damalige alte Welt reinversetzen und wie schön sich das angefühlt hat. Das sind die Dinge, die mich unheimlich inspirieren."
"Hoffe, dass Sportart aufgrund des Klimawandels noch lange funktioniert"
Und nicht nur das. Denn für die Fans des Skispringens hat es etwas Besonderes, wenn der Vierschanzentourneesieger von 2002 seine Sicht auf Basis seiner Erfahrungen wiedergibt: "Ich habe die Möglichkeit, den Zuschauern das Skispringen näherzubringen, weil es einfach auch materieller und technischer wird als früher. Mit Lea (Wagner, Sportmoderatorin, Anm. d. Red.) und Tom ist es das gesunde und schöne Team, wo man sich gut aufgehoben fühlt. Ich bin froh, dass sich das so ergeben hat."
Auch Bartels bestätigt t-online: "Die Zusammenarbeit macht großen Spaß, weil ich Sven lange kenne, wir immer ein professionelles, respektvolles und nach seiner aktiven Zeit sogar freundschaftliches Verhältnis hatten. Lea kenne ich auch schon einige Jahre als wunderbare Kollegin beim SWR. Wir mögen uns einfach, lachen viel zusammen und freuen uns, dass wir alle beim Skispringen sind. Mit solchen Menschen macht Arbeit einfach Spaß!"
Die heutigen Springer hat Hannawald ganz genau im Blick. Ratschläge von ehemaligen Leistungsträgern wie ihm brauche das DSV-Team jedoch nicht: "Wenn sie auf mich zukommen, bin ich gerne da. In der Regel ist es nicht so, weil sie einfach für sich selber den Weg schon gefunden haben."
So wie auch Hannawald seinen Weg gefunden hat. Vom Leben auf der Schanze zum Leben neben der Schanze. Die Leidenschaft ist geblieben. Daher sagt Sven Hannawald auch: "Ich hoffe einfach, dass die Sportart aufgrund des Klimawandels noch so lange wie möglich weiter funktioniert. Der Weltcup hat erstmals auf Matten begonnen. Und natürlich habe ich immer die Hoffnung, dass so oft wie möglich ein Deutscher ganz oben steht."
In Bezug auf die aktuelle Saison ergänzt er: "Mit Andreas Wellinger ist wieder jemand zurück, der sich die letzten zwei Jahre rangekämpft hat. Dementsprechend ist die Spitze breiter. Die Hoffnungen lasten nicht nur auf den Schultern von Geiger und Eisenbichler. Am Ende habe ich natürlich die Hoffnung, dass es vielleicht in diesem Jahr so weit sein könnte und es einen Nachfolger von mir gibt."
- Eigenes Gespräch mit Sven Hannawald
- Eigene Anfrage an Tom Bartels